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Von Johann Legner: Ness: Medien und BStU jagen Rot-Rot
SPD-Generalsekretär: „Hexenjagd“ / Birthler verteidigt Behörde / SPD-Bundestagsvize für Koalitionsende
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Berlin/Potsdam - Am Tag vor der für den heutigen Freitag wegen der Stasi-Debatten und der Regierungskrise anberaumten Sondersitzung des brandenburgischen Landtages hat der Generalsekretär der brandenburgischen SPD, der Landtagstagsabgeordnete Klaus Ness, die rot-rote Regierung als Opfer einer „Hexenjagd“ bezeichnet. In einem vorab veröffentlichten Interview mit der Leipziger Volkszeitung machte Ness dafür „bestimmte Medien“, aber „auch die Birthler-Behörde“ verantwortlich. „Die Informationspolitik der Birthler-Behörde führt dazu, dass das Geschäft derjenigen, die diese Regierung angreifen wollen, leichter gemacht wird“, sagte Ness in Bezug auf die Herausgabe von Täterakten über Linke-Landtagsabgeordnete durch die Stasi-Unterlagenbehörde BStU. Wer als Drahtzieher hinter der Kampagne stecke, sagte Ness, der einer der engsten Berater von Ministerpräsident Matthias Platzeck ist, nicht. Tags zuvor hatten sich auch Landtagspräsident Gunter Fritsch (SPD) und SPD-Fraktionschef Dietmar Woidke darüber beklagt, dass die Behörde Akten an die Medien gebe, nicht aber an den Landtag.
Marianne Birthler, die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, hat gestern diese Kritik zurückgewiesen. Die Herausgabe von Unterlagen über frühere Stasi-Mitarbeiter, die heute Landtagsabgeordnete sind, war aus ihrer Sicht nicht nur rechtmäßig, sondern gesetzlich geboten. Birthler sagte den PNN: „Ich bin aufgrund der Bestimmungen des vom Bundestag beschlossenen Gesetzes zu den Unterlagen der Staatssicherheit verpflichtet, beim Vorliegen entsprechender Anträge durch Medienvertreter so zu handeln.“ Birthler erklärte weiter, dass sie derzeit gar nicht in der Lage sei, dem Landtagspräsidenten oder dem Präsidium des Parlaments Auskünfte zu erteilen. „Dazu fehlt die Rechtsgrundlage“, erklärte die Bundesbeauftragte mit Verweis darauf, dass in Potsdam weder ein Gesetz zur Überprüfung der Abgeordneten beschlossen worden sei noch ein Beschluss des Landtags vorliege. Dies bestätigt auch das Büro von Landtagspräsident Günter Fritsch (SPD), der sich noch am Vortag an Birthler mit der Frage gewandt hatte, inwieweit ihm die der Presse zur Verfügung gestellten Unterlagen zugestellt werden könnten. Die Sprecherin von Landtagspräsident Fritsch, Katrin Rautenberg, verwies lediglich darauf, dass der Landtag in Kürze ein Gesetz verabschieden wolle, das dann auch eine Überprüfung der Abgeordneten und damit eine Einsicht in Unterlagen möglich machen werde. Damit ist auch vonseiten des Landtagspräsidenten klargestellt, dass derzeit die Rechtsgrundlage für seine Einbeziehung in den Überprüfungsprozess fraglich sein könnte. Die bislang der von Birthler geleiteten Behörde vorliegenden Anträge auf Akteneinsicht, die von zahlreichen Abgeordneten unterschrieben worden waren, sind keine solchen Überprüfungsersuchen. Ihre Ergebnisse stehen zunächst auch ausschließlich den Antragsstellern selbst zu – nicht Gremien des Landtages.
Auch in der Führung der SPD-Landtagfraktion ist inzwischen die Kritik am Vorgehen der Behörde wieder leiser geworden. „Wir werden das alles noch einmal überprüfen“, sagte gestern der Sprecher der Fraktion Thomas Kralinski und wollte die Vorwürfe nicht wiederholen, wonach die Aktenherausgabe politisch motiviert gewesen sein könnte. Noch am Mittwoch, nach dem Bekanntwerden eines siebten Falles eines Stasi-Mitarbeiters in den Reihen der Fraktion der Linkspartei war von SPD-Fraktionschef Dietmar Woidke herbe Kritik an der Birthler-Behörde geäußert worden. Diese Vorwürfe wollte Kralinski nach einer ersten Prüfung der Rechtslage nicht wiederholen. Die heutige außerordentliche Landtagssitzung war von CDU, FDP und Grünen beantragt worden, nachdem binnen weniger Tage vier neue Fälle (einer davon minderschwer) von bisher verschwiegenen bzw. geleugneten Stasi-Verstrickungen von Linke-Landespolitikern bekannt geworden waren. Von den ursprünglich 26 Abgeordneten der Linkspartei haben acht hauptamtlich oder als „Inoffizielle Mitarbeiter“ mit der Stasi zusammengearbeitet. In vier Fällen wurde die Stasi-Verstrickung erst nach der Landtagswahl Ende September bekannt, was zu einer schweren Belastung der rot-roten Koalition führte.
Der Chemnitzer Parteienforscher Eckhard Jesse sieht für die SPD nur einen Ausweg im Wechsel des Koalitionspartners. Dabei sollte die CDU über ihren Schatten springen und einer Erneuerung des nach der Landtagswahl beendeten rot-schwarzen Regierungsbündnisses zustimmen, sagte Jesse der „Lausitzer Rundschau“. Brandenburgs Regierungssprecher Thomas Braune bemerkte dazu, diesbezügliche Spekulationen seien „absoluter Quatsch“. Der Potsdamer Parteienforscher Michael Koß sieht im Moment keine große Gefahr für die rot-rote Koalition durch die Stasi-Debatte. Weitere Enthüllungen würde die Regierung allerdings kaum verkraften.
Die frühere Sozialministerin Dagmar Ziegler, die inzwischen stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion ist, erneuerte ihre Kritik an der Bildung einer rot-roten Koalition in Brandenburg. Sie sieht sich durch die Stasi-Fälle in ihrer Einschätzung bestätigt, dass die Linkspartei kein zuverlässiger Partner für die SPD ist. Es gebe jetzt aber leider keine Alternative mehr, da inzwischen die CDU eine Koalition mit der SPD ablehne. Ziegler sagte weiter, sie werde sich jetzt darum bemühen, dass in der SPD das Gespräch um das weitere Vorgehen intensiv geführt wird. Dies habe sie auch gegenüber Parteichef Matthias Platzeck angesprochen. Eine entsprechende Initiative werde sie nicht nur für den eigenen Unterbezirk, die Prignitz, sondern mit Blick auf das ganze Land ergreifen. „Ein Teil der Parteibasis reagiert auf die Entwicklung mit großer Unzufriedenheit“. Darauf muss eingegangen werden“, sagte Ziegler gestern.
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