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Von Thorsten Metzner: Märkische Schildbürger

Weil ein Verfassungsschützer in einer Familienfehde leicht verletzt wurde, klagt das Land Brandenburg auf Schadenersatz – koste es was es wolle

Stand:

Potsdam - Einen solchen Fall hat Wolfgang Loukidis in seiner langjährigen Berufspraxis als Anwalt noch nicht erlebt. „Wie das Land Brandenburg hier vorgeht, wie es prozessiert, koste es was es wolle, das ist Verschwendung von Steuergeldern“, sagt Loukidis. „Man schießt mit Kanonen auf Spatzen und das nur, weil ein Verfassungsschützer im Spiel ist.“ Genau das ist wahrscheinlich das Pech seines Mandanten: Lubomir Ivancik, 75 Jahre, ein blinder, einst aus Prag nach Deutschland ausgewanderter und mittlerweile in Marburg lebender Musiker. Der war nämlich aus zorniger Liebe zu seinem Kind mit einem märkischen Geheimdienstler tätlich aneinander geraten.

Allerdings liegt der Vorfall, der diverse brandenburgische Gerichte beschäftigt, schon Ewigkeiten zurück. Hintergrund ist ein sehr, sehr privates Familiendrama, wie es gar nicht so selten vorkommt. Es war am 1. Februar 2003, als Ivancik, der im betagten Alter noch einmal Vater geworden war, den in Caputh lebenden Großvater seines damals 4-jährigen Kindes verletzt haben soll: Peter G., ein hochrangiger Potsdamer Verfassungsschützer, soll dabei nach den Gerichtsunterlagen unter anderem eine Prellung und eine geschwollene Unterlippe davon getragen haben.

Vater Ivancik hatte es nicht verwinden können, dass seine kleine Tochter nach der Trennung der Eltern bei Mutter und Großeltern in Caputh blieb. Fest steht, dass nach der Tätlichkeit seines verhassten Ex-Schwiegersohns Verfassungsschützer Peter G., laut Gerichtsunterlagen damals Leiter der Arbeitsgruppe „Personeller und materieller Geheimschutz“ zwei Wochen arbeitsunfähig geschrieben war. Denn der Geheimdienstler, so gab es seine Behörde jedenfalls dem Gericht zu Protokoll, habe „ausgesuchte Personen zu sicherheitsrelevanten Sachverhalten“ zu befragen, was „höchste Konzentration“ erfordere. Diese Aufgabe habe er „aufgrund der notwendigen Sensibilität in Bezug auf die Gesprächsinhalte“ wegen der Verletzung nicht wahrnehmen können.

Nun hat Ivancik dafür bereits gebüßt. Das Amtsgericht Potsdam stellte das Strafverfahren gegen ihn wegen Körperverletzung im November 2003 ein, wegen geringer Schuld. Im Gegenzug musste der Tscheche 650 Euro an einen gemeinnützigen Verein zahlen. Doch für die brandenburgische Staatsmacht ist der Fall damit merkwürdigerweise trotzdem nicht erledigt. Nunmehr seit fünf Jahren versucht das Land Brandenburg – „vertreten durch den Finanzminister Rainer Speer“ – mit allen Mitteln unerbittlich 4596,32 Euro Schadenersatz nebst Zinsen einzutreiben, für die damalige Gehaltsfortzahlung an den Beamten und für die bewilligten Krankheitskosten. Ein Novum, der Gewerkschaft der Polizei etwa ist kein Fall bekannt, dass das Land etwa bei im Dienst verletzten Polizisten ebenso gegen die Verursacher vorgeht. Und doch wandert seit 2004 der bizarre Zivilprozess zwischen den Instanzen immer hin und her, zwischen dem Potsdamer Amts- und dem Landgericht, ein juristisches Pingpong.

Vor ein paar Wochen war es wieder einmal so weit. Nachdem das Potsdamer Amtsgericht am 12. März 2008 Ivancik zur Zahlung der halben Summe verdonnert hatte, der Tscheche in Berufung ging, lag der Fall im November 2008 wieder beim Potsdamer Landgericht, auch bereits zum zweiten Mal. Und die dortige Vorsitzende Richterin Sabine Glocker hob am 30. November 2008 das Urteil der Vorinstanz prompt auf und gab den Fall postwendend an das Potsdamer Amtsgericht zurück, dem „Verfahrensfehler“ bescheinigt wurden. „Das Amtsgericht hat es sich zu einfach gemacht. Es hat verabsäumt, Beweise zu erheben“, erklärte Glocker. Die zwingend nötige „aufwändige Beweisaufnahme“, bei der nun nach mehr als sechs Jahren noch aufgeklärt werden soll, was an jenem 1. Februar 2003 wirklich zwischen Ivancik und Peter G. passiert ist, soll nun nachgeholt werden.

Freilich, das Land Brandenburg könnte viel Geld sparen, wenn es auf die Schadenersatzklage gegen Ivancik einfach verzichten würde. Vergeblich hat dies sein Anwalt Loukidis mehrfach angeregt, zumal der Tscheche fast mittellos ist. „Es ist bekannt, dass das Land Brandenburg, selbst wenn es am Ende gewinnen sollte, bei Ivancik kaum etwas vollstrecken kann“, sagt Loukidis fassungslos.

Das Land Brandenburg sieht das – bislang – anders. Sein aus der Landeskasse bezahlter Prozessvertreter erklärte in allen Verfahren lapidar, es gebe keine Möglichkeit, die Forderungen fallen zu lassen. „Das Land hat gezahlt, und kann auf das Geld nicht verzichten.“ Und so wird das Potsdamer Amtsgericht demnächst auf Staatskosten Zeugen aufmarschieren lassen, um irgendwann zum dritten Mal ein Urteil zu verkünden, gegen das der Unterlegene wieder in Berufung beim Landgericht gehen kann. Egal, wie viel Zeit, wie viel Geld es noch kostet. Längst haben die Gerichts- und Anwaltskosten die Streitsumme von 4596,32 Euro überschritten, die Finanzminister Rainer Speer wegen eines in einer Privatfehde verletzten Verfassungsschützers für das Land Brandenburg einklagen will.

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