Brandenburg: Mutter und Tochter erschossen
Grausame Tat auf offener Straße, mitten am Tag, mitten in Berlin: Flüchtiger Täter handelte offenbar aus Eifersucht. Auch der Bruder der Getöteten schwebt in Lebensgefahr
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Angelika S. ist den Tränen nah. „Der Kopf lag regungslos auf dem Lenkrad“, sagt sie. Im Hintergrund steht der blaue Mitsubishi, die Scheiben zersplittert, drei Einschusslöcher an der Fahrerseite, auf dem Kopfsteinpflaster liegen zwei Handtaschen. Alle haben geschrien, erzählt Zeugin S., der Beifahrer sei aus dem Auto gesprungen. „Und dann hat der Mann vor dem Auto wieder geschossen.“ Sie habe später Erste Hilfe geleistet.
Angelika S. ist fassungslos, als sie von dem Beziehungsdrama berichtet, von den Schüssen, die am Donnerstag um 10 Uhr in der Kolberger Straße Ecke Wiesenstraße in Gesundbrunnen fielen. Tatverdächtig ist der 25-jährige Mehmet Y., ein Berliner türkischer Herkunft, er soll auf die fünf Menschen in dem blauen Wagen geschossen haben. Bis zu ein Dutzend Mal soll er abgedrückt haben. Dabei starb dem Vernehmen nach die 45-jährige Nevin C.; ihr 27-jähriger Sohn und ihre 22-jährige Tochter Leyla wurden lebensgefährlich verletzt. Die Tochter starb am Nachmittag auf einer Intensivstation.
Die 24-jährige Tochter Feride blieb unverletzt, sie steht aber unter schwerem Schock. Sie und ein weiteres Kind der 45-Jährigen kamen in eine Klinik. Der Tatverdächtige soll der Ex-Partner von Feride sein. Sie soll sich schon vor Monaten getrennt haben – er soll sie des öfteren aufgesucht haben, konnte wohl das Ende der Beziehung nicht akzeptieren. Ob die beiden verheiratet waren, war noch nicht bekannt.
Der Täter war gestern Nacht noch flüchtig. Es gab Zeugen, die ihn verfolgt haben, die Polizei konnte das nicht bestätigen. Ein Spezialeinsatzkommando fahndet nach dem Täter. Die Polizei bestätigte, dass er vermutlich aus Eifersucht handelte. Der Schütze soll in der Nähe gelauert haben, als der Mitsubishi ausparkte. Vier Menschen saßen im Wagen, eine weitere Person wollte einsteigen. Dann habe der 25-Jährige mit einer Pistole auf die Insassen gefeuert. Umstehende wie Angelika S. zogen erst den Fahrer aus dem Auto, dann die Menschen auf der Rückbank. In der „Abendschau“ sagte die Zeugin, das sei schwer gewesen, bei den Splittern und der verklemmten Tür. Die Polizei bot auch den Zeugen psychologische Hilfe an. Die Beamten ließen den Wagen, den die Spurensicherung begutachtete, abtransportieren. Andere Zeugen berichteten, dass ein auffälliges Messer – angeblich mit einem Ziegenkopfhandgriff – in einer Tür gesteckt haben soll. Ob dieses vom Täter stammte, blieb unklar. Auch, woher der Täter die Schusswaffe hatte.
Immer wieder kommt es zu Eifersuchtsdramen, bei denen sich Männer mit Gewalttaten an Ex-Partnerinnen rächen wollen. In einigen traditionell geprägten Milieus würden Werte vermittelt, die Männer darin bestärkten, Konflikte gewaltsam zu lösen, sagte Peter Walschburger, Psychologe an der Freien Universität und Spezialist für Geschlechterrollen. Nicht jeder Eifersuchtsmord sei allein psychopathologisch zu erklären, vieles habe einen soziokulturellen Hintergrund. Lebten Eltern gewaltsame Beziehungen vor, etwa wenn Väter auf Niederlagen gewalttätig reagieren, lernten Söhne dies. Bei einer Bluttat kämen oft viele Kleinigkeiten zusammen, so spiele schlicht die Gelegenheit, etwa der Zugang zu Waffen, eine große Rolle.
Psychologen zufolge trennen sich Frauen hierzulande häufiger von ihrem Partner als umgekehrt. „Männer neigen dazu, ihren Anspruch mit Gewalt geltend zu machen“, sagte Walschburger. Ursache sei neben einer von Männern dominierten Gesellschaft auch das „natürliche Profil der Handlungsbereitschaften“, das die Geschlechter unterscheide. Laut Psychiatern laufen Eifersuchtsmorde wie „Dramen aus einem Drehbuch“ ab. Häufig hat der Verlassene seiner Ex-Freundin nachgestellt und versucht, einen Nebenbuhler auszumachen, um dann in einer Kurzschlusshandlung zuzuschlagen. Die emotionale Instabilität werde gefördert, wenn sich die Frau zwischendurch wieder mit ihrem Partner versöhnte.
In Berlin an eine Waffe zu kommen, ist oft leichter als angenommen, wissen Kenner. In der Stadt sind 56 000 Waffen in den Händen von rund 11 000 Sportschützen, Sammlern und Jägern – also Privatpersonen; dazu kommen die Dienstwaffen. In Brandenburg sind 110 000 Schusswaffen bei 29 000 Privathaltern registriert. Hinzu kommen mehrere tausend illegale Waffen etwa in Rotlichtkreisen. Berlin sei zudem Drehscheibe für Waffenschieber aus Osteuropa.
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