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Brandenburg: „Legen Sie sich hinten an!“

Endspurt bei der bis zum 19. September zu sehenden Jahrhundert-Schau MoMA

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Endspurt bei der bis zum 19. September zu sehenden Jahrhundert-Schau MoMA Von Burkhard Fraune Berlin - Der Kampf um die besten Plätze in der MoMA- Schlange in Berlin ist jetzt schon nachts im Gange, wenn sich die hartnäckigsten Fans des New Yorker Museums of Modern Art mit Schlafsäcken vor der Neuen Nationalgalerie niederlassen. Vordrängeln gibt es auch zu nächtlicher Stunde nicht: „Legen Sie sich hinten an!“ heißt es da schon mal. Im Endspurt der noch bis 19. September zu sehenden Jahrhundert-Schau mit 200 Meisterwerken der Malerei wird an diesem Mittwoch der einmillionste Besucher erwartet. Im September ist die Ausstellung teilweise sogar bis 2.00 Uhr nachts geöffnet. Seit Februar stehen jeden Tag Tausende an und warten bis zu acht Stunden. Geradezu mickrig wirkt dagegen die Besucherreihe, die täglich auf den begehrten Zugang zur Reichstagskuppel wartet. Der Massenandrang von „Kulturfreaks“ übertrifft selbst Bilder aus längst vergangenen Zeiten der Karajan-Ära, als sich zum Vorverkauf der begehrten Konzertkarten vor der Philharmonie ähnliche nächtliche Warteschlangen bildeten. Manche Kunsthungrige kommen jetzt schon um Mitternacht mit Schlafsäcken und Iso-Matten – der einzige Weg, morgens „ins MoMA“ zu gelangen, wie die Berliner kurz und bündig sagen, als wäre das New Yorker Museum vom Hudson-River an die Spree gezogen. Doch die Schau geht definitiv am 19. September zu Ende, und die Bilder gehen zurück in die USA. Die polnischen Kunststudenten Alexandra und Christopher haben sich erst um zehn Uhr vormittags angestellt – eine schlechte Zeit. Die Schlange macht schon eineinhalb Runden um den gläsernen Quader der Nationalgalerie. Dass ihm nun fünf Stunden Wartezeit blühen, ist dem Pärchen aber recht. „Wir wollen die wichtigsten Bilder der Kunstgeschichte unbedingt sehen“, sagt Christopher, der ein Tuch auf den Steinplatten vor dem Museum ausbreitet, einen Camembert auspackt und sich ein Brötchen schmiert. Alexandra, die sich zum Frühstück in der Schlange Kakao aus dem Tetrapack gönnt, meint: „New York ist einfach zu teuer für uns, dies ist unsere Gelegenheit.“ Und so sind die zwei kurzentschlossen von Lubiana nach Berlin getrampt. Wenig später wird die Schlange geschlossen. Katharina von Chlebowski vom Ausrichter der Kunstschau, dem Verein der Freunde der Neuen Nationalgalerie, sagt: „Wir rechnen, dass jeder Besucher zwei Stunden drin bleibt. Also müssen wir den Leuten bei acht Stunden Wartezeit schon zehn Stunden vor Schluss sagen: Stellen sie sich nicht an, sie kommen nicht mehr rein.“ Der Berliner Martin Schwedusch hat den enormen Andrang zu seinem Geschäft gemacht: mit den MoMA-Warteservice. Früh am Morgen steht der Student neben dem Kartenstand, ein Schild vor der Brust: „Sie besuchen Berlin, ich stehe für sie an.“ Für zehn Euro pro Stunde können ihn bis zu fünf Besucher buchen. Und während seine Auftraggeber auf dem nahen Potsdamer Platz Kaffee trinken, rückt Schwedusch für sie zur Ausstellung vor, langsam, Meter für Meter. „Ich rufe meine Kunden zwischendurch an und sage ihnen, wie weit ich bin.“ Kurz vorm Eingang übergibt der „Wartehelfer“ dann seinen Spitzenplatz – und stellt sich wieder hinten an. Die Schlangesteher werden gut unterhalten. Ein Querflötist stimmt die Besucher mit Mozart auf den Kunstgenuss ein, Verkäufer werben wie Marktschreier für ihre Brezeln, MoMA-Mitarbeiter verleihen Hocker für einen Euro und verkaufen Kataloge. Außerdem gibt es die „Momanizer“: Kunststudenten, die samt Staffelei mit der Schlange mitziehen und die wichtigsten Werke erklären, etwa den „Tanz“ von Matisse. „Ach, das war eigentlich ganz lustig in der Schlange“, meint Tanja Paqué. Die Lehramtsstudentin kann eine gute Wartebilanz vorweisen: Vier Stunden anstehen, fünf Stunden Ausstellung. Den Verdacht, die Schlange werde als Werbegag künstlich erzeugt, weist eine Sprecherin der Ausstellung zurück. „Höchstens tausend Besucher dürfen gleichzeitig rein, das ist die Vorgabe des MoMA.“ Sonst werde die Luft zu feucht für die unbezahlbaren Bilder.

Burkhard Fraune

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