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Brandenburg: Neonazi-Kultstätte, wider Willen

In knapp einem Monat wollen 500 bis 1000 Rechtsextremisten aus der ganzen Bundesrepublik zum „Heldengedenken“ marschieren – die Politik rüstet sich

In knapp einem Monat wollen 500 bis 1000 Rechtsextremisten aus der ganzen Bundesrepublik zum „Heldengedenken“ marschieren – die Politik rüstet sich Von Henri Kramer Halbe - Rechtsextremisten mögen strikte Regeln: Wer zum „Heldengedenken“ am 12. November in Halbe zum dortigen Waldfriedhof mit marschieren will, muss viele Auflagen beachten. Sie stehen auf der für den Marsch in Halbe eingerichteten Internetseite des „Freundeskreis Halbe“. Danach ist Alkohol verboten. Mobiltelefone müssen ausgeschaltet sein. Vertretern der „Systemmedien“ dürfen keine Interviews gegeben werden. Die Teilnehmer sollen möglichst neutrale Kleidung tragen, Springerstiefel gleich zu Hause lassen. „Wir wollen nicht, dass zu einem Heldengedenken unsere Kameraden aussehen wie die Leute von der Müllabfuhr!“, heißt es. Dazu sollen die Teilnehmer das Deutschland-Lied von Heinrich Hoffmann von Fallersleben in allen drei Strophen beherrschen – samt den Zeilen „Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt...“ Rund einen Monat vor dem 12. November bereitet sich die Neonazi-Szene auf Halbe vor. Anmelder für den Marsch ist der Hamburger Lars Jacob. Er gilt als rechte Hand des bundesweit bekannten Neonazis Christian Worch. „Seit 2000 bemüht sich Worch verstärkt, symbolträchtige Orte und Gedenktage für die neonazistische Szene zurückzuerobern“, sagt Wolfgang Brandt, Sprecher des brandenburgischen Innenministeriums. Auch in diesem Jahr dürfte der Marsch im Vorfeld kaum zu verhindern sein: Laut der Polizei in Frankfurt/Oder ist „nicht beabsichtigt“, die Versammlung zu verbieten. Jacob hat das „Gedenken“ für 500 bis 1000 Teilnehmer angemeldet. Damit gehört die Demonstration am Vortag des Volkstrauertages laut dem Brandenburger Verfassungsschutzbericht 2004 zu den bundesweit „vier wichtigsten Terminen im Demonstrationskalender der Neonazis“. Der „ungewollte Kultstatus“ des Waldfriedhofs, der als größter Soldatenfriedhof Europas gilt, erklärt sich auch mit der Geschichte von Halbe. Dort fand eine der letzten sinnlosen Kesselschlachten des Zweiten Weltkrieges statt. Den damaligen Opfern wollen die Neonazis seit 1990 jedes Jahr gedenken – doch zwischen 1992 und 2002 wurden die geplanten Aufmärsche verboten. „Die Begründung war der gesetzlichen Schutz des Feiertages, doch den umgehen die Organisatoren nun, in dem sie die Veranstaltung einen Tag vor dem Volkstrauertag anmelden“, erklärt Maren Cordts, Sprecherin des zuständigen Polizeipräsidiums Frankfurt/Oder. Seit 2003 hat diese neue Taktik Erfolg. Christian Worch ließ dazu triumphierend im Internet verbreiten, „ein Zeichen gegen die Gleichgültigkeit und die Unterdrückung durch die heutigen Machthaber“ gesetzt zu haben. Besonders das Treffen im vergangenen November wurde in der Szene als Erfolg gewertet, so Wolfgang Brandt. Was die Marschierer beim „Heldengedenken“ bewegt, schreiben sie auf ihrer Homepage: „Halbe ist uns Symbol für die Tapferkeit des deutschen Frontsoldaten, der auch in auswegloser Lage gegen eine erdrückende Übermacht, die Waffen nicht streckte.“ Der Verfassungsschutzbericht zitiert gegen dieses heroische Bild des deutschen Soldaten die eigentliche Geschichte um den Wahnsinn der letzten Tage des Zweiten Weltkriegs: „Am 28. und 29. April 1945 schlossen Panzereinheiten der Roten Armee die Reste der geschlagenen 9. Armee ein. Deren Führung lehnte das Kapitulationsangebot ab und versuchte mit versprengten Einheiten aus Wehrmacht, SS, Volkssturm und Hitlerjugend aus dem Kessel auszubrechen. Dieser Fehlentscheidung fielen rund 60 000 Menschen zum Opfer“. Die Motivation der Neonazis, mit einem Aufmarsch wie in Halbe dem offiziellen Geschichtsbild ihre Ideologie entgegen zu setzen, ist für Szene-Experten einfach zu erklären: Die Inszenierung eines Totenkults um die Gefallenen soll dazu dienen, den Kampf der 1945 noch verbliebenen Verbände zu verklären. Schon die Nationalsozialisten hatten die Agonie des Untergangs heroisiert und ins Mythische überhöht. Dazu hat der diesjährige Aufmarsch eine besondere Bedeutung: Nachdem der im August geplante Gedenkmarsch zum Rudolf -Heß-Grab in Wunsiedel verboten wurde, dürfte die Anziehungskraft von Halbe noch gestiegen sein. Diese Sorge teilen antifaschistische Gruppen, wie die Linkspartei.PDS-Landtagsabgeordnete Karin Weber bestätigt. Sie ist eine der vier Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Heldengedenken und Naziaufmärsche in Halbe. Die Initiative hat bereits im März eine Gegendemonstration angemeldet. Zur Zeit werden dafür die Vorbereitungen getroffen, in den nächsten beiden Wochen soll ein genaues Konzept vorbereitet werden. Ein wichtiges Gespräch findet dazu heute bei einem Treffen von Karin Weber und ihrer Aktionsbündnis-Kollegin, der SPD-Landtagsabgeordneten Sylvia Lehmann sowie mit Parlamentspräsidenten Gunter Fritsch (SPD) statt. „Wir werden uns zu Inhalten und Formen der Gegenaktion abstimmen.“ Seit dem Juni dieses Jahres – als sich die Landes-CDU nicht recht entschließen konnte, ob sie gegen einen kleineren Aufmarsch Rechtsextremer in Halbe mit demonstrieren sollte – liegt die Verantwortung für die Gegendemo zum „Heldengedenken“ bei Landtagspräsidenten Fritsch. Karin Weber appelliert vor dem Gespräch: „Die Neonazis wollen bei diesem Marsch ihre gewachsene Kraft und Stärke demonstrieren und den Krieg glorifizieren – deshalb muss ein Bündnis aus breiten zivilen Kräften und prominenten Persönlichkeiten entstehen, um den Missbrauch von Halbe zu stoppen und den Marsch friedlich aufzuhalten.“

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