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Protestaktion "Die Toten kommen": "Marsch der Entschlossenen" hebt Gräber vor dem Bundestag aus

Tausende Demonstranten sind als "Marsch der Entschlossenen" vor den Bundestag gezogen und haben nun dutzende Gräber ausgehoben. Wir berichten live.

Stand:

Mehr als 50 Gräber sind mittlerweile auf dem Rasen zwischen Bundestag und Kanzleramt ausgehoben worden. Der "Marsch der Entschlossenen" ist jetzt zu großen Teilen auf der Wiese. Auf die ausgehobenen Gräber werden Blumen gelegt, Kreuze mit Aufschriften wie "Stoppt Abschiebungen" in die Erde gestoßen. Erste behelmte Polizisten kommen auf den Rasen, einige treten dabei auf ein paar der frisch ausgehobenen Gräber, unabsichtlich jedoch, wie es scheint. Eine junge Frau, die ihren Namen nicht nennen will, hofft, dass die Idee auf andere Städte überschwappen wird: "Jeder kann sehen, dass wir friedlich sind. Dass wir etwas verändern wollen - und zwar jetzt. Das Sterben im Mittelmeer muss aufhören".

Die Polizei schreitet trotz des zuvor ausgesprochenen Verbots bislang nicht ein. Am Rande der Demonstration sagt einer der Beamten zu seinem Kollegen: "Aktuell ist es so voll, dass wir keine Maßnahmen durchführen können". Der zweite antwortet, lakonisch: "Und sie graben fließig weiter."

Plötzlich fällt der Zaun

Die ersten Teilnehmer des Marsches waren gegen halb Vier vor dem Kanzleramt angelangt. Plötzlich wurde es ruhig zwischen den Demonstranten, ein Trompeter spielt eine Trauermelodie, die Menge verstummt in einer Schweigeminute. Einzelne zünden Kerzen an. Es gibt keine Anzeichen gewalttätiger Aktionen.

Dann rütteln einige an dem Zaun, der um den Rasen aufgestellt war. Die Gitter geben nach, Tausende strömen auf den Rasen. Es geschieht doch: Erste Menschen stoßen Schaufeln in das Grün. Dutzende Gräber werden plötzlich ausgehoben. Die Stimmung bleibt dabei ruhig, die Polizei schreitet nicht ein. "Ein extrem ergreifender Moment", sagt die Teilnehmerin Svenja Brackel. Das sei ziviler Ungehorsam, wie er sein sollte, fährt die 29-jährige Erzieherin fort: "Ich glaube, sogar die Polizei ist auf unserer Seite."

Gegen 15.00 war die Spitze des Marsches am Jakob Kaiser Haus angelangt. Da war das Ende des Zuges noch immer nicht losgelaufen. Mit Klebeband hinterlassen Demonstranten schwarze Kreuze an den Häuserwänden und auf der Fahrbahn. Sprechchöre kritisieren Frontex und die aktuelle Abschiebepraxis. Als die ersten am Bundestag vorbeilaufen skandieren sie: "Es klebt Blut an euren Händen!"

"Seid nicht kreativ!"

Ab 14.00 Uhr sammelten sich zunehmend mehr Teilnehmer an der Ecke Unter den Linen/ Charlottenburger Straße. Die Polizei gibt als erste Schätzung 1000 Demonstrationsteilnhemer an. Tagesspiegel-Redakteur Sebastian Leber schätzt die Menschenmenge nun jedoch schon auf mindestens 2000 Teilnehmer. Gegen 14.30 setzte sich der Marsch in Bewegung, als erste Ansage schallte aus dem Megaphon: "Seid nicht kreativ! Macht keine Aktionen." Von Bebelplatz tönt Orchestermusik hinüber. Dort findet zeitgleich die Veranstaltung "Staatsoper für alle" statt.

Jedoch, der Zug kommt bislang kam zunächst voran, zu groß war das Gedränge. Das Publikum ist gemischt, "vom Hipster bis zur älteren Aktivistin und Eltern mit Kinderwagen", beschreibt Reporter Werner van Bebber die Teilnehmer. Mehr als 8.000 Menschen haben auf Facebook ihre Teilnehme an der Veranstaltung angekündigt.

Der Abmarsch verzögerte sich zunächst aufgrund organisatorischer Probleme. Zahlreiche Teilnehmende haben haben Grabschmuck und Blumen dabei, einzelne tragen kleine Holzkreuze aus Sperrholz vor sich her, andere haben aus Styropor große Grabsteine gebastelt. Andere haben einen Kinderbagger dabei, hüfthoch - einen großen Bagger hatte die Polizei ihnen verboten, weil sie vor dem Kanzleramt Leichen von Flüchtlingen bestatten wollten.

Anreisende zur Demo wurden von der Polizei auf Schippen kontrolliert. Der Protestmarsch ist Teil der großangelegten Kunstaktion "Die Toten kommen", bei der in den vergangenen Tagen bereits zwei verstorbene Flüchtlinge in Berlin bestattet worden waren. Damit wollen die Aktionskünstler des Zentrums für Politische Schönheit auf die Mißstände in der Flüchtlingspolitik der EU aufmerksam machen.

Die Aktivisten haben mittlerweile einen Video-Livestream eingerichtet:

Zum Kanzleramt dürfen die Aktivisten allerdings nicht. Die Polizei hatte den geplanten Leichenzug vor das Kanzleramt verboten. Wie die Veranstalter vom Zentrum für politische Schönheit am Sonnabend mitteilten, beruft sich die Polizei auf das Berliner Bestattungsgesetz. Auch die Nutzung des Forums am Bundeskanzleramt wurde untersagt. Die Demonstranten riefen die Teilnehmer daraufhin zutiefst zynisch dazu auf, weder Särge noch Holzkreuze mitzubringen, nicht kreativ zu sein, sich nicht selbst zu organisieren. Zugleich verurteilten sie die Entscheidung als „Akt grober Staatsgewalt gegen die Kunstfreiheit“. Die Polizei erlaubt den Zug nur bis zur Heinrich-von-Gagern-Straße.

Am Sonntagvormittag twitterte das Zentrum für Politische Schönheit: "Danke an die Berliner Polizeibehörden, die Wasserwege zum Kanzleramt von allen Auflagen ausgenommen zu haben. Die Toten sind verladen."

Was genau geplant ist, ist derzeit unklar. Die Polizei glaubt, dass es sich beim Tweet des Zentrums für Politische Schönheit um Sarkasmus handelt. Der Protestmarsch dürfe wie geplant stattfinden.

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