Berlin - Einst waren es nur Männer, die Tarifverhandlungen führten. Und die eine gehörige Portion Machismo bewiesen. Und ganze Kerle sind hart. So hart, dass sie bis in die tiefe Nacht mit ihrem Gegner ringen, bis der völlig übermüdet einknickt und es endlich einen Abschluss gibt. Laut Verdi-Mann Roland Tremper, der bei vielen Branchenverträgen schon etliche Nächte verhandlungsführend durchgemacht hat, ist dies durchaus auch eine Erklärung, warum es fast immer in wichtigen Tarifkonflikten zu kräftezehrenden Nachtschichten kommt. Wie derzeit bei der BVG.
Ein inhaltlich viel wichtigerer Grund für die Verhandlungen zu später Stunde ist aber, dass in vielen Tarifkonflikten ein äußerer Druck her muss. Das sei der Fall, wenn „auf beiden Seiten die Probleme so groß und die Spielräume gering“ sind. sagt Tremper. Da muss man eben in den Verhandlungen richtig Kräfte lassen, damit auch den eigenen Leuten das Ergebnis, das vielleicht hinter deren Erwartungen zurückbleibt, besser zu vermitteln ist. Außerdem sind Nachtverhandlungen Teil der Rituale, die den Unterredungen durch ihre Gleichförmigkeit einen Rahmen geben. Der kann schon für eine gewisse Sicherheit bei den Gesprächen führen. Nachtrunden gibt es meist in der Endphase der Verhandlungen.
Was dann am nächsten Morgen stolz als Ergebnis präsentiert wird, sind oft nur Eckpunkte. Bei der BVG-Runde vor drei Jahren wurden die nur auf einem Schmierzettel festgehalten. Manchmal sind die Vereinbarungen auch nur so vage, dass in sogenannten Redaktionsrunden noch einmal nachgebessert werden muss. Die sind bisweilen so schwierig, dass erneut lange Nachtsitzungen nötig werden.
Tarifrunden werden gerne mit Metaphern aus der Welt des Spielens, des Zockens versehen. Man spricht von Tarifpoker und der Mikadotaktik nach dem Motto: Wer sich zuerst bewegt, hat schon verloren. Das Ambiente ist dabei auch nicht zu vernachlässigen. Der Verhandlungssaal darf nicht zu protzig sein – das verschreckt die Gewerkschafter – und nicht zu proletarisch. Das stößt bei den Arbeitgebern auf Unbehagen. Vor allem darf der Raum nicht zu gemütlich sein; keiner der Tarifpartner möchte, dass sich sein Gegenüber zu wohl fühlt. Gerne eignet man sich deshalb auf nüchterne Tagungshotels.
Ein anderes Klischee allerdings wird auch in den langen Nächten bestätigt. Gewerkschafter trinken Kaffee ohne Ende. Starken Kaffee. Bei den personenstarken Tarifkommissionen müssen Unmengen von Kannen auf den Tisch. Allerdings muss man das viele Trinken auch vertragen können. Denn nach wie vor gilt besonders für die Verhandlungsführer: Ganz schlecht ist es, in einer wichtigen Gesprächsphase zur Toilette zu müssen. Da gibt man sich eine Schwäche, gerät ins Hintertreffen. Darüber hat sich einst auch Heide Simonis, Ex-Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, ausgelassen, die viele Verhandlungen für die öffentlichen Arbeitgeber führte – selbst in den Neunzigern noch oft als einzige Frau in der Runde: „Ich kann stundenlang am Tisch sitzen, bis das Ergebnis in der Scheune ist. Das macht Männer fertig.“ Mit Machismo kommt man inzwischen eben auch nicht mehr weiter. Sigrid Kneist
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