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Die in Deutschland verbreitete Waldzecke lässt sich meist von Grashalmen und Blättern abstreifen.

© dpa

Ungeziefer: „Mehr Angst als vor dem weißen Hai“

Nirgendwo in Deutschland ist ein Zeckenstich so gefährlich wie im Osten Brandenburgs. Entsprechend hoch ist die Zahl der Borreliose-Infektionen.

Von Matthias Matern

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Potsdam/Berlin - Es ist nur ein kleiner Stich, doch nicht selten mit schlimmen Folgen. Im vergangenen Jahr wurden im Land Brandenburg 1598 Borreliose-Infektionen gemeldet, rund 100 mehr als im Jahr zuvor. Übertragen wird die Krankheit, die praktisch jedes Organ befallen und nur mit schwersten Medikamenten behandelt werden kann, durch den Stich des sogenannten Holzbocks, eine von rund 20 heimischen Zeckenarten. In diesem Jahr sind nach Angaben des Berliner Robert-Koch-Institutes (RKI) landesweit bereits 168 Borreliose-Fälle registriert worden, davon allein 24 im Kreis Märkisch-Oderland. „Nirgends in Deutschland ist die Infektionsgefahr so groß wie in Ostbrandenburg“, sagt Professor Matthias Freude, Präsident des brandenburgischen Landesumweltamtes (LUA).

Kamen im vergangenen Jahr in Märkisch-Oderland auf 100 000 Einwohner 122,31 Borreliose-Fälle, waren es in Potsdam Mittelmark nur knapp 42 und im Spree-Neiße-Kreis nur 11,08. Grund für die überdurchschnittliche Infektionsgefahr ist laut Freude, dass in der Oderregion besonders viele Holzböcke die sogenannten Borrelien tragen – den Erreger, der zur Borreliose führt. „Der Durchseuchungsgrad der Zecken ist unterschiedlich. In Märkisch-Oderland sind es an die 45 Prozent“, erläutert der LUA-Präsident. Die durchschnittliche Durchseuchungsrate in Deutschland liege dagegen bei 20 Prozent. Eine weitere Schwerpunktregion in Brandenburg sei der Nordwesten, doch erreiche die Durchseuchungsrate in den Landkreisen Prignitz, Ostprignitz-Ruppin und Havelland nicht den Wert der Oderregion, sagt Freude.

Wenn auch nicht tödlich, so ist Borreliose nach Freudes Meinung dennoch eine „extrem böse, praktisch unheilbare Krankheit“. Breitet sich der Erreger im Körper aus, leiden Patienten häufig an Fieber und Kopfschmerzen. Typisch sind auch starke Schweißausbrüche. Außerdem kann es zu einem Befall der Organe, der Gelenke und Muskeln sowie des zentralen Nervensystems kommen. „Die Folge sind Gedächtnisausfälle, motorischen Störung und Sprachstörungen“, sagt der LUA-Präsident. Wird die Borreliose nicht rechtzeitig erkannt, kann sie chronisch werden. Eine zweite Krankheit, die durch einen Zeckenstich überragen werden kann, die sogenannte Frühsommerhirnhautentzündung FSME, spielt in Brandenburg kaum eine Rolle. Nur fünf Fälle wurden zwischen 2004 bis 2007 gezählt. Aus diesem und dem vergangenen Jahr ist kein Fall bekannt.

Bei der Angabe von Borreliose-Erkrankung gibt es gravierende Unterschiede, die aber dem Trend nicht widersprechen. Demnach lag die Zahl der Borreliose-Infektionen in Brandenburg lange Jahre auf gleichbleibend hohem Niveau, sank aber von 2009 auf 2010 wegen des kalten Winters deutlich. Für 2009 gibt die Kassenärztliche Bundesvereinigung allein 1566 Erkrankungen in Märkisch-Oderland an, während laut RKI im selben Jahr gerade einmal landesweit 2016 Fälle zu beklagen waren. Allerdings handelt es sich bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung um Abrechnungsdaten der Ärzte.

„Man kann Meldedaten nicht mit Abrechnungsdaten vergleichen“, meint dazu RKI-Sprecherin Susanne Glasmacher. Beide Erhebungen haben ihre Schwächen. Zum einen sei nicht jedes Bundesland verpflichtet Daten an das RKI zu melden. Obendrein gebe es Unterschiede bei der Ausgestaltung der Meldepflicht. Bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung wiederum würden nicht selten Fälle doppelt gezählt, etwa wenn sich eine Behandlung über mehrere Quartale erstreckt, oder der Patient einen zweiten Arzt zu Rate zieht, so Glasmacher.

Soweit sollte man es gar nicht erst kommen lassen, warnt der LUA-Präsident, der nach eigenen Angaben bereits Hunderte Zeckenstiche ertragen hat. „Ich habe vor keinem Tier so viel Angst wie vor dem Holzbock, mehr als vor jedem Löwen, Elefanten oder weißen Hai.“ Wer sich in der Natur bewegt, sollte sich abends gründlich absuchen. „Kniekehlen, Armbeuge, Leistengegend, Genitalbereich, Achselhöhle und hinter dem Ohr.“ Da sich die Borrelien im Zeckendarm befinden, dauere es zwischen zwölf und 18 Stunden, bis der Erreger in die Blutbahn gelange. Wer die Zecke vorher mit einer Pinzette oder den Fingernägeln entfernt, brauche keine Angst haben, infiziert zu werden. „Etwas Geduld und leicht ruckeln“, rät RKI-Sprecherin Glasmacher. „Nur nicht mit Öl betröpfeln, sonst erbrechen sich die Zecken und der Erreger gelangt umso schneller ins Blut“, warnt Freude.

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