Brandenburg: Ministerium sieht keine Pannen in NSU-Affäre
V-Mann des Verfassungsschutzes war im unmittelbaren Umfeld des Neonazitrios aktiv – geholfen hat es nichts
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Potsdam - Das brandenburgische Innenministerium sieht trotz jetzt durch PNN-Recherchen bekannt gewordener Verstrickungen eines V-Manns in das Umfeld des NSU-Mördertrios keine Verfehlungen bei der Verfassungsschutzabteilung. Wie berichtet war Carsten S., Deckname „Piatto“, weit stärker im unmittelbaren Unterstützerkreis der NSU im sächsischen Chemnitz aktiv als bislang bekannt. „Es bleibt in Bezug auf Piatto bei der bisherigen Einschätzung, wonach Brandenburg alle relevanten Informationen seinerseits an die zuständigen Dienststellen anderer Bundesländer und des Bundes weitergeleitet hat“, sagte dagegen ein Sprecher des Innenministeriums. Dennoch werde der Erkenntnisstand fortlaufend vor dem Hintergrund der laufenden Aufarbeitung des NSU-Komplexes überprüft. Zu den Vorgängen rund um den V-Mann Piatto und dessen Agieren im Unterstützerkreis des NSU wollte der Sprecher nichts Näheres sagen. „Zu quellenbezogenen Informationen äußern wir uns im Detail grundsätzlich nicht öffentlich“, sagte er.
Wie die PNN berichteten war der V-Mann in bundesweite Ermittlungen für ein Verbotsverfahren gegen das rechtsextremistische Netzwerk „Blood and Honour“ eingebunden. Dabei hatte er auch engen Kontakt zu zwei Personen aus dem unmittelbaren Helferkreis des NSU in Chemnitz und gab 1998 mehrfach Hinweise zu einem gesuchten Neonazi-Trio, dessen Aufenthalt im Raum Chemnitz und zu dessen Bestrebungen, sich mit Waffen zu versorgen und unterzutauchen. Piatto war bundesweit eine der wenigen Quellen überhaupt, die Hinweise zur NSU geliefert hatte. Tatsächlich hatte auch der brandenburgische Verfassungsschutz alle Informationen an die Behörden in Sachsen, Thüringen und an das Bundesamt für Verfassungsschutz abgegeben. In Thüringen und Sachsen aber sind diese Hinweise offenbar nicht richtig ausgewertet worden und versickerten. Dabei wurden Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zu dieser Zeit – nach dem Fund von Rohrbomben und als Piatto berichtete – schon per Haftbefehl gesucht. Piatto, der vom Verfassungsschutz bis zu 1000 Euro pro Monat erhielt, blieb auch danach, als das Trio untergetaucht war, im direkten Helferkreis in Sachsen aktiv. Er fand dort sogar eine Anstellung, berichtete dann aber nichts mehr über die untergetauchten Neonazis.
Deshalb und wegen weiterer ungeklärter Widersprüche in den bisherigen Erkenntnissen zu Piattos Verhalten im NSU-Umfeld befasst sich am heutigen Dienstag erneut die geheim tagende Parlamentarische Kontrollkommission mit dem Fall. Auch der NSU-Untersuchungsaussschuss ist damit beschäftigt.
Carsten S. war in der Neonazi-Szene in Brandenburg aktiv. 1995 wurde er wegen versuchten Mordes an dem nigerianischen Asylbewerber Steve Ereni zu acht Jahren Haft verurteilt. Noch während er in Untersuchungshaft saß, bot er sich dem Verfassungsschutz an. Er gilt bis heute in als wichtigste Quelle aus der rechtsextremistischen Szene nicht nur in Brandenburg, sondern auch europaweit und international. Durch seine Hinweise wurde Anschläge gegen jüdische Einrichtungen und ein Scharfschützenattentat vereitelt sowie zahlreiche Neonazi-Konzerte, die für die Szene finanziell wichtig sind, verhindert werden. Er kam in den Genuss großzügiger Haftlockerungen. 1998 hielt er sich auch häufig in Chemnitz im NSU-Umfeld auf. Die NSU-Hinweise gelten intern nur als Beifang. Im Dezember 1999 kam er vorzeitig frei. 2000 wurde er unter bislang ungeklärten Umständen enttarnt, seither lebt er mit neuer Identität unter polizeilichem Zeugenschutz.
Das NSU-Trio wird für eine Serie von zehn Morden an Ausländern und einer Polizistin in den Jahrn 2000 bis 2007 und ein Nagelbombenattentat in Köln 2004 verantwortlich gemacht. Auf der Flucht richteten sich Böhnhardt und Mundlos im November 2011 selbst. Zschäpe wird ab Frühjahr der Prozess gemacht.
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