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Sorgfältig, wie selten in solchen Fällen, hat René S. die Leichen zerstückelt.

© dpa

Von Alexander Fröhlich: Ohne Hoffnung in einer paranoiden Familienfestung Im Mord-Prozess um die Tragödie von Rathenow fällt das Gericht am Donnerstag ein Urteil

Potsdam/Rathenow - Am Ende verzichtete René S. auf sein Schlusswort.

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Potsdam/Rathenow - Am Ende verzichtete René S. auf sein Schlusswort. In dem Prozess um den im Juni 2010 in Rathenow (Havelland) begangenen Doppelmord an seinen Eltern hatte er alles gesagt und ein umfassendes Geständnis abgelegt – auch wie er die Leichen zerstückelte. Am Dienstag starrte er nur mit gesenktem Kopf regungslos vor sich hin, als Staatsanwalt Gerd Heininger vor dem Landgericht Potsdam lebenslange Haft für den 28 Jahre alten, früheren Jura-Studenten wegen heimtückischen Mordes forderte. Anwalt Jürgen Schindler-Clausner sprach von Totschlag in minderschwerem Fall und forderte eine Strafe von neun Jahren Haft.

Am Donnerstag will die Strafkammer ein Urteil in dem Fall verkünden, der überaus tragisch ist. Der psychiatrische Gutachter Alexander Böhle bezeichnete am Dienstag die Tat als „letzten Ausläufer einer eigenen Familiendynamik“, der Staatsanwalt sprach vom „Ende einer höchst problematischen familiären Situation, deren Dramatik zu Hoffnungslosigkeit auf ein selbstbestimmtes Leben und zu Ausweglosigkeit des Angeklagten führte“.

Die Eltern lebten mit ihrem Sohn seit dessen Geburt wie in einer „paranoiden Festung“. Er war mit Klumpfüßen zur Welt gekommen und stets „überbehütet“. Nach der Wende schotteten die in der DDR beruflich angesehenen, dann aber arbeitslos gewordenen Eltern sich und ihren überaus intelligenten Sohn von der als „feindlich empfundenen“ Welt ab. „Es ist ein trauriges Familienschicksal“, sagte der Gutachter. Es gab nur wenige Bekannte, keine Freunde, keine Gefühle. Der Gutachter bescheinigte ihm eine schizoide zwanghafte Persönlichkeitstörung, was aber keine Krankheit ist, die sich strafmildernd auswirken könnte. Es beschreibt einen Einzelgänger, der emotionslos ist, der Probleme hat mit anderen Menschen, der zwanghaft korrekt ist und distanziert. „Ich war beeindruckt von dieser Regungslosigkeit“, sagte Böhle. Am 9. Juni 2010 führte das alles zur „Implosion“. Nachbarn beschrieben das Leben der Familie S. als Gefängnis und wussten, „wie der Junge erzogen wird, platzt irgendwann die Bombe“.

Jahrelang hatte René S. das getan, was seine Mutter wollte. Als sein Notendurchschnitt in der fünften Klasse von 1,2 auf 1,5 absackte, musste er zu Hause nachsitzen. Der Gutachter sprach von „paranoider Kontrolle“, gespeist aus Schuldgefühlen der Mutter. Auf ihren Druck hin studierte er nicht Medizin, sondern Jura in Potsdam. Nach acht Jahren hielt er es nicht mehr aus, im November 2009 scheiterte ein Selbstmordversuch, das Studium brach er ab. Für die Eltern war das eine Katastrophe, der Sohn fortan ein Versager, vor allem für die ehrgeizige Mutter: Weihnachten und Ostern feierte die Familie nicht. Ein Stimmung wie „im Eiskeller“, sagte Anwalt Schindler-Clausner.

Im Frühjahr 2010 dann fand S. für sich einen Ausweg, eine Ausbildung zum Finanzwirt fernab der Eltern. Als er nach zwei gescheiterten Bewerbungen am 9. Juni zu einem letzten Versuch nach Hamburg fahren wollte, machte es bei ihm nach eigener Aussage „klick“. Erst machte der Vater (67) ihm im Keller Vorwürfe, er könne sich den Aufwand sparen. Der Sohn griff zum Messer und stach mehrmals auf den Vater ein. Staatsanwalt Heininger geht von verminderter Steuerungsfähigkeit aus. Auch die Mutter (60), noch im Bett liegend, beschimpfte ihn. Er griff zum Hammer und schlug ihr den Schädel ein. Und er fuhr zum Bewerbungsgespräch nach Hamburg, zurück in Rathenow erfuhr er, es war umsonst. Dann zerstückelte er über Wochen die Leichen mit einer Kettensäge, den Körper der Mutter teilte er laut Rechtsmedizin mit seltener Sorgfältigkeit in 22 Stücke und versteckte sie in einer Tonne, die Reste des Vaters verbrannte er – alles sehr akribisch.

Besorgte Nachbarn informierten die Polizei, Mitte Juli flog S. auf, als Beamte in dem Haus Verwesungsgeruch bemerkten. René S. aber wirkte auf die Ermittler und den Haftrichter wie befreit. Er hat alles erzählt.

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