Brandenburg: Mutmaßlicher SS-Kriegsverbrecher aufgespürt 86-Jähriger aus dem Kreis Märkisch-Oderland soll an Massaker in Frankreich beteiligt gewesen sein
Dortmund/Potsdam - Mehr als 67 Jahre nach dem Massaker der Waffen-SS an den Bewohnern des französischen Ortes Oradour-sur-Glane haben Ermittler die Wohnungen von sechs mutmaßlichen Kriegsverbrechern durchsucht, darunter auch die eines 86-Jährigen im Land Brandenburg. Die Verdächtigen sollen als Angehörige der 3.
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Dortmund/Potsdam - Mehr als 67 Jahre nach dem Massaker der Waffen-SS an den Bewohnern des französischen Ortes Oradour-sur-Glane haben Ermittler die Wohnungen von sechs mutmaßlichen Kriegsverbrechern durchsucht, darunter auch die eines 86-Jährigen im Land Brandenburg. Die Verdächtigen sollen als Angehörige der 3. Kompanie des I. Bataillons des zur SS-Panzer-Division „Das Reich“ gehörenden Panzergrenadier-Regiments „Der Führer“ an der Ermordung von 642 Menschen, darunter überwiegend Frauen und Kinder, beteiligt gewesen sein, sagte Staatsanwalt Andreas Brendel am Montag in Dortmund. Je zwei der Verdächtigen lebten in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, einer in Hessen und ein weiterer in Brandenburg, so Brendel. Die Ermittlungen seien durch Hinweise aus der Stasi-Unterlagenbehörde ins Rollen gekommen.
Bei dem mutmaßlichen Täter aus Brandenburg handelt es sich laut Polizei um einen 86-jährigen Mann aus dem Kreis Märkisch-Oderland. Wo genau der Verdächtige lebt, ließ Staatsanwalt Andreas Brendel gestern allerdings offen. Die Wohnung befinde sich in einem „kleinen Ort bei Berlin“, sagte Brendel den PNN. Bei der Durchsuchung Ende Oktober habe man außer den Verdächtigen auch dessen Ehefrau angetroffen. Sie habe einen „geschockten“ Eindruck gemacht, schilderte Brendel.
Welche Rolle der heute 86-Jährige bei dem Massaker gespielt habe, sei noch unklar, räumte Brendel ein. „Während der Durchsuchung hat er nicht viel gesagt. Nach unserem ersten Eindruck ist er nicht vernehmungsfähig“, berichtete der Staatsanwalt. Allerdings habe er bestritten, an Erschießungen beteiligt gewesen zu sein. Da NS-Kriegsverbrecher nicht selten Andenken wie alte Tagebücher, Orden oder sogar Fotos aufheben würden, habe man gehofft, auch in der Wohnung auf entsprechende Beweismittel zu stoßen. Gefunden worden sei aber nichts, sagte Brendel.
Dass die sechs Personen an dem damaligen SS-Einsatz in Oradour beteiligt gewesen waren, gelte aber als „sicher“, versicherte Andreas Brendel. Allerdings seien die insgesamt 120 Soldaten der Kompanie verschiedenen Aufgaben zugeteilt gewesen. „Einige waren für die Absperrungen zuständig, andere sollten die Bewohner zusammentreiben und wieder andere gehörten den Erschießungskommandos an.“ Der Staatsanwaltschaft Dortmund zufolge, bei der die Zentralstelle für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen in Nordrhein-Westfalen angesiedelt ist, leben die anderen fünf mutmaßlichen Kriegsverbrecher im Großraum Hannover, in Köln, im Raum Bielefeld und im Raum Darmstadt.
Hintergrund für das Massaker war die Vermutung der SS, in Oradour-sur-Glane würden sich Kämpfer und ein Waffenlager der französischen Widerstandsbewegung Résistance befinden. Auf ihrem Weg in die Normandie erreichte die 3. Kompanie des SS-Panzergrenadierregiments 4 die kleine Ortschaft am 10. Juni 1944 gegen 14 Uhr. Eigentlich lautete der Befehl, vom Bürgermeister 30 Geiseln benennen zu lassen. Diese sollten gegen einen zuvor von der Résistance festgenommenen Sturmbannführer ausgetauscht werden. Doch der Befehlshaber vor Ort, Obersturmbannführer Adolf Diekmann, ordnete an, den Ort niederzubrennen und alle Bewohner zu töten. Diese wurden zuerst auf den Marktplatz getrieben und in Männer sowie Frauen und Kinder aufgeteilt. Die Frauen und Kinder wurden in die Kirche gesperrt, die daraufhin angezündet wurde. Die etwa 200 Männer des Ortes wurden erschossen. Von den 642 Toten waren nur noch 52 identifizierbar. Unter den Leichen befanden sich 207 Kinder und 254 Frauen. Insgesamt überlebten nur sechs Menschen. Diekmann jedoch blieben kriegsgerichtliche Folgen erspart. Er fiel wenige Tage später. Gegen 65 Angehörige der SS-Kompanie wurde dagegen 1953 in Frankreich Anklage erhoben, 21 wurden in Bordeaux verurteilt. Der Rest war entweder im Verlauf des Krieges gefallen oder konnte nicht mehr gefunden werden.
Auslöser für die neuerlichen Ermittlungen sind die Namen zweier Zeugen, die in Unterlagen der Staatssicherheit auftauchen. Sie wurden vom DDR-Geheimdienst im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen den ehemaligen SS-Obersturmführer Heinz Barth vernommen, der 1983 für seinen Schießbefehl in Oradour zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, nach der Wende allerdings entlassen wurde und 2007 verstarb. Bereits 1953 war Barth in Abwesenheit vom Militärtribunal in Bordeaux zum Tode verurteilt worden. Beide Zeugen seien von der Stasi ebenfalls als „höchst verdächtig“ eingeschätzt worden, hätten aber später keine Rolle mehr gespielt, berichtete der Dortmunder Staatsanwalt Andreas Brendel gestern. Einer der beiden Zeugen sei der heute 86-jährige Brandenburger, die andere Person sei mittlerweile verstorben. Auf die Namen der anderen fünf Verdächtigen seien die Ermittler über die alten Kompanie-Listen gestoßen.
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