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Brandenburg: Neustart statt Endstation

Noch vor zwei Jahren herrschte bei Mercedes-Benz in Ludwigsfelde Krisenstimmung. 200 Mitarbeiter mussten gehen. Inzwischen gilt der Standort als gesichert – nicht zuletzt durch eine deutliche Steigerung der Produktivität dank Hightech made in Brandenburg

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Den Wandel hat Michael Bauer auf zwei Fotos festhalten lassen. Sie hängen direkt nebeneinander an einer Wand mitten in der großen Fabrikhalle. Das linke Bild zeigt die Produktion bei Mercedes-Benz in Ludwigsfelde (Teltow-Fläming) vor der jüngsten digitalen Revolution. Auf dem Bild rechts daneben ist zu sehen, warum es das Werk heute immer noch gibt – zumindest ein Grund dafür. Wo sich noch vor rund zwei Jahren die Mitarbeiter an der Fertigungsstrecke die einzelnen Bauteile aus sperrigen Regalen zusammensuchen mussten, liefern heute computergesteuerte Rollwagen die jeweils benötigten Teile punktgenau an. „Wenn man sieht, wie es noch vor zwei Jahren aussah, reibt man sich die Augen“, sagt der 45-jährige Geschäftsführer der Mercedes-Benz Ludwigsfelde GmbH, während wenige Meter neben ihm eine Reihe von vier sogenannten Carset-Wagen gerade bei der Tür-Montage Halt macht.

Wegen des Auslaufens des Transporters „Vario“ und dem angekündigten Ende der Kooperation mit VW sah es lange Zeit düster aus um die Zukunft des Standorts. Doch statt tatenlos auf eine Entscheidung zu warten, hat Bauer begonnen, die Fabrik technisch in ein neues Zeitalter zu versetzen und damit offenbar gute Argumente geschaffen. Die Erlösung kam vergangenen Oktober: Der Konzernvorstand hatte beschlossen, an Ludwigsfelde festzuhalten und mehr als 150 Millionen Euro in den Standort zu investieren. Ab 2018 soll dort das sogenannte offene Baumuster der neuen Baureihe des Erfolgsmodells „Sprinter“ gefertigt werden – also all jene Transporter, die statt eines Aufbaus hinten mit einer offenen Ladefläche ausgestattet sind. Die Investition wird vom Land Brandenburg gefördert und soll das Werk für die damit verbundenen neuen Anforderungen fit machen. „Das war der emotionalste Moment meiner Karriere. Ich hatte wirklich Tränen in den Augen, als ich vor der Belegschaft stand“, versichert der Mercedes-Benz-Manager, der seit 1996 für den Konzern arbeitet und den Standort Ludwigsfelde 2012 übernahm – gerade, als sich die Wolken über dem Werk zu verdunkeln begannen.

Insgesamt arbeiteten damals rund 2000 Beschäftigte in Ludwigsfelde, 200 Mitarbeiter mussten 2013 gehen. Bauer spricht von „einem Wechselbad der Gefühle“. Zumindest sei alles ohne betriebsbedingte Kündigungen vonstattengegangen. Entweder seien Abfindungen gezahlt worden, die betroffenen Mitarbeiter an andere Mercedes-Benz-Standorte ausgeliehen oder in Sonderurlaub geschickt worden, sagt der Werkschef. „Das Bekenntnis des Konzerns zum Standort war immens wichtig. Bis 2028 ist der Standort gesichert.“

Mittlerweile rollt wieder alle vier Minuten und 20 Sekunden ein Transporter vom Band, 220 Stück pro Tag. Gearbeitet wird in zwei Schichten. Alle Mitarbeiter, die den Konzern 2013 nicht verlassen haben, sind wieder zurück. „Im Januar haben wir sogar 21 Zeitarbeiter fest eingestellt“, betont Michael Bauer. Das Bekenntnis des Konzerns zum Produktionsstandort Deutschland mache aber auch weitere Anstrengungen bei der Produktivitätssteigerung notwendig. „Wir sind der einzige Transporterhersteller, der noch in Deutschland produziert“, sagt der Manager stolz. VW dagegen werde nach dem Ende der Kooperation den „Crafter“ in Polen fertigen. Der Lohnkostenunterschied zu Deutschland sei natürlich noch immer riesig. Für den Standort Deutschland spreche dagegen die Qualität und die Erfahrung.

Bauers Zauberwort für Steigerung der Produktivität in Ludwigsfelde heißt „Mo-Log“. Dahinter verbirgt sich der Abbau von Reibungsverlusten an der Schnittstelle zwischen der Montage und der Logistik – nicht zuletzt unter Anwendung neuester Computertechnologien. So werden die Carset-Wagen zum Beispiel ebenfalls nach einem ausgeklügelten zeitsparenden System befüllt. In der Logistik-Abteilung der Montagehalle wird der Code des zu fertigenden Modells in ein Terminal eingegeben. Entsprechend wird dem Mitarbeiter an der Befüllstation per Lichtsignal das jeweilige Regal angezeigt, aus dem er die einzelnen Komponenten zu entnehmen hat. Dann machen sich die Carset-Wagen wieder auf den Weg zu ihrem Bestimmungsort an der Produktionsstrecke. „Die Fehlerquote geht gegen null“, freut sich Bauer. Auch Daimler-Vorstandschef Dieter Zetsche sei „sichtlich beeindruckt“ gewesen, als er das Werk im Oktober besucht habe.

Mit seinen Neuerungen liegt Bauer auch voll auf der Marschroute, die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bereits 2013 unter dem Motto „Industrie 4.0“ auf der Industriemesse Hannover vorgab. Die Industrie stehe durch das derzeitige Zusammenwachsen von Informationstechnik, Datenverarbeitung und industrieller Fertigung vor einem neuen Innovationssprung, der mit der Entwicklung der Dampfmaschine zu vergleichen sei, hatte Merkel erklärt. Für Deutschland sei dies eine Riesenchance.

Für das Ziel einer intelligenten Fabrik, in der einzelne Maschinen und Roboter dank IT-Technik lernen, miteinander zu kommunizieren und somit ohne Zeitverlust auf Fehler oder besondere Kundenwünsche zu reagieren, arbeitet man in Ludwigsfelde auch eng mit regionalen Forschungseinrichtungen zusammen. „Wir kooperieren zum Beispiel mit der Universität Cottbus, dem Fraunhofer-Institut in Magdeburg und dem Hasso-Plattner-Institut in Potsdam“, bestätigt Michael Bauer. Dabei gehe es ihm aber nicht nur um die reine Effizienzsteigerung, versichert der Standort-Geschäftsführer. „Industrie 4.0 ist für mich auch eine Frage der Qualität und der besseren Ergonomie im Produktionsprozess zugunsten der Belegschaft.“

Für die Mitarbeiter bedeutet die sogenannte „vierte industrielle Revolution“ aus Sicht der Gewerkschaften aber auch eine große Herausforderung. Die Sorge besteht, dass die Beschäftigten zu „Rädchen in der cyber-physischen Fabrik“ werden. Wird der alte Traum der menschenleeren Fabrik auf Basis der neuen Techniken wahr? Wie gehen die Mitarbeiter mit wachsenden technischen Anforderungen um? Auch in Ludwigsfelde habe die Produktionssteigerung bereits zu einer höheren mentalen Belastung der Belegschaft geführt, meint Hermann von Schuckmann von der IG Metall in Ludwigsfelde.

In der Produktionshalle selbst ist auf den ersten Blick davon natürlich nichts zu spüren. Allerdings scheinen die Mitarbeiter dem Zuwachs an Hightech mit einem Mehr an Natur begegnen zu wollen. Entlang der Endfertigung haben sie mehrere Kübel mit exotischen Pflanzen wie Yucca-Palmen aufgestellt. Bauer weiß, dass seiner Belegschaft die letzten zwei Jahre ganz schön Nerven gekostet haben müssen. Immer wieder spricht er stolz von „seiner Mannschaft“ und lobt deren Engagement, ohne das alles gar nicht möglich gewesen wäre.

Unterdessen hat sich der 45-Jährige mit dem ausgeprägten badischen Dialekt offenbar auch selbst einen guten Dienst geleistet. Seine Tage in Ludwigsfelde sind möglicherweise gezählt. Dem Vernehmen nach soll er künftig von zentraler Stelle aus auch in anderen Werken des Konzerns mit „Mo-Log“ zaubern.

nbsp;Matthias Matern

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