Brandenburg: „Mein Gott, da haben wir an einem Tabu gerührt“ Grünen-Fraktionschef Axel Vogel über seine Kritik an den Agrarstrukturen im Land Brandenburg
Herr Vogel, Ministerpräsident Matthias Platzeck soll an diesem Freitag im Hauptausschuss des Landtages die Position der Landesregierung zur Zwangskollektivierung erläutern. Er sagt, die Debatte werde „immer mehr gaga“.
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Herr Vogel, Ministerpräsident Matthias Platzeck soll an diesem Freitag im Hauptausschuss des Landtages die Position der Landesregierung zur Zwangskollektivierung erläutern. Er sagt, die Debatte werde „immer mehr gaga“. Werden Sie immer mehr gaga?
Ich sehe, dass Nebelkerzen geworfen werden und vom Kern, um den es eigentlich geht, abgelenkt wird. Insofern ist die Diskussion gaga. Der Kern ist zunächst die Auseinandersetzung um den 50. Jahrestag der Zwangskollektivierung, wo die Landesregierung viel zu lange geschwiegen und eben nicht deutlich gemacht hat, wie sie dies historisch-kritisch bewertet.
Aber welche Nebelkerzen bitte?
Nebelkerzen werden geworfen, indem der Präsident des Landesbauernverbandes, Udo Folgart, unterstellt, dass die historisch-kritische Betrachtung der Kollektivierung und der Entstehung der großen Agrarstrukturen in Brandenburg eine Beleidigung der Landbevölkerung sein soll.
Aber Sie können schon verstehen, dass sich die einfachen Mitarbeiter in den Landwirtschaftsbetrieben vor den Kopf gestoßen fühlen, wenn ihnen gesagt wird, sie stünden in einer Traditionslinie mit Leninismus und Frühkommunismus?
Das bezieht sich nicht auf konkrete Personen oder die Betriebsführung, die sich natürlich nicht nach lenin''schen Prinzipien ausrichtet. Das war überhaupt nicht gemeint. Gemeint war, dass eine Traditionslinie besteht, beginnend mit dem kommunistischen Manifest 1848 über das lenin''sche Genossenschaftsprogramm – also Enteignung der Großgrundbesitzer und Verteilung an Landwirte und nachfolgend Kollektivierung, erst freiwillig, dann mit Zwang gegen diejenigen, die sich verweigern – und in der DDR fortgeführt zwischen 1945 und 1960 von Ulbricht. Die hieraus entstandenen großen Landwirtschaftsstrukturen in Brandenburg haben 1989 überdauert und bestehen seither im Wesentlichen fort. Ich denke, es lohnt sich darüber nachzudenken.
Stellen Sie die Agrarstruktur infrage, weil sie durch Unrecht entstanden ist?
Nein, deshalb stelle ich sie nicht in Frage. Es gab nach 1989 wegen der Dominanz aktiver Interessenvertreter der LPG und der Volkseigenen Güter auch in der Bundespolitik eine klare Positionierung zur Absicherung großer Agrarstrukturen. Ich erinnere an die Auseinandersetzungen der LPG mit den Genossen, von denen sich viele über den Tisch gezogen fühlten. Oder das zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz, mit dem man Begünstigten der Bodenreform, meist Neueinrichter aus früheren Ost-Gebieten, die Flächen wieder entzogen hat. Der Bund hat in Brüssel versucht zu verhindern, dass es Einschränkungen für die größeren Landwirtschaftsbetriebe gibt. Gleichzeitig hat man neuen Betrieben Steine in den Weg gelegt und so die Entstehung vielfältigerer Strukturen behindert. Bis heute versucht man bei der Privatisierung des BVVG-Vermögens besonders günstige Konditionen für Pacht und Erwerb für die großen Betriebe zu erreichen. Im Ergebnis all dessen sind diese in der Lage, kleineren bäuerlichen Betrieben die Flächen unter dem Hintern wegzukaufen. Das beste Beispiel ist das Vorgehen von Folgarts eigenem Betrieb im Havelland.
Was ist gegen die Ist-Struktur zu sagen?
Die Ironie ist doch, dass nach 1989 aus vielen ehemals sozialistischen LPGen kapitalistisch strukturierte Betriebe entstanden sind, mit Geschäftsführern und Angestellten. Gerade diese Betriebe laufen heutzutage Gefahr, von von Finanzinvestoren übernommen zu werden. Dadurch löst sich jedoch das Eigentum am Boden von der Bindung an die Region. Das ist ein Problem.
Und wie erklären Sie sich die massive Abwehrhaltung nach ihren Äußerungen?
Mein Gott, da haben wir an einem Tabu gerührt, das über die letzten 20 Jahre in ganz Ostdeutschland bestanden hat! Tabubruch bedeutet, dass Ängste aufbrechen. Aber er ermöglicht auch, sich produktiv mit der Geschichte auseinanderzusetzen und sich zu überlegen, wie man begangenes Unrecht wieder gutmachen kann. Die Länder haben sich mehrere zehntausend Hektar von ehemaligen Neusiedlern angeeignet, die sich immer noch in Landesbesitz befinden. Der Bund hat sich vorbehalten zu entscheiden, was mit diesen Flächen geschehen soll. Damit könnte man zum Beispiel Neueinrichter entschädigen, die im Rahmen der LPG-Auseinandersetzung individuelles Unrecht erfahren haben. Das ist ein Ansatz, den man in der Enquetekommission diskutieren sollte.
Das Duo aus CDU-Frau Johanna Wanka und Grünem Axel Vogel hat die Oppositionsarbeit dominiert. Frau Wanka ist weg, und bei der Agrardebatte gibt es erste Absetzbewegungen aus der CDU, um die Grünen zurechtzustutzen.
Einige haben geredet, bevor sie gelesen haben, was ich tatsächlich gesagt habe. Es gibt Ängste davor, sich seiner eigenen Vergangenheit zu stellen. Die Vereinigung der Bauernpartei mit der CDU kurz nach der Wiedervereinigung hat natürlich Auswirkungen gehabt. Es hat in der Union eine Präsenz von Vertretern der DDR-Agrarwirtschaft bis in die letzte Legislaturperiode hinein gegeben. Die Aussage von Frau Wanka war immer, dass sie sich mit diesem Thema auseinandersetzen will. Ich gehe davon aus, dass ihre Nachfolgerin Frau Ludwig das genauso sieht.
Ihre Kritiker haben ein schlagendes Argument: Den Erfolg der großen Betriebe.
Aber der ist doch relativ. Die Frage ist, ob eine vielfältig und ökologisch strukturierte Landwirtschaft nicht wesentlich mehr Arbeitsplätze und Wertschöpfung bringen würde als diese großen Betriebe, die zu einem beträchtlichen Teil von Subventionen leben. Ich nenne nur den massiven Anbau von Mais oder den irrsinnigen Ausbau der Massentierhaltung. Abgeordnete der Linken äußerten doch sofort die Meinung, nur Kartoffelreihen bis zum Horizont garantierten eine ökonomisch vernünftige Landwirtschaft in Brandenburg. Das sehen wir nicht so. Diversifizierte ökologisch wirtschaftende Betriebe tragen auch zum Landschaftsschutz und zum Landschaftsbild bei. Sie schaffen Strukturelemente, die in der DDR durch die Komplexmelioration beseitigt wurden. Für die SPD sind sie nun der grüne Wessi aus Bayern, der die Mark nicht versteht.
Abgesehen davon, dass meine familiären Wurzeln in Thüringen liegen und ich seit 1991 in Brandenburg erfolgreich für eine nachhaltige regionale Strukturentwicklung Verantwortung getragen habe, habe ich mehr brandenburgische Landwirtschaftsbetriebe von innen gesehen als die meisten hiesigen SPD-Vordenker.
Das Interview führte Alexander Fröhlich
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