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Wissen was passiert. Entwickler Michael Schweer blickt auf seine Prognosesoftware „Precobs“.

© Bernd Thissen/dpa

Neue Ermittlungsmethoden bei der Polizei Brandenburg: Kommissar Computer

Gegen hohe Einbruchskriminalität könnte eine Prognosesoftware helfen, die Verbrechen vorhersagt. Die Polizei in Brandenburg und Berlin prüft den Einsatz. Datenschützer sind nicht begeistert.

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Potsdam - Es klingt wie aus einen Science-Fiction-Film und auch wie ein Traum eines jeden Polizisten: Verbrechern vorhersagen, zur rechten Zeit am rechten Ort sein und sie verhindern. Am besten noch den Täter auf frischer Tat ertappen. Während es in dem Hollywood-Streifen „Minority Report“ von Steven Spielberg aus dem Jahr 2002 noch um Hellseher geht, die Verbrechen vorhersehen können, könnte es bei der Brandenburger Polizei bald ein Computer sein. Der Einsatz wird seit 2014 geprüft. Das bestätigte einer Sprecher des Innenministeriums in Potsdam auf PNN-Anfrage. Die Experten versprechen sich davon entscheidende Vorteil im Kampf gegen die seit Jahren gestiegene Zahl von Einbrüchen und Diebstählen.

Konkret geht es um „Predictive Policing“, also voraussagende Polizeiarbeit. Am weitesten verbreitet ist inzwischen in Deutschland das Programm „Precobs“, es steht für „Pre Crime Observation System“. Das von einer Softwarefirma aus Oberhausen entwickelte Verfahren analysiert auf der Grundlage von Daten über Ort, Zeitpunkt und anderer Merkmale einzelne Wohnungseinbrüche und berechnet das Verhaltensmuster der Täter sowie die Wahrscheinlichkeit für künftige ähnliche Fälle.

Zusammenarbeit mit der Polizei Berlin

Das Polizeipräsidium in Potsdam sei mit einer ergebnisoffenen Analyse und Machbarkeitsprüfung zum Einsatz des Systems beauftragt worden. Auch Erfahrungen in anderen Staaten und Bundesländern sollen einfließen. „Ergebnisse werden voraussichtlich noch im ersten Halbjahr 2015 vorliegen“, sagte der Ministeriumssprecher. „Aufgrund des gemeinsamen kriminalgeografischen Verflechtungsraumes wird zudem eine Kooperation zwischen den Ländern Brandenburg und Berlin geprüft.“

Tatsächlich setzt auch die Berliner Polizei verstärkt auf computergestützte Vorhersagen für Straftaten. Ein Test sei in Berlin bisher nicht geplant, da die Erfahrungen in anderen Großstädten genutzt werden sollen. Allerdings könne die Berliner Polizei bereits jetzt mit seinem Informationssystem, einer zusätzlichen Software und geografischen Daten tagesaktuelle Analysen liefern. „Precobs“ werde als interessantes Hilfsmittel eingeschätzt, heißt es aus der Innenverwaltung des Berliner Senats.

In der Schweiz und in Bayern ist die Polizei schon weiter. In Zürich gingen durch den Einsatz des Programms seit Juli 2014 die Einbruchsfälle um 14 Prozent zurück, in den besonders mit „Precobs“ überwachten Gebieten sogar um 30 Prozent. Dort sagt das System nach einem Einbruchsdiebstahl mit einer Wahrscheinlichkeit von 85 Prozent voraus, in welchem Radius in den nächsten zwei bis sieben Tagen wieder ein Einbruch passiert. Ein Polizeibeamter muss dann prüfen, ob die Angaben stichhaltig sind und muss dann über den Einsatz entscheiden.

Erste Fahnungserfolge dank "Precobs"

Bayern ist das erste Bundesland in Deutschland, das „Precobs“ einsetzt. Es wird dort seit Sommer 2014 getestet – und die Polizei meldete schon erste Fahndungserfolge. Daten zu Tatort, Tatzeit, Beute und Begehungsweise von mehreren Tausend Einbrüchen in den vergangenen sieben Jahren wurden in „Precobs“ eingespeist.

Entwickelt wurde das System im nordrhein-westfälischen Oberhausen von dem Sozialwissenschaftler Thomas Schweer. Bei der Entwicklung machte er sich das Verhalten von Kriminellen zunutze. Professionelle Einbrecher und Banden gehen nach einem Muster vor. Wenn Sie in einer Wohngegend Erfolg haben, schnell einbrechen können, schnell wieder mit lohnender Beute – Bargeld und Schmuck etwa – weg sind und leicht flüchten können, kehren sie wieder an den Tatort zurück. Das System „Precobs“ kann auch nur diese Einbrüche vorhersagen. Bei Gelegenheitstätern oder bei typischer Beschaffungskriminalität von Drogensüchtigen hilft auch das System nicht.

Erkennt das System aber ein Muster und schlägt Alarm, ist die Polizei gefragt. Sie kann dann in dem prognostizierten Zeitraum an einem gefährdeten Ort durch verstärkte Streifen Einbrecher abschrecken. Oder sie legt sich mit verdeckten Ermittlern auf die Lauer.

Datenschützer von den Plänen überrascht

Bei der Datenschutzbeauftragten in Brandenburg herrscht wenig Begeisterung über das neue System. Auch die Datenschutzbeauftragten der anderen Länder regierten zurückhaltend, haben allerdings vorerst nichts zu beanstanden, weil keine Personendaten in das System eingespeist werden. Svea Bernhöft, Sprecherin der brandenburgischen Datenschutzbeauftragten, sagte den PNN, sie selbst sei überrascht von der Nachricht, dass Brandenburgs Polizei den Einsatz von Prognosesoftware prüfe. Sie wolle jetzt das Innenministerium dazu anfragen. Nicht legal sei es, für das System personengebundene Daten zu erheben. Sobald nicht ausgeschlossen werden kann, dass am Ende doch Personendaten etwa von Facebook-Profilen verarbeitet werden, sei dies nicht zulässig.

Keine Übernahme der eigentlichen Polizei-Arbeit

„Solch ein System muss wissenschaftlich begleitet und der Erfolg hinterfragt werden“, sagte Bernhöft. Auch wegen der rasanten Entwicklung der Informationstechnik und der wachsenden technischen Möglichkeiten sei Vorsicht geboten, auch um Missbrauch vorzubeugen. Bernhöft verweist dazu etwa auf die USA oder Großbritannien, wo ähnliche Programme im Einsatz sind, der Datenschutz weitaus weniger Bedeutung hat als in Deutschland – und, wie etwa in London, inzwischen die Rückfallwahrscheinlichkeit von Gang-Mitgliedern berechnet wird.

Oder wie es Bayerns Datenschutzbeauftragter Thomas Petri sagt: „Was nicht passieren darf, ist eine schleichende Übernahme der eigentlichen Polizeiarbeit durch Computer.“

Übrigens hießen die polizeilichen Hellseher in Spielbergs „Minority Report“, die Morde vorhersehen, noch „Precogs“, abgeleitet von „precognition“. Auch der Oberhausener Sozialwissenschaftler Schweer hat den Film gesehen, der Name „Precobs“ für sein System war wohl kein Zufall. (mit dpa)

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