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Brandenburg: „Nicht auf Druck der Türkei eingeknickt“

Bildungsminister Holger Rupprecht über Armenien im Lehrplan und die neuen Oberschulen

Stand:

Bildungsminister Holger Rupprecht über Armenien im Lehrplan und die neuen Oberschulen Es hagelte bundesweit Kritik, weil Brandenburg einen Hinweis auf den türkischen Völkermord an den Armeniern im 1. Weltkrieg aus dem Lehrplan tilgen ließ. Wann machen Sie Ihre Entscheidung rückgängig? Wir werden bis zum neuen Schuljahr gründlich über neue Formulierungen im Lehrplan nachdenken. Es ist noch offen, ob Armenien als Genozid-Beispiel wieder explizit erwähnt wird. Der Hinweis ist herausgenommen worden, weil ich und auch der Ministerpräsident es für einen Fehler hielten, dass zu einem so brisanten Thema wie Genozide Armenien als einziges Beispiel genannt wurde. Da hat die Türkei, die sich betroffen fühlt, natürlich allergisch reagiert. Sie halten die diplomatischen Interventionen der Türkei, die bis heute den Völkermord leugnet, für legitim? Es gab keine Drohungen, keine Nötigungen seitens der Türkei. Das Konsulat hat deutlich gemacht, dass für die Türkei die singuläre Erwähnung nicht akzeptabel ist, weil sie ein falsches Bild vermittelt: Dass es nur ein Paradebeispiel für Genozide im 20. Jahrhundert gibt – das Schicksal der Armenier. Dieser Einwand ist berechtigt. Deshalb hat Brandenburg nachgegeben? Wir sind nicht auf Druck der Türkei eingeknickt. Wir haben einen Fehler im Lehrplan erkannt und korrigiert, haben dabei aber Fehler gemacht: Das hat zu Missverständnissen und dem negativen Echo geführt. Der Genozid an den Armeniern kann und wird weiter im Unterricht an Brandenburgs Schulen behandelt werden. Es ist auch jetzt jedem Lehrer freigestellt, welche Beispiele er wählt. Es wird zudem zum neuen Schuljahr eine neue Unterrichtshilfe für Lehrer zur Behandlung von Völkermorden geben. Der an den Armeniern wird in dem Material enthalten sein. Ging Ihre Entscheidung, das Armenien-Beispiel tilgen zu lassen, auf einen Wunsch der Staatskanzlei zurück? Es gab Gespräche mit der Staatskanzlei, aber keine Forderung. Wir waren der gemeinsamen Ansicht, dass die bisherige Darstellung problematisch ist und korrigiert werden sollte. Dieser Standpunkt wurde auch vom Ministerpräsidenten geteilt. Das war übrigens bereits vor dem Treffen mit dem türkischen Generalkonsul klar, bei dem der Lehrplan-Hinweis dann auch nur eins von vielen Themen war. Sie sind noch nicht lange im Amt. Hat Sie die Vehemenz der Kritik überrascht? Mit Kritik habe ich gerechnet, aber nicht mit einem so dramatischen Echo. Nicht nur wegen der umstrittenen Lehrplan-Korrektur haben Sie Ärger: Das Bildungsministerium wurde im Sparhaushalt 2005/2006 nicht von Einschnitten verschont. Ist die eingeleitete Bildungsoffensive gefährdet? Die Bildungsoffensive ist nicht in Gefahr. Sie wird durch die Kürzungen von rund 23 Millionen in den zwei Jahren zwar nicht erleichtert. Dennoch sind die Einschnitte vertretbar. Wir hatten gehofft, trotz des nötigen Abbaus von Lehrerstellen infolge sinkender Schülerzahlen die Klassenstärken stark verringern zu können. Das wird bis 2006 nun nicht möglich sein. Andererseits: Brandenburgs Klassengrößen liegen unter dem bundesdeutschen Durchschnitt. Und kleine Klassen garantieren auch nicht automatisch besseren Unterricht. Der CDU-Koalitionspartner beklagt die Kürzungen bei den Zuschüssen für Privatschulen, da diese die Landeskassen schon jetzt weniger stark belasten als staatliche Schulen. Warum die Ungleichbehandlung? Es ist ein Irrglaube, dass freie Schulen kostengünstiger sind. Freie Schulen werden nicht schlechter behandelt als staatliche Schulen, aber eben auch nicht besser. Ich kann sie nicht von Kürzungen ausklammern. Sie wollen weiterführende private Schulen nur noch genehmigen, wenn diese sofort mit zwei Klassen pro Jahrgang starten. Warum bremsen Sie Neugründungen, Initiativen? Das Problem ist komplizierter. Es gibt eine große Gefahr in den ländlichen Regionen Brandenburgs: Dort gilt für weiterführende staatliche Schulen die klare Regel, dass sie auslaufen, wenn sie nicht in jedem Schuljahr zwei neue 7. Klassen mit zusammen mindestens 40 Schülern bilden können. Würden wir dies laufen lassen, dann würden in den dünn besiedelten Regionen überall kleine freie Schulen gegründet, deren langfristiges Überleben auch nicht gesichert wäre. 15 Jahre wurden die freien Schulen bei der Zügigkeit bevorzugt, jetzt sollen sie sich dem Wettbewerb stellen. In Kürze beginnen die Anmeldungen für die 7. Klassen an den neuen Oberschulen, zu denen die bisherigen Real- und Gesamtschulen fusionieren. Wird alles glatt gehen? Ich bin optimistisch. Es ist spürbar, dass sich nach unserer Informationskampagne Unsicherheiten bei Lehrern und Eltern über die neue Oberschule gelegt haben. Ich wünsche mir, dass die Schulen die Veränderungen als Chance entdecken, sich zu profilieren, die Ärmel hochzukrempeln, Neues auszuprobieren. Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft klagt, dass die Lehrer-Ausstattung der „Oberschule“ geringer sein wird als an die bisherigen Gesamtschulen. Ist es nur ein Spar-Modell? Nein, die Oberschule wird auch im Vergleich mit Schulen anderer Länder ein hohes Ausstattungsniveau haben. Es wird auf keinen Fall eine Sparschule. Ihre Einrichtung wird besser sein als die der bisherigen Realschulen und etwas niedriger als die der bisherigen Gesamtschulen. Das Interview führte Thorsten Metzner

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