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Brandenburg: Nachbarn mit gemischten Gefühlen Im Mai fällt die letzte Grenze in der EU

Potsdam - Vom 1. Mai 2011 an gilt auch in Deutschland die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bürger aus den neuen EU-Ländern.

Von Matthias Matern

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Potsdam - Vom 1. Mai 2011 an gilt auch in Deutschland die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bürger aus den neuen EU-Ländern. Während einige Branchen hoffen, der Zuzug aus Polen, Tschechien, oder der Slowakei könnte den zunehmenden Mangel an Fachkräften hierzulande wenigstens etwas mildern, bangt der Hauptgeschäftsführer der Fachgemeinschaft Bau in Berlin und Brandenburg, Wolf Burkhard Wenkel, um Jobs in der mittelständischen Bauwirtschaft. Denn auch Firmen aus diesen EU-Ländern dürfen dann deutschlandweit Aufträge annehmen. Für heimische Baubetriebe eine ernstzunehmende Konkurrenz, die allein in Brandenburg 2000 Arbeitsplätze kosten könnte, meint der Verbands-Chef.

Im Land Berlin sind nach Wenkels Einschätzung rund 1100 Jobs bedroht. Zwar müssten auch Firmen aus Polen ihren Mitarbeitern künftig den mittlerweile eingeführten deutschen Mindestlohn am Bau bezahlen, doch die Kosten für Steuern und Sozialabgaben seien deutlich niedriger als für Beschäftigte aus Deutschland. In Ostdeutschland liegt der seit September gültige Mindestlohn bei 9,50 Euro pro Stunde. Dass der Mindestlohn aber überhaupt von allen gezahlt werde, sei zu bezweifeln, glaubt Wolf Burkhard Wenkel. „Vielleicht wird offiziell eine entsprechende Rechnung vorgelegt, intern aber zu den eigenen landesüblichen Löhnen abgerechnet.“ Gegenüber Polen betrage das Lohngefälle in der Baubranche rund sechs Euro die Stunde, schätzt der Hauptgeschäftsführer der Fachgemeinschaft.

Auch auf der anderen Seite der Oder sieht man der Arbeitnehmerfreizügigkeit mit gemischten Gefühlen entgegen. So befürchtet der Arbeitgeberverband der westpolnischen Grenzwojewodschaft Lebuser Land (OPZL), dass qualifizierte Mitarbeiter über die Oder abwandern könnten. Doch Agnieszka Zdziabek-Bollmann, Chefin der deutsch-polnischen Unternehmensberatung Bollmann und Partner in Frankfurt (Oder) beruhigt. „Es werden wohl nicht so viele Menschen herkommen wie einst nach England.“ Großbritannien und Irland hatten schon zur EU-Osterweiterung im Mai 2004 ihre Arbeitsmärkte für polnische Arbeiter geöffnet. Zeitweise waren dort fast eine Million Polen tätig. Zdziabek-Bollmann vermutet, dass im ersten Jahr über 100 000 Menschen legal nach Deutschland kommen. „Ich sehe mehr Chancen als Risiken“, sagt Zdziabek-Bollmann. Die Grenzregion werde enger zusammenwachsen, der Markt sich neu sortieren. Es sei schon jetzt für Polen kein Problem, in Deutschland ein Gewerbe anzumelden, auch wenn sie dann nicht selten Aufträge von deutschen Firmen abarbeiten.

Das Handwerk in der Grenzregion blickt dem 1. Mai heute gelassener als noch vor einigen Jahren entgegen. „Die Stimmung ist rationaler geworden“, sagt der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Ostbrandenburg, Wolfgang Zithier. Derzeit sind bei der Kammer 311 polnische Handwerker aufgelistet. „Viele sind hier wegen der Grenznähe eingetragen, aber nicht in Brandenburg tätig“, sagt Zithier. Auch Zdziabek-Bollmann vermutet, dass ein Großteil der Gewerbetreibenden Frankfurt als Sprungbrett nutzen, um in anderen Regionen Geld zu verdienen. Letztlich stimme der Kunde ab, meint Zithier gelassen.

Matthias Matern/Jörg Schreiber

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