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Mehr als Ostalgie: Im DDR-Museum Perleberg steht die Aufarbeitung im Mittelpunkt
75 Jahre DDR-Gründung, 35 Jahre Mauerfall: DDR-Geschichte steht derzeit wieder im Fokus. Ein Museum in Perleberg verbindet Alltagskultur mit der Lebensgeschichte der Museumsgründer.
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Die beiden grauen Gebäude am Rande der Innenstadt von Perleberg (Landkreis Prignitz) wirken auf den ersten Blick unscheinbar. Doch wer sie betritt, begibt sich in eine Art Zeitmaschine. Hier ist das DDR-Museum untergebracht, das die Vergangenheit für einen kurzen Moment wieder auferstehen lässt.
Der Grenzzaun und die Wachtürme, eine komplette Wohnungseinrichtung mit Schrankwand im Wohnzimmer, Original-Fernseher aus Staßfurt oder mehrere „Trabis“ und Simson-Mopeds in der Garage: Gisela und Hans-Peter Freimark haben unzählige Kuriositäten und Original-Exponate aus einer untergegangenen Welt gesammelt.
Angefangen hat alles 2006, als die beiden in Rente gingen und in ihre Heimatstadt Perleberg im Nordwesten Brandenburgs zurückkehrten. Viele Jahre haben sie in Neustadt (Dosse) gelebt, er als evangelischer Pfarrer, sie als Gemeindehelferin.

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Hans-Peter Freimark, der im Oktober 2020 starb, hatte nach der Wende 1989/90 die Sammelleidenschaft gepackt. Er trug alles zusammen, was sonst wohl auf dem Müll gelandet wäre: Eine komplette Bar mit Getränkemarken, die es heute meist gar nicht mehr gibt, oder einen Kaufladen mit Ostprodukten.
Hinzu kommen Uniformen der Volkspolizei, Fahnen und Spruchbanner der „Freien Deutschen Jugend“ (FDJ), der Jugendorganisation der Staatspartei SED, oder eine alte Waschmaschine, die für den Film „Zwei zu eins“, der die Einführung der D-Mark in der DDR kurz vor der Wiedervereinigung thematisiert, als Kulisse diente.
Museumsgründer waren im Visier der Stasi
Dabei waren die Freimarks weit davon entfernt, eine DDR-Nostalgie zu bedienen. Ihr Mann sei schon als Jugendlicher unangepasst gewesen und ins Visier der DDR-Staatssicherheit geraten, erzählt Gisela Freimark. Als Pfarrer – zunächst in der Nähe von Senftenberg, dann in Neustadt (Dosse) – habe ihr Mann vor allem einen guten Draht zu Jugendlichen gefunden. Dem kirchenfeindlichen DDR-Regime war er damit ein Dorn im Auge.

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In den Stasi-Akten sei sogar von einer „Liquidierung“ des Pfarrers die Rede gewesen. Ob die Pläne der Stasi je konkret wurden, lasse sich zwar nicht nachweisen. Allerdings hätten bei Freimarks Barkas, einem Kleintransporter, bei einer Fahrt mit Jugendlichen plötzlich die Bremsen versagt, obwohl der Wagen frisch gewartet gewesen sei, erzählt Gisela Freimark.
In einem Raum im Museum steht ein großer Sarg. Mit ihm hat das Paar damals gegen das Wettrüsten in Ost und West protestiert – und insbesondere gegen eine Atomschutzübung, die in Neustadt stattfinden sollte. Mithilfe des „Operativen Vorgangs Spinne“ wollte die Stasi das renitente Pfarrers-Ehepaar ruhigstellen, was ihr allerdings nicht gelang.
Eine Form der Vergangenheitsbewältigung
So ist das DDR-Museum für Gisela Freimark eine Form der eigenen Vergangenheitsbewältigung. Auch wenn die Ausstellung bewusst die DDR-Alltagsgeschichte widerspiegeln will, ohne die Vergangenheit zu verklären.
Mein Mann konnte beim Sammeln nie nein sagen.
Gisela Freimark, Museumsbetreiberin
„Die Ostalgie bedienen wir auch“, sagt Gisela Freimark. „Mein Mann konnte beim Sammeln nie nein sagen.“ Aber im Vordergrund soll die Aufarbeitung stehen. Es gehe darum, den Menschen ein Gefühl von der DDR-Zeit zu vermitteln und sie zum Nachdenken zu bringen. Dazu wird das Museum multimedialer: Es gibt mittlerweile QR-Codes, die mit dem Smartphone gescannt werden können.
Mehrere DDR-Museen in Brandenburg
Dieses Konzept findet auch Zustimmung beim Museumsverband Brandenburg. Das DDR-Museum nimmt aus Sicht von Geschäftsführer Arne Lindemann eine besondere Stellung in der brandenburgischen Museumslandschaft ein, da es über regionalgeschichtlich bedeutende Bestände zur DDR-Zeit verfüge. Zudem sei es durch die Verknüpfung mit der Lebensgeschichte der Familie Freimark besonders dazu geeignet, die Geschichte der DDR im örtlichen Kontext zu erzählen.
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Seit 2018 gibt es im Verband das Netzwerk „DDR-Geschichte im Museum“, dem nach eigenen Angaben landesweit rund 30 Museen angehören. Wie viele DDR-Museen in Brandenburg existieren, sei allerdings kaum zu beziffern, sagt Lindemann. Neben dem Perleberger sei vor allem das „Museum Utopie und Alltag“ in Eisenhüttenstadt (Oder-Spree) zu nennen. Ebenso beschäftigten sich viele der Stadt- und Regionalmuseen, aber auch eine Reihe Spartenmuseen mit der DDR-Zeit.
Erst Vorwürfe, dann Bundesverdienstkreuz
Für die Gestalter des DDR-Museums in Perleberg war es zu Beginn nicht einfach, erinnert sich Gisela Freimark. „Rufmord“ habe man dem Ehepaar vorgeworfen, außerdem eine Gleichsetzung von DDR und Nationalsozialismus, da Hans-Peter Freimark auch zur NS-Zeit einige Exponate gesammelt hatte.
Doch inzwischen haben sich die Zeiten geändert: Kurz vor dem Tod des Pfarrers erhielten er und seine Frau das Bundesverdienstkreuz aus den Händen von Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) und trugen sich in das Goldene Buch ihrer Heimatstadt ein. „Die Wahrheit hat Zeugen nötig“, schrieb Freimark damals. Einen Tag nach dem 30. Jahrestag der Deutschen Einheit, am 4. Oktober 2020, starb er.
Die Zukunft des Museums ist ungewiss
Seitdem führt Gisela Freimark das Museum allein, mit einem rund 20-köpfigen Trägerverein im Hintergrund. Rund 150 Besucher im Monat kommen den Angaben zufolge, davon etwa ein Drittel Kinder und Jugendliche. Wie es mit dem Museum einmal weitergeht, wenn die 76-Jährige es nicht mehr schafft, darauf hat sie noch keine Antwort.
Diese Entwicklung ist kein Einzelfall. Die Anzahl der privat getragenen DDR-Museen gehe zurück, sagt Museumsverbands-Geschäftsführer Arne Lindemann. Sie basierten oft auf persönlicher, ehrenamtlicher Sammelleidenschaft, die nicht selten mit dem Tod der Initiatoren ende. Ein Beispiel sei das jüngst aufgelöste DDR-Museum in Premnitz im Havelland.
Der Generationswechsel im Ehrenamt sei ein großes Thema für die Museumslandschaft, berichtet Lindemann. Fast jedes zweite der knapp 400 Museen in Brandenburg werde von Vereinen getragen. Vielerorts klappe der Übergang gut. Wichtig sei, frühzeitig Nachwuchs für die Arbeit im Museum zu gewinnen.
In Perleberg steht dieser Schritt noch aus, um eine einzigartige Sammlung zur DDR-Geschichte zu sichern – gerade in einer Zeit, in der Ost-West-Unterschiede wieder zu wachsen scheinen und sich viele Menschen nach einer vermeintlich „guten alten Zeit“ sehnen. (dpa)
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