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Brandenburg: Moderne heißt jetzt Schrumpfung

Berliner Demographie-Forscher warnt vor Blauäugigkeit: Auch in Brandenburg werden die Folgen von weniger Kindern bald deutlich zu spüren sein – und das nicht nur in den Randgebieten

Berliner Demographie-Forscher warnt vor Blauäugigkeit: Auch in Brandenburg werden die Folgen von weniger Kindern bald deutlich zu spüren sein – und das nicht nur in den Randgebieten Potsdam – Es kommt schon gelegentlich vor, dass der Wissenschaftler Harald Michel von Bürgermeistern in Ostdeutschland des Raumes verwiesen wird. Besonders, wenn er von älter werdenden Menschen und einer schrumpfenden Gesellschaft, die immer älter wird, die viel weniger Kinder hat, von zurückgehender Wirtschaft und weniger Geld für Straßen, Schulen und Kultur spricht. „Davonwollen viele nichts hören“, sagt der Politikberater und Geschäftsführer des Instituts für angewandte Demographie (IFAD) Berlin. Noch immer würden sich Kommunalpolitiker weigern, zu akzeptieren, dass Moderne heute nicht mehr – wie in den letzten 250 Jahren – Wachstum heißt, und dass endlich Konzepte her müssen, die der unumkehrbaren Entwicklung gerecht werden, sagt Michel. Die ganze Welt sei im demographischen Wandel. Nicht nur in Brandenburg, nicht nur in Ostdeutschland – auch in Entwicklungsländern werden die Menschen immer älter, Kinder immer weniger. Nur, dass der Wandel manche Regionen, wie eben auch Ostdeutschland, schneller erwischt als andere. Denn wer will schon in Dörfer und Städten leben, in denen es keine Busse gibt, die zum Kino in der nächsten Stadt fahren, keine Läden, keine Schulen und keine berufliche Perspektive, fragt Michel. Gerade junge Frauen und Männer, viele Akademiker und gut Ausgebildete verlassen das sinkende Schiff in Richtung Westen oder ins Ausland. Dadurch werden die Probleme allerdings noch mehr; Michel nennt das „Verödungsspirale“. Weniger Bevölkerung heißt weniger Wirtschaftswachstum, weniger Geld, weniger Lebensqualität. Und die Spirale setzt sich fort: Mehr Menschen ziehen weg – genau das passiert jetzt in den Randregionen von Brandenburg. Bis 2015 leben dort laut Schätzungen der Landesstatistiker elf Prozent weniger Menschen als heute. Andere Schätzungen gehen von 14 Prozent Bevölkerungsverlust in Prignitz, Uckermark, der Oderregion und der Lausitz aus. Dabei gilt Brandenburg als demographischer Leuchtturm im Osten. In krassem Gegensatz zu den anderen ostdeutschen Bundesländern die Bevölkerung in den letzten zehn Jahren nur um 0,1 Prozent gesunken. Zum Vergleich: In Sachsen-Anhalt leben heute 12 Prozent weniger Menschen als 1995. Doch die Zahl, meint Michel, sei nichts anderes als Augenwischerei. Denn die Ursache für das geringere Schrumpfen Brandenburgs sind die Berliner, die das Umland geradezu überschwemmt haben. Bis 2015 wird fast jeder zweite Umländer ein Ex-Hauptstädter sein.In den Randregionen des Landes dagegen schrumpft die Bevölkerung kontinuierlich. Schon heute sind dort selbst sanierte Vier-Seiten-Höfe unverkäuflich. Zwar sind die Bevölkerungsprognosen für Brandenburg jetzt noch nicht alarmierend. Aber in wenigen Jahren wird das statistische Bevölkerungs-Plus aus dem Speckgürtel aufgebraucht sein – denn wie überall auf der Welt sind es auch in Brandenburg die fehlenden Kinder, die das Schrumpfen hauptsächlich ausmachen, erläutert Michel. Jahr für Jahr gibt es immer weniger Kinder. Mit eklatanten Folgen: Bis 2015 werden 40 Prozent weniger Jugendliche die Schulbank drücken. Und das wird dann in etwa fünf Jahren auf dem Ausbildungsmarkt zu spüren sein. Zunächst als durchaus positiver Effekt; fast jeder Bewerber findet einen Ausbildungsplatz – so lange er brauchbare Noten vorweisen kann. Nach 2010 allerdings wird es an Fachkräften mangeln, besonders in unattraktiven Berufen und mittelständischen Betrieben. Dass dann die abgewanderten Jugendlichen, die besonders in Süddeutschland Ausbildungsstellen und Arbeit gefunden haben, und auch die weg gezogenen Erwachsenen zurückkommen, halten Experten für unwahrscheinlich. Demograph Michel hat keine Theorie parat, die erklärt, warum die Zeiten des gebärfreudigen Ostens vorbei sind. Nur eins weiß er: Es liegt nicht an der Wiedervereinigung. Die Theorie vom einheitsbedingten Geburtenknick hält er für eine Legende. Denn wie in der alten BRD hat auch in der DDR der Rückgang der Geburten in den 70er Jahren eingesetzt. Nur, dass im Osten mit Familienpolitik das Kinderkriegen gefördert wurde, womit man allerdings den Geburtenknick nur zeitlich nach hinten verschoben habe. Mehr Kinder seien durch die Familienpolitik der DDR im Laufe der Zeit auch nicht zur Welt gekommen. „Bevölkerungswachstum ist ein natürlicher Prozess, der sich nicht regulieren lässt“, meint Michel. Das habe nicht im Römischen Reich geklappt, als Kinderlosen der Eintritt in den öffentlichen Dienst verweigert wurde, nicht in China mit der Ein-Kind-Politik und auch sonst nirgends. Forscher Michel konzentriert sich lieber auf das Leben mit der Schrumpfung und guckt nach Japan, dem Land, das eine ähnlichen Bevölkerungsstruktur wie Deutschland hat. Denn die Japaner haben Lösungen für ihre demographischen Probleme gefunden. Pflegeroboter für Senioren zum Beispiel oder „Betreuungszentren“ für ältere Landbewohner, sie leben dort, werden versorgt und können dort arbeiten. Bei der Infrastruktur macht Finnland vor, wie es funktionieren kann. Dort sind auch Dörfer in Randgebieten verkehrstechnisch angebunden. In den 80er Jahren wurde auch in Finnland begonnen, selbst die abgelegensten Siedlungen im Norden mit so genannten Telestuben und Telehäusern zu versehen. In den vom Staat, Kommunen und Unternehmen geförderten Einrichtungen sind Gemeinschaftsbüros für Tele-Arbeitsplätze, eine Gemeindebibliothek, Kinderbetreuung und kleine Krämerläden unter einem Dach untergebracht. So entstanden Arbeitsplätze in der Peripherie für die Leute, die sonst ihre Heimatregionen verlassen hätten.

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