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Jörg Schönbohm, 71, ist seit 1999 für die CDU Innenminister in Brandenburg. Nach der Landtagswahl im Herbst wird der Ex-Bundeswehrgeneral und bekennende Konservative, der nach der Wende die DDR-Armee NVA in die Bundeswehr überführte und von 1996 bis 1998 Berliner Innensenator war, seine politische Karriere beenden. Er ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Kleinmachnow.

© Thilo Rückeis

Brandenburg: „Nur Offenheit hilft“

Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm über die Stasi-Verstrickung märkischer Polizisten, die Verantwortung gegenüber Opfern der DDR und seine Hoffnungen auf ein ostdeutsches 1968 und auf eine Debatte über demokratische Werte „Die Frage der Glaubwürdigkeit des Neuanfangs war hier nicht so ausgeprägt.“

Stand:

Herr Schönbohm, Sie hatten erst kürzlich erklärt, dass Sie bei Ihrem Amtsantritt vor zehn Jahren nicht als Stasi-Jäger in Brandenburg einreiten wollten. Nun wollen Sie, kurz vor Ende Ihrer Amtszeit doch noch einmal alle Personalakten der Polizisten überprüfen, die einst hauptamtliche Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit waren. Woher dieser Sinneswandel?

Die erste Äußerung stammte ja aus der Zeit Ende 1999 als ich als neuer Innenminister des Landes vor der Frage stand, noch einmal alles aufzurollen oder nicht. Ich habe damals nach sehr sorgfältiger Erörterung mit den Fachleuten und der Bewertung der rechtlichen Möglichkeiten gesagt, dass Aufwand und Nutzen einer neuen Stasi-Überprüfung der Polizei und die zu erwartende Verunsicherung in keinem Verhältnis stehen zu den rechtlichen und personalrechtlichen Möglichkeiten, die ja durch die Tatsachenentscheidungen meines Amtsvorgängers Alwin Ziel sehr eingegrenzt waren.

Daran, dass die Leute im Prinzip unkündbar sind hat aber nichts geändert.

Was wir diesmal machen wollen, ist keine rechtliche Prüfung mit dem Ziel einer Entlassung. Es geht mir in erster Linie um einen Beitrag zum inneren Frieden in diesem Land. Denn es gibt eine ganze Reihe von Opfern des DDR-Systems, die sich schwer damit tun, wenn sie Beamte der Polizei sehen, von denen sie sagen, dass dies eben die waren, die früher für die Staatssicherheit gearbeitet haben. Das möchte ich entzerren, denn so etwas sollte den Opfern erspart bleiben. Ich möchte sicherstellen, dass diejenigen, bei denen diese Vorbehalte bestehen, gegebenenfalls andere Aufgaben übernehmen, bei denen sie nicht so sehr Umgang mit Bürgern haben.

Aber Ihre Partei, die CDU, hat in Landesvorstand und Fraktion gefordert, auch die Personalakten aller mehr als 1200 Inoffiziellen Mitarbeiter des MfS in den Reihen der Landespolizei zu überprüfen. Warum kommen sie dem nicht nach?

Zumindest ist diese Forderung so verstanden beziehungsweise veröffentlicht worden. Ich hätte dies für nicht angemessen gehalten.

Der Beschluss des Landesvorstandes fordert, die Überprüfung aller Polizeimitarbeiter mit – Zitat – „MfS-Hintergrund“.

Für mich heißt MfS-Hintergrund eben: hauptamtliche Mitarbeiter der Staatssicherheit. Und wenn es Hinweise gibt, dass ehemalige IMs heute in einer Art und Weise tätig sind, dass dies das Verhältnis des Bürgers zur Polizei belastet, dann müssen Gespräche geführt werden – seien es Täter-Opfer-Gespräche oder Gespräche über Veränderungen.

Nach der Kabinettssitzung am Dienstag, als sie die neue Prüfung verkündeten, saß Regierungschef Matthias Platzeck neben Ihnen und wirkte nicht sonderlich begeistert. Wie schwerwiegend ist der Dissens zwischen Ihnen beiden?

Ich habe deutlich gemacht, dass ich als Ressortchef die Entscheidungskompetenz habe und davon Gebrauch zu machen gedenke. Ich habe den Gesichtsausdruck des Ministerpräsidenten zu dem Zeitpunkt nicht gesehen und sehe auch keinen Dissenz.

Sie haben ihn aber im Kabinett, wo es zwischen Ihnen beiden teils hoch her gegangen sein soll, erlebt.

Dies würde ich nie so bestätigen. Sie wissen: Was im Kabinett geschehen ist, soll im Kabinett bleiben.

Es gab in der DDR auch so etwas wie eine politische Polizei, die Abteilung K1 bei der Kriminalpolizei, die eigentlich nie richtig überprüft wurde. Wie gehen Sie da mit Hinweisen um, dass auch dort frühere Opfer mit Leuten konfrontiert werden können, die Teil der politischen Repression waren?

Das ist für mich die gleiche Größenordnung wie bei den einstigen Mitarbeitern des MfS: Wir werden in jedem Bereich jedem Hinweis nachgehen – jedem.

Wie soll die neue Überprüfung eigentlich funktionieren, wenn Sie doch rechtlich keine Handhabe mehr haben?

Ich werde in naher Zukunft mit den Polizeipräsidenten und den Leitern der Einrichtungen das genaue Vorgehen abstimmen. Ich will ausdrücklich sagen: Ziel ist es, das Vertrauen der Bürger in die Polizei – die in Brandenburg eine sehr, sehr gute ist – zu stärken. Wir müssen denjenigen, die früher Opfer des Unrechtsregimes waren, danach sagen können: Wenn jemand, der früher an exponierter Stelle dem Unrechtsregime gedient hat und jetzt in den Reihen der Polizei ist, dann ist dieses vertretbar, weil wir die Sachverhalte geprüft haben.

Aber ist das nicht eine Diskussion, die 20 Jahre zu spät kommt?

Ja. Aber in Brandenburg hat es etwas länger gedauert. Ich stehe mit allem, was ich tue auf den Schultern meines Vorgängers: Es sind Entscheidungen, die der Kollege Ziel, den ich ausdrücklich schätze und als honorig ansehe, zusammen mit der sogenannten Bischofskonferenz, die die Polizisten nach der Wende als Erstinstanz überprüfte, getroffen hat. In soweit muss ich nun damit umgehen. Ich werde jetzt hier keine politische Besserwisserei betreiben – aber heute wissen wir mehr als noch vor 18 Jahren und das sollten wir berücksichtigen.

Aber Sie können es politisch bewerten.

Ich kann nur sagen: Wenn man den Vergleich zieht zwischen Brandenburg und den anderen neuen Bundesländern, muss man einfach feststellen, dass man hier offenbar vor dem Hintergrund des sogenannten Brandenburger Weges geglaubt hat, man könne die Einheit besser erreichen, wenn man möglichst viele aus den früheren Apparaten mitnimmt. Das gilt ja für alle Bereiche. In anderen Ländern hat man andere Entscheidungen getroffen. Aber das will ich jetzt nicht weiter bewerten. Ich habe ja aus meiner Auffassung auch auf der Pressekonferenz mit Herrn Platzeck nach der Kabinettssitzung am Dienstag keinen Hehl gemacht: Es gab zum Brandenburger Weg Alternativen – auch wenn das etwa Finanzminister Rainer Speer abstreitet. Man hat diese Alternativen politisch nicht gewollt.

Herr Schönbohm, fällt Ihnen ein Grund ein, warum man nach der Wende einen hauptamtlichen MfS-Offizier in den Polizeidienst übernehmen musste?

Das ist es ja: Man musste nicht – aber man hat sie übernommen. Und wenn sie die alten Protokolle des Landtages lesen, dann war dies von einer großen Welle der Brüderlichkeit getragen. Und alle diese Beschlüsse atmen den Geist: Wir wollen jetzt nach vorne gucken und wollen möglichst viele mitnehmen und wenn einer bei der Stasi war, dann machen wir eine Einzelfallprüfung. Nur: Diese Einzelfallprüfung war ganz offensichtlich zum Teil doch recht großzügig. Das ist unser Problem.

Sie spielen auf die fünfköpfige, vom Landtag eingesetzte Bischofskonferenz an, der drei brandenburgische Kirchenvertreter angehörten, sowie der Chef der Polizeigewerkschaft GdP und ein Verwaltungsjurist. Diese Kommission hat ja, wenn man es genau nimmt, 1991 mit ihren Voten, an die sich Innenminister Ziel dann ausnahmslos gehalten hat, dafür gesorgt, dass hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter eingestellt wurden. Und das, ohne, dass Stasi-Akten vorlagen, anhand derer man die Angaben der Betreffenden hätte überprüfen können.

Ja, die Bischofskonferenz hat diese Empfehlungen gegeben und der Innenminister hat entschieden, diesen auch zu folgen, das ist offenbar so.

Wer durch die Bischofskonferenz durch war, der war damit faktisch ungegauckt eingestellt, dem konnte nicht mehr gekündigt werden.

Es sei denn, man konnte ihm später bei der – im Übrigen äußerst gründlich erfolgten – Einzelfallprüfung im Innenministerium nachweisen, dass er arglistig getäuscht, also gelogen hat. Es sind deswegen noch etwa 500 Polizisten entlassen worden.

Herr Schönbohm, Sie haben im Beisein von Herrn Platzeck vor der Presse auch Ihre Enkelin als Beispiel dafür angeführt , dass wir durch eine neue Generation mit einer neuen Sicht auf die DDR und neuen Fragen konfrontiert werden. Wird das in Brandenburg nicht erhebliche Schwierigkeiten im politischen Raum verursachen, weil in Brandenburg diese Perspektive bisher gar nicht richtig eingenommen worden ist – auch in der Politik nicht?

Ich glaube, das lässt sich nicht verhindern. Das ist ja auch richtig, es ist das Recht der nachwachsenden Generation, zu fragen, wer hat was gemacht und warum habt ihr es so und nicht anders gemacht. Und diese Fragestellungen werden ja langsam erkennbar.

Sie führten als Vergleich das Jahr 1968 in der BRD an.

Ja, das erinnert mich an 1968 in der Bundesrepublik-West, wo die Eltern auch gefragt wurden, wie sie eigentlich mit dem Nationalsozialismus umgegangen sind nach dem Krieg. Es geht ja dabei auch immer um Wertfragen.

Und um Lebensläufe.

In Brandenburg sind die Diskussionen immer sehr stark nur auf Menschen bezogen worden. Es geht doch aber auch um eine Wertefrage eines Systems. Diese Frage kann man damit beantworten, dass dieses System falsch war. Soweit herrscht Einvernehmen.

Und weiter?

Leider leiten daraus die einen immer ab: Wenn das System falsch war, dann war unser Leben falsch. Das finde ich übrigens nicht richtig. Aber die Träger des DDR-Systems die sind zum Teil ungeschoren davon gekommen, die bekommen Staatspension. Aber die Opfer stellen doch zu recht die Frage, warum Unrecht von damals nach der Wende nicht gesühnt ist oder zumindest aufgearbeitet wird. Das kann man nicht flächendeckend machen, das muss sich auch rauswachsen, dieser Prozess dauert lange.

Hat er begonnen?

Ich weiß nicht. Diese Diskussion wird in Brandenburg immer sehr darauf fokussiert, dass es gegen die Menschen von hier geht. Dabei geht es um die Frage, wie wir unsere Demokratie und deren Werte deutlich erkennbar machen. Aber die Frage der Glaubwürdigkeit des Neuanfangs war in Brandenburg wohl nicht so ausgeprägt. Das ist Teil des heutigen Problems.

Wenn Sie darauf verweisen, was auch in der Bundesrepublik mit der Nazivergangenheit und in Reaktion darauf 1968 passiert ist, dann wäre es doch auch notwendig, in aller Offenheit und Transparenz alle Vorwürfe und alle Vorgänge, die die letzten 20 Jahre betreffen, offen auf den Tisch zu legen, die man rechtlich auch auf den Tisch legen kann.

Ich hätte keine Scheu das zu tun. Aber es ist nicht meine Entscheidung.

Wessen Entscheidung wäre es?

Eine der Landesregierung.

Sie sind Mitglied dieser Landesregierung.

Ich werde dafür keinen Vorschlag machen.

Warum nicht?

Weil das Thema dann in den Wahlkampf käme und die ganze Diskussion parteipolitisch verkürzt und wieder zur Diffamierung benutzt würde. Mir würde wieder vorgehalten, ich würde mich gegen ostdeutsche Lebensleistungen stellen, Biografien schlecht machen. Mit diesen verkürzten Diskussionen habe ich ein Grundmaß an Erfahrungen gesammelt in Brandenburg, das reicht mir.

Sie spielen auf die Proletarisierungsdebatte an, die losbrach, nachdem Sie vor vier Jahren geäußert hatten, die DDR habe die Gesellschaft entbürgerlicht und proletarisiert. Herr Platzeck warf Ihnen damals im Wahlkampf vor, nur das Land, nicht aber die Leute zu mögen.

Ja.

Sie wissen aus der Alt-BRD-Erfahrung, dass die Folgen einer verkorksten Aufarbeitung schwerwiegend sein können. Was wäre denn ihr Rat an die jüngeren Kollegen in der Landesregierung und in den Parteien?

Der wäre, dass nur Offenheit hilft. Es wäre ratsam, dass unsere Landeszentrale für politische Bildung aktiv wird, sich der Sache annimmt. Es muss in erster Linie um die Frage und die Definition von Werten im Leben und in der Gesellschaft gehen. Und darum, wie das DDR-System funktioniert hat, warum es so funktionieren konnte und warum es dann doch scheiterte.

Sehen Sie ein Interesse daran?

Nach all den Umbrüchen kann ich die Sehnsucht der Menschen nach Ruhe verstehen. Leider wird es daher in der Politik als einfacher und bequemer angesehen, dann eben darüber nicht zu sprechen.

Haben Sie Hoffnung auf Änderung?

Von seinem 1968 ist dieses Land, wenn die Zeitrechnung stimmt, noch exakt drei Jahre entfernt. Insofern: Ja, da habe ich Hoffnung.

Das Gespräch führten Johann Legner und Peter Tiede

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