Brandenburg: Noch mehr Handydaten in Berlin ausgewertet Seit 2009 rund zwölf Millionen Funkzellenabfragen
Berlin - Die Berliner Polizei hat mehr Handydaten ausgewertet als bisher bekannt. Das zeigen die Zahlen des Polizeipräsidiums, die dieser Zeitung vorliegen.
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Berlin - Die Berliner Polizei hat mehr Handydaten ausgewertet als bisher bekannt. Das zeigen die Zahlen des Polizeipräsidiums, die dieser Zeitung vorliegen. Auf der Suche nach Autobrandstiftern hatte die Polizei in den vergangenen Jahren in 375 Ermittlungsverfahren insgesamt 4,2 Millionen Mobilfunkverbindungen in Tatortnähe registriert, also Telefonate und Kurzmitteilungen (SMS). Zusätzlich zu diesen Daten sind seit 2009 in mehr als 800 weiteren Verfahren Funkzellen und bis zu acht Millionen Verbindungen in der Hauptstadt ausgewertet worden – insgesamt rund zwölf Millionen.
Allein 2011 wurden in 205 Staatsschutzverfahren wegen mutmaßlich politisch motivierter Taten wie Autobrandstiftungen Funkzellenabfragen durchgeführt. Zudem wurd en im gleichen Zeitraum in 336 weiteren Ermittlungen in Berlin eine oder mehrere Funkzellen ausgewertet. Noch ist nicht bekannt, nach welchen Straftaten dies geschehen ist. Pro Abfrage werden je nach Tageszeit oft mehr als zehntausend Verbindungen erfasst. In Berlin entstehen täglich rund 40 Millionen Handy-Verkehrsdaten. Die seit 2009 überprüften zwölf Millionen Verbindungen machen damit etwa 0,027 Prozent aller Handyverbindungen in Berlin aus.
Generell wertet die Berliner Polizei zunehmend Funkzellen aus, 2009 waren es 355, ein Jahr später 366, 2011 schon 541. Die Ermittlungsmethode wird offenbar unabhängig davon genutzt, ob die Zahl der Straftaten steigt. So wurden 2009 in 162 Fällen Funkzellen ausgewertet, die sich nicht auf Staatsschutzdelikte bezogen. Ein Jahr später waren es mit 323 schon doppelt so viele Abfragen für nicht politisch motivierte Taten – und das, obwohl 2010 die Kriminalität in Berlin auf dem tiefsten Stand seit 1990 war.
Funkzellenabfragen sind umstritten, weil sie nur nach schweren Taten angewandt werden sollen. „Sie sind in Berlin aber zur Standardmaßnahme geworden“, sagte Grüne-Innenexperte Benedikt Lux. „Das war vom Gesetzgeber nicht so vorgesehen.“ Im Fall der brennenden Autos habe man zudem gesehen, dass der Erfolg „gleich Null“ gewesen sei. Dem Polizeipräsidium zufolge hatte keine Funkzellenauswertung direkt zu einem Brandstifter geführt, dennoch wurden sie weiter genutzt. „Diese Entwicklung ist nicht verwunderlich. Experten beklagen seit langem, dass dieses Fahndungsmittel zum Standard wird“, sagte Anwalt Sönke Hilbrans, Vize-Chef der Deutschen Vereinigung für Datenschutz. Ein Staatsanwalt muss die Abfrage bei einem Ermittlungsrichter beantragen. Juristen kritisieren, dass Richter meist der Staatsanwaltschaft folgten, ohne die Verhältnismäßigkeit abzuwäge, wie es der Gesetzgeber verlangt.
Wie viele Abfragen in Berlin insgesamt durchgeführt werden, ist nicht bekannt. Die Linke will an diesem Mittwoch im Rechtsausschuss des Bundestags einen Gesetzentwurf vorlegen, mit dem die Massenabfrage abgeschafft werden soll. Anlass sind eine Million erhobene Verbindungen vermeintlicher Demonstranten gegen einen Naziaufmarsch in Dresden 2011. Auch die Grünen wollen die Strafprozessordnung ändern.Hannes Heine
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