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Brandenburg: Kulturrevolution der „Silberlinge“

Die wachsende Generation der „jungen Alten“ prägt zukünftig Brandenburg / Die Kulturschaffenden müssen sich darauf einstellen – auch mit neuen Stücken

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Erkner - Generalprobe in einem Brandenburger Provinztheater: So graziös, wie der surrende Sessellift es zulässt, schwebt die betagte Julia nach dem Ball hinauf in ihre Gemächer. Wenig später beginnt ihr nicht mehr ganz jugendlicher Liebhaber Romeo, dessen Stimme bei weitem noch nicht so dünn ist wie sein Haar, vor ihrem Balkon mit dem wohl berühmtesten Monolog der Theatergeschichte.

Absurd findet der Geschäftsführer der Freien Theater Brandenburg e.V. diese fiktive Szene ganz und gar nicht. Frank Reich ist schon seit längerem der Meinung, man müsse den Widerspruch, dass die Theaterbesucher immer älter werden, während die Hauptdarsteller in den klassischen Stücken fast alle blutjung seien, auflösen. „Vielleicht müssen wir für das ältere Publikum in Zukunft sogar ganz neue Stücke schreiben, so in der Art von “Was das Herz begehrt“, wo Jack Nicholson und Diane Keaton, die ja beide um die 60 sind, gemeinsam ihren zweiten Frühling erleben“, sagt Reich. „Endlich gilt die Aussage, dass Brandenburg älter wird, nicht mehr als Schwarzmalerei, sondern als Tatsache“, sagt Wolf Beyer, ehemaliger Mitarbeiter des Brandenburger Landesumweltamtes. Ein typisches Beispiel sei die Industriestadt Schwedt, in der 1970 noch 35 Prozent der Einwohner Kinder waren. Der Rentneranteil lag damals bei fünf Prozent. „Bis zum Jahr 2040 wird sich dieses Verhältnis auf den Kopf gestellt haben“, prophezeit Beyer.

Nachdem Politik und Wirtschaft schon seit längerem über die Folgen des Alterswandels diskutieren, müsse nun auch überlegt werden, wie die alternde Gesellschaft zukünftig mit dem Brandenburger Kulturangebot in Einklang zu bringen sei, bekräftigt Christoph Haller vom Leibnitz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in Erkner. Die „jungen Alten“, von Forschern auch „Silberlinge“ genannt, würden zukünftig noch attraktiver als Zielgruppe von Theatern, Konzert- und Opernhäusern, Museen und Buchhändlern, so Haller. Bislang gebe es jedoch kaum gesicherte Daten, die Aufschluss darüber geben könnten, was die wachsende Generation der „Silberlinge“ vom Kulturangebot erwarte, räumt Christoph Haller vom IRS ein. Im brandenburgischen Eisenhüttenstadt, wo die Bevölkerungsentwicklung ähnlich verläuft wie in Schwedt, habe man deshalb eine Befragung durchgeführt, die zumindest Tendenzen erkennen lässt. „Die von uns befragten Senioren gaben mehrheitlich an, dass es zwar insgesamt genug kulturelle Angebote gibt, dass diese aber nicht immer qualitativ überzeugen“, sagt Haller. Vielen Senioren fehle außerdem in Wohnortnähe ein „wahrnehmbares kulturelles Zentrum“, so Haller. Was sich die Senioren genau darunter vorstellen, müsse man noch herausfinden – vielleicht seien die vielerorts in Wohngebieten etablierten Bürgerhäuser ja die Kulturstätten der Zukunft.

Diese Vermutung würde mit den Vorstellungen der pensionierten Germanistin Elisabeth Stoye-Balk zusammen passen. Seit einiger Zeit engagiert sich die Seniorin im Heimatmuseum Erkner: „Früher habe ich diesen Verein immer belächelt, weil mein kulturelles Zentrum natürlich in Berlin lag“, erinnert sie sich. Wenn man älter werde, bevorzuge man jedoch Angebote in Wohnortnähe, einerseits aus Bequemlichkeit, andererseits weil die Bindung an den Heimatort tiefer werde, so Stoye-Balk. Da die Wünsche der befragten Senioren in gewissem Widerspruch stünden zu bisherigen Thesen des IRS, wolle man nun eine ausführliche Fallstudie in einer brandenburgischen Stadt durchführen, sagt Haller. „Wir haben bisher angenommen, dass sich überregionale Einrichtungen, zum Beispiel Berliner Bühnen, die auch Besucher aus dem Umland anziehen, am Markt besser behaupten werden, als lokal ausgerichtete Angebote“, erklärt Haller. Mit Hilfe der Fallstudie wolle man zukünftig Angebot und Nachfrage besser aufeinander abstimmen, heißt es im IRS. Man wisse bereits, dass es besonders wichtig sei, dass die kulturellen Einrichtungen gut erreichbar sind. Außerdem wolle man mit „Leuchtturmprojekten“ in benachbarten Regionen Werbung für kulturelle Angebote aus Brandenburg machen, so der Plan.

Andererseits müsse man sich vielleicht gar nicht so viele Gedanken machen, meint Seniorin Stoye-Balk optimistisch: „Die Silberlinge werden den Kulturschaffenden schon sagen, was sie wollen.“

Juliane Schoenherr

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