
© Sebastian Gabsch
Mutter wegen versuchten Mordes angeklagt: Baby fast zu Tode geschüttelt
Eine 35-jährige aus Blankenfelde-Mahlow und ihr Mann stehen ab Dienstag in Potsdam vor Gericht. Die Frau soll ihre kleine Tochter misshandelt, der Vater nicht reagiert haben.
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Ein erneuter Fall von schwerster Kindesmisshandlung beschäftigt die Brandenburger Justiz. Ab Dienstag (15.11.) muss sich eine Mutter aus Blankenfelde-Mahlow (Teltow-Fläming) vor dem Potsdamer Landgericht wegen versuchten Mordes verantworten. Der heute 35-jährigen Frau wird vorgeworfen, ihre 2018 geborene Tochter im Zeitraum von September 2018 bis November 2019 vernachlässigt zu haben. Des Weiteren soll sie das Baby in zwei Fällen heftig geschüttelt und körperlich auf das Kind eingewirkt haben. „Dabei soll sie in einem Fall billigend in Kauf genommen haben, dass das Kind tödliche Verletzungen erleiden könnte“, heißt es in der Anklage.
Der Ehemann und Kindsvater ist mitangeklagt
Das Kind habe ein Schütteltrauma und erhebliche Kopfverletzungen erlitten, sagte ein Sprecher des Landgerichts auf Nachfrage. Die Frau, so der Vorwurf, habe sich durch die neugeborene Tochter „nicht in ihrer Lebensführung einschränken lassen wollen“. Der Vater des Kindes sei nicht viel zu Hause gewesen, so der Sprecher laut Anklageschrift.
Der ein Jahr jüngere Ehemann der Brandenburgerin ist mitangeklagt. Der heute 34-Jährige soll erkannt haben, dass seine Tochter Verletzungen aufwies und nicht altersgemäß entwickelt war. Er habe jedoch nicht dafür gesorgt, dass das Kind ärztlich untersucht wird, so die Anklage. Bis Januar 2023 sind insgesamt elf Verhandlungstage angesetzt. Den Eltern droht eine hohe Haftstrafe.
Immer wieder Fälle von Gewalt gegen Babys
Erst im Juni hatte das Landgericht einen Potsdamer, der einen erst fünf Monate alten Säugling fast zu Tode geschüttelt haben soll, zu einer Freiheitsstrafe von siebeneinhalb Jahren verurteilt. Dem Mann war versuchter Totschlag vorgeworfen worden. Nach Auffassung des Gerichts hatte er Ende Oktober 2020, als er für seine langjährig beste Freundin und neue Mitbewohnerin auf das Kind aufpassen sollte, die Beherrschung verloren und es so stark geschüttelt, dass der heute zwei Jahre alte Junge schwerstbehindert ist. Der 1987 geborene Mann hatte die Vorwürfe bestritten, sein Verteidiger forderte aus Mangel an Beweisen einen Freispruch und legte Revision gegen das Potsdamer Urteil ein.
Weil sie ihren Säugling geschüttelt und dabei erheblich verletzt hat, wurde eine 27-jährige Mutter aus dem Landkreis Potsdam-Mittelmark im Januar 2020 vom Landgericht Potsdam in zweiter Instanz zu zwei Jahren und acht Monate Haft verurteilt. Die Alleinerziehende hatte ihr Baby selbst in die Kinderklinik nach Potsdam gebracht. Die Ärzte dort erkannten, dass der Säugling heftig geschüttelt worden sein musste - was die Frau bestritt.
Fünf Jahre zurück liegt das Urteil des Potsdamer Landgerichts gegen einen 25-Jährigen, der seinen zweieinhalb Monate alten Sohn Calvin zu Tode misshandelte. Der Junge erlitt ein Schütteltrauma und Einblutungen im Gehirn, nachdem der Vater ihn schüttelte und schlug. Die Strafe für den Mann aus Brandenburg/Havel: Sieben Jahre Haft wegen Totschlags.
Tim aus Bad Liebenwerda (Elbe-Elster) wäre heute zehn Jahre alt. Aber er starb 2012 im Alter von nur sechs Monaten. Nach einer tödlichen Schüttelattacke auf das Baby wurde die Mutter 2015 zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Das Landgericht Cottbus sprach die 32-Jährige wegen Körperverletzung mit Todesfolge schuldig. Der kleine Junge war in eine Klinik gekommen, wo er an den Folgen eines Hirntraumas starb. Die Mutter hatte sich selbst angezeigt. Ihr seien „die Sicherungen durchgebrannt“ hatte sie damals vor Gericht erklärt.
Dass Eltern sich selbst anzeigen, ist eher die Ausnahme. Laut Statistik wurden 2021 zwölf Prozent der Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung - dazu zählen nicht nur Fälle von Gewalt - durch die Minderjährigen beziehungsweise Eltern oder Erziehungsberechtigten angestoßen. Durch Verwandte, Bekannte und Nachbarn wurden nach Angaben des Statistischen Landesamtes Berlin-Brandenburg im Vorjahr elf Prozent der Verfahren initiiert. 17 Prozent der Fälle wurden anonym angezeigt.
In 13 Prozent der Brandenburger Fälle waren die Kita oder die Schule aufmerksam geworden, am häufigsten (19 Prozent der Fälle) informierten Polizei und Justizbehörden das Jugendamt. Wie die mutmaßliche Misshandlung des Babys, die nun in Potsdam vor Gericht kommt, öffentlich wurde und ob das Jugendamt schon eingeschaltet war, konnte der Gerichtssprecher zunächst nicht beantworten.
Insgesamt bearbeiteten Brandenburgs Jugendämter im Vorjahren bei 7483 Brandenburger Kinder und Jugendlichen Verfahren zur Kindeswohlgefährdung, das waren acht Prozent weniger als 2020. Geht man von der Schwere der Fälle aus, lag laut Statistikamt bei 19 Prozent der betroffenen Minderjährigen eine akute Gefährdung vor. Das heißt, eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls war bereits eingetreten oder mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten. Bei 18 Prozent lag eine latente Gefährdung vor, in 33 Prozent der Fälle wurde zwar keine Gefährdung ermittelt, aber es bestand Hilfebedarf und in 30 Prozent der Fälle wurden weder Kindeswohlgefährdung noch Hilfebedarf ermittelt.
Jedes fünfte betroffene Kind ist jünger als drei Jahre
In mehr als der Hälfte (1861) der Brandenburger Fälle mit akuter oder latenter Kindeswohlgefährdung wurden die Betroffenen vernachlässigt. Anzeichen für psychische Misshandlung wurden in 977 (28 Prozent) und für körperliche Misshandlungen in 567 (16 Prozent) der Fälle angegeben. Eine Gefährdung aufgrund sexueller Gewalt lag in 148 Fällen (vier Prozent) vor.
85 Prozent der vernachlässigten oder misshandelten Kinder in Brandenburg waren jünger als 14 Jahre und rund jedes fünfte Kind jünger als drei Jahre. Jungen waren mit 52 Prozent insgesamt etwas häufiger betroffen als Mädchen. Lediglich in der Altersgruppe von 14 bis Jahren war das Geschlechterverhältnis umgekehrt. Hier lag der Mädchenanteil bei 55 Prozent.
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