Brandenburg: Ohne Idiotentest: Pappe aus Polen
Immer mehr Verkehrssünder umgehen die medizinisch-psychologische Untersuchung mit einem Umweg über die Oder
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Immer mehr Verkehrssünder umgehen die medizinisch-psychologische Untersuchung mit einem Umweg über die Oder Stettin - „Ohne Idiotentest“. Ganz dick steht der Hinweis in den Anzeigen. Manchmal liest man sogar die exakte Bezeichnung „Medizinisch-psychologische Untersuchung –MPU“. Die Kunden springen auf jeden Fall an. Sie stürmen geradezu die vermeintlich perfekten Fahrschulen, auch wenn diese Offerte eine längere Anfahrt erforderlich macht. Denn die Fahrlehrer und Prüfer arbeiten mindestens 80 Kilometer östlich Berlins – im Nachbarland Polen. Die mit dem Zug oder dem Auto gut erreichbare Großstadt Stettin (Szczecin) hat sich zum Zentrum dieser auf deutsche Interessenten spezialisierten Fahrschulen entwickelt. Doch während es bis vor einem Jahr vor allem Fahranfänger wegen des Preis- und Zeitvorteils nach Polen zog, sitzen heute in den Klassen mehrheitlich ganz andere „Schüler“. Es sind in Deutschland ertappte Verkehrssünder, die wegen erheblicher Trunkenheit, Raserei oder einem zu hohen Punktekonto in Flensburg den Führerschein abgeben mussten. Wer ihn wiedererlangen will, muss oft erst die besagte MPU bestehen. In Polen aber gibt es diese Untersuchungen für Fahrschüler grundsätzlich nicht. Zwar setzt ein hier durch Ausländer erworbener EU-weit gültiger Führerschein einen mindestens 185 Tage währenden Aufenthalt voraus, aber die Schein-Anmeldung in einem polnischen Wohnheim gehört mit zum Service der Fahrschulen. Neuerdings gibt es nach der Eintragung ins Einwohnerregister sogar eine EU-Bürgerkarte, die Ausländern viele Rechte in Polen einräumt. Nach Berichten einer Stettiner Zeitung, erteilte die Hafenstadt in den ersten fünf Monaten mehr als 1000 Ausländern eine Aufenthaltsgenehmigung. 80 Prozent davon stammten von Fahrschülern. Der Andrang verwundert kaum. Denn gerade immer mehr Berliner und Brandenburger scheitern an der Hürde des psychologischen Eignungstests zum Führen eines Kraftfahrzeuges. Oft fehlt schon allein das Geld. Im Internet kursieren Summen zwischen 6500 und 8000 Euro, die für die Sitzungen beim Psychologen anfallen können. Da besitzen die polnischen Anbieter oder deren deutsche Ableger natürlich bessere Karten. Hier kosten die Fahrstunden und die Prüfungen einschließlich Dolmetscher nicht mehr als 1100 bis 1300 Euro. Bewusst nehmen die deutschen Teilnehmer dabei in Kauf, dass bei einer gründlichen Polizeikontrolle ihr in Flensburg gespeicherte Sündenregister zum Vorschein kommt und eine Betrugsanzeige folgen könnte. Aber die Höhe des Risikos hält sich in Grenzen. Die Polizei jedenfalls ist keineswegs verpflichtet, beim Vorzeigen eines in Polen erworbenen Führerscheins durch deutsche Staatsbürger automatisch eine Datenabfrage beim Kraftfahrtbundesamt zu starten. „Das wäre der beste Weg, um diese rollenden Zeitbomben aus dem Verkehr zu ziehen“, sagt Regierungsdirektor Christian Weibrecht vom Bundesverkehrsministerium. Die MPU prüfe doch gerade, ob der Verkehrssünder aus seinen Fehlern gelernt habe. „Jeder, der sich auf den Schwindel einlässt, macht sich strafbar“, unterstreicht Weibrecht. Aber ausgerechnet im so wichtigen Verkehrsrecht lässt die gerade jetzt so gescholtene Bürokratie der Europäischen Union einige Schlupflöcher zu. So würde eine bessere Zusammenarbeit der jeweiligen Verkehrsbehörden schon frühzeitig alle Betrugsversuch aufdecken. Die deutschen Fahrschüler brauchten nur einen amtlich beglaubigten Auszug aus der Verkehrssünderkartei vorlegen müssen. „Wir arbeiten mit den polnischen Kollegen daran“, versichert Regierungsdirektor Weibrecht. Eine eigenhändig verfasste Erklärung der Prüflinge, frei von einem gerichtlichen Fahrverbot zu sein, reiche jedenfalls nicht. Die Polizei allein scheint bei ihren Kontrollen damit überfordert zu sein. „Jeder Beamte kann vor Ort die Gesamtumstände bewerten und eine Anfrage beim Kraftfahrtbundesamt stellen“, erklärt der Sprecher des Brandenburger Innenministeriums, Wolfgang Brandt. „Dann muss er allerdings erst den Verdacht haben, dass ein Autofahrer unberechtigter Weise im Besitz einer Fahrlizenz ist.“ In der Regel unterbleibe in Brandenburg diese Anfrage in Flensburg.
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