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TIPPS ZUM SCHUTZ: Nicht jeder Infizierte ist bekannt Mehr Hygiene als sonst
Schweinegrippe: Behörde und Experten rechnen mit deutlicher Dunkelziffer. 23-jährige Berlinerin geht es schon wieder besser / Neuer Fall auch in Brandenburg
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Potsdam/Berlin - In der Nacht zu Sonntag stand es fest: Nicht nur in Brandneburg, auch in Berlin gibt es den ersten Fall von Schweinegrippe. Oder besser gesagt: den ersten bekannt gewordenen Fall. Denn sowohl die Behörden als auch Gesundheitsexperten gehen davon aus, dass die Dunkelziffer der mit dem neuen Virus H1N1 Infizierten in Berlin-Brandenburg – wie überall in der Welt – stetig wächst.
Auch die 23-jährige Frau aus dem berliner Stadtteil Treptow-Köpenick hatte überhaupt nicht an die neue Seuche gedacht, als sie sich am Sonnabend wegen starker Kopfschmerzen in Behandlung begab. Obwohl dies bisher nicht als Symptom für Schweinegrippe galt, ließ der Arzt einen Influenza-Test durchführen. Kurze Zeit später bestätigte das Berliner Robert-Koch-Institut den Verdacht: Die junge Frau ist mit H1N1 infiziert.
Wirklich überrascht hat der erste Berliner Fall die Experten nicht. Erst am Freitag hatte die Berliner Infektionsschutzbeauftragte Marlen Suckau gesagt, es sei angesichts täglich neuer Fälle in Deutschland „nur noch eine Frage der Zeit, bis erste Erkrankungen in der Hauptstadt gemeldet würden“. Und am Samstag wurde auch aus Branbdenburg erneut ein Fall bekannt – der inzwischen dritte: Bei einem 33-Jährigen aus Cottbus wurde nach einer USA-Reise Schweinegrippe diagnostiziert, teilte das Landesgesundheitsministerium am Samstag mit. Der Mann und seine Freundin seien häuslich isoliert und mit den notwendigen Arzneimitteln versorgt worden.
In der Berliner Senatsgesundheitsverwaltung wurde, wie in Brandneburg auch, bereits am 29. April dieses Jahres ein Arbeitsstab „Neue Grippe“gegründet, der alle Informationen zu der Krankheit, die in der vergangenen Woche von der Weltgesundheitsorganisation WHO zur Pandemie erklärt wurde, sammelt und ihre Bekämpfung koordiniert. „Jetzt zahlt sich aus, dass wir seit Wochen in engem Kontakt mit den Gesundheitsämtern der Bezirke, aber auch mit dem Bundesgesundheitsministerium und dem Robert-Koch-Institut stehen“, sagte Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linke) am Sonntag dieser Zeitung: „Wir sind gut vorbereitet und sehen keinen Grund zur Panik.“
Die Sprecherin der Senatsgesundheitsverwaltung Regina Kneiding sagte, man sei beispielsweise stets über den Vorrat an Grippeschutzmitteln im Großhandel informiert und könne bei eventuellen Engpässen in Apotheken auch schnell reagieren. Außerdem habe sich Berlin mit 680 000 Packungen antiviraler Medikamente wie Tamiflu bevorratet – das reiche für die Behandlung von 20 Prozent der Bevölkerung. In Brandenburg hat das Land für etwa 20 Prozent der Bevölkerung antivirale Mittel – meist Tamiflu – vorrätig. Hinzu kommen weitere „Reservierungen“ für zusätzliche Mittel bei den Herstellern und die von Apotheken angelgten Vorräte.
Man könne nicht ausschließen, dass es möglicherweise noch deutlich mehr Infizierte in Berlin gebe, sagte Kneiding. Und man müsse damit rechnen, dass – gerade in einer Stadt wie Berlin mit viel Flugverkehr, Tourismus und Veranstaltungen – die Zahl der gemeldeten Fälle in den nächsten Wochen ansteige. Die Sprecherin verwies darauf, dass Berlin seinen Pandemieplan soeben noch einmal überarbeitet habe. Betriebe wie die BVG seien angewiesen, Vorsorge zu treffen, wenn ein Teil der Belegschaft ausfalle. Die Ärzte und Gesundheitsbehörden wüssten, dass vieles davon abhänge, die Ausbreitung des Virus so lange wie möglich zu begrenzen.
„Je länger das gelingt, umso mehr Zeit haben wir, um die neue Krankheit besser zu erforschen und einen Impfstoff zu entwickeln“, sagt der stellvertretende Leiter der Abteilung Infektionsepidemie im Robert-Koch-Institut, Osama Hamouda, den PNN. Auch er geht davon aus, dass es in Berlin wie überall mehr Infizierte als bislang bekannt gibt: „Es ist ein Grundgesetz jeder Infektionskrankheit: Nicht jeder, der sich infiziert, hat Symptome. Nicht jeder, der Symptome hat, geht zum Arzt. Nicht jeder, der zum Arzt geht, wird getestet. Und nicht jeder Fall, der erkannt ist, wird gemeldet.“ Hamouda warnt sowohl vor übertriebener Sorge als auch vor Sorglosigkeit. „Wir haben es das erste Mal seit Jahrzehnten mit einem neu entstandenen Virus zu tun, gegen das die meisten Menschen auf dieser Welt nicht immun sind, und das sich sehr schnell ausbreitet, mutiert und möglicherweise gefährlicher wird. Hoffnung besteht darin, dass die Krankheit auch weiterhin einen verhältnismäßig leichten Verlauf nimmt. So wie bei den meisten der bisher 168 Infizierten in Deutschland.“
Sehr viel besser geht es inzwischen auch der 23-jährigen Berlinerin. Die Auszubildende musste nicht im Krankenhaus behandelt werden, sondern wurde ebenso wie ihr Lebensgefährte mit Medikamenten versorgt und gebeten, ihre Wohnung nicht zu verlassen. Ob sie sich, wie zunächst vermutet, bei einer Reise nach Düsseldorf angesteckt hat, wo inzwischen 75 Menschen, darunter 60 Kinder, an der Schweinegrippe erkrankt sind, ist keineswegs sicher.
Die Behörden überprüfen momentan alle Personen, die mit der 23-Jährigen Kontakt hatten. Bis zum gestrigen Abend war kein zweiter Fall in Berlin bekannt.
INS TUCH SCHNÄUZEN
Die neue Grippe wird genau wie jede andere Influenza vor allem per Tröpfcheninfektion übertragen. Also: Niemals andere Menschen anniesen, sondern ein Taschentuch vor Mund und Nase halten. Auf keinen Fall in die eigenen Hände niesen, sondern, wenn kein Taschentuch zur Verfügung steht, in die Armbeuge oder den Ärmel.
HÄNDE WASCHEN
Die Hände sollten häufiger und intensiver als sonst und mit Seife gewaschen werden – mehr als 30 Sekunden. Das ist besonders wichtig bei Kindern. Die Gesundheitsbehörden sehen bislang keinen Grund, einen Mundschutz zu tragen. Der hilft im übrigen nur, wenn er sowohl über der Nase als auch über dem Mund fest anliegt.
SYMPTOME ABKLÄREN
Wer befürchtet, infiziert zu sein, sollte zum Arzt und unnötigen Kontakt mit anderen vermeiden. Das gilt auch für jene Menschen, die glauben, auf Arbeit unabkömmlich zu sein oder ihre Kollegen „nicht im Stich lassen“ zu wollen. Symptome besser erst abklären oder abklingen lassen als auch noch alle anderen anzustecken. das
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