Brandenburg: Kinderschänder in der Jugendarbeit
500 Missbrauch-Fälle in Brandenburg: 130 Pädagogen besuchten jetzt eine Tagung zu diesem Thema
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Potsdam - Der 41 Jahre alte Polizist hat gelegentlich im Verein ausgeholfen. Dabei hat er eine 14-Jährige auf dem Billardtisch des Vereinsheims vergewaltigt, zwei andere Mädchen sexuell missbraucht. In Velten wird ein Mann als Leiter eines Jugendzentrums angestellt, obwohl der Arbeitgeber weiß, dass er wegen Missbrauchs zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt worden war. „Es ist schon ein harter Brocken, wenn es um solche Fälle in den eigenen Reihen geht“, sagt der Geschäftsführer des Landesjugendrings Brandenburg, Bernd Mones, und legt die Stirn in Falten.
Die Fälle der Schwarzen Schafe unter den Betreuern waren Jahrzehnte tabuisiert, sagt Claudia Bundschuh vom Deutschen Kinderschutzbund in Nordrhein-Westfalen. „Es ist so schwer zu glauben, dass die Kollegin, der Kollege, mit denen man schon seit fünf Jahren zusammenarbeitet, so etwas tut.“ Rund 130 Lehrer, Sozialarbeiter, Erzieher sind zur Tagung des Landesjugendrings gekommen mit dem umständlichen Titel: „Nix gesehen, nix gehört? Die große Unsicherheit bei sexueller Gewalt im Kontext der Jugendarbeit.“ Im Saal ist es mucksmäuschenstill, als Bundschuh den Teilnehmern, überwiegend Frauen, von Täterprofilen und Strategien berichtet. Die Forschung unterscheidet zwischen den „Pädosexuellen“, die dauerhaft Kinder sexuell begehren, und den „situativen Tätern“, die eigentlich Erwachsene als Sexualpartner bevorzugen, sich aber in bestimmten Lebenssituationen an Unterlegene halten. Das können eben Kinder oder auch Behinderte sein.
Sexueller Missbrauch von Kindern oder Schutzbefohlenen: Um die 500 Fälle jährlich verzeichnet die amtliche Kriminalitätsstatistik in Brandenburg. Bundesweit sind es rund 14 800 Fälle. „Sexueller Missbrauch ist meist eine Beziehungstat, am häufigsten in der Familie“, sagt Homann. Überwiegend sind die Opfer im Alter zwischen sechs und elf Jahren. „Die bekannten Fälle sind nur die Spitze des Eisbergs“, sagt die Leiterin des Sozial-Therapeutischen Instituts Berlin-Brandenburg in Kleinmachnow, Annelie Dunand.
Grundmuster der Täter ist, dorthin zu gehen, wo Kinder sind: Ins Schwimmbad oder in die Computerspielecke des Kaufhauses, berichtet die Initiative „Berliner Jungs“. Sie können Hausmeister, Erzieher, Trainer sein. Sie testen, ob die Kinder empfänglich sind für Streicheleinheiten und Berührungsspiele. Sie loben die Kinder, bieten ihnen, was sie sonst nicht bekommen, nämlich Zeit, Zuwendung und manche Belohnung. Und sie locken mit dem Freiraum, heimlich zu rauchen oder Alkohol zu trinken.
„Irgendwann fordern sie eine Gegenleistung, und die Kinder fühlen sich schuldig und ihnen verpflichtet“, sagt Bundschuh. „Der beste Schutz sind selbstbewusste Kinder, die gelernt haben, Nein zu sagen.“ Die Männer - weibliche Täter sind die Ausnahme - bauen vor, um sich vor Enttarnung zu schützen. Sie schüchtern die Kinder ein mit Sätzen wie: „Wenn du etwas sagst, müssen deine Eltern ins Gefängnis, weil sie die Aufsichtspflicht verletzt haben“, erzählt Bundschuh.
Gegenüber dem Arbeitgeber oder dem Verein versuchen sie, sich unentbehrlich zu machen und pflegen ein gutes Verhältnis zur Leitung. Sie erwähnen beiläufig angebliche Flirts mit Erwachsenen.
Die häufigsten Fragen sind: Auf welche Zeichen muss ich achten? Gibt es eindeutige Hinweise? Wann kann ich, wann muss ich eingreifen? Der Rat der Fachleute: Nicht in Panik geraten, sondern professionelle Hilfe suchen. Bei den Tagungsteilnehmern ist auch am Ende des Tages die Unsicherheit nicht verschwunden. Nachdenklich sagt Mones: „Besonders perfide ist, dass man davon ausgehen muss, dass unter den Teilnehmern auch einige derjenigen sind, um die es hier geht.“
www.kinderschutzstelle-stibb.de www.subway-berlin.org
www.fachstelle-kinderschutz.de
Matthias Benirschke
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