
© dpa
Brandenburg: Ohne Schutz des Staates
In Frankfurt (Oder) hat ein Bundespolizist über Jahre Kinder sexuell missbraucht. Er war ihr Trainer. Doch das hätte verhindert werden können. Über das Versagen von Verein und Behörden
Stand:
Die Kinder leiden noch immer, die Therapiestunden erstattet den Eltern aber niemand. Nicht der Sportverein USC Viadrina in Frankfurt (Oder), wo die Kinder Gewichtheben trainierten, wo sie ihrem Trainer begegneten, der sie sexuell missbrauchte – und alles nur, weil der Verein auf mögliche Sicherheitsüberprüfungen verzichtete. Und auch der Staat hilft nicht – ganz genau die Staatsanwaltschaft Cottbus. Sie hatte es vor Jahren bei Ermittlungen wegen Besitzes von Kinderpornos versäumt, den Beruf des Trainers zu ermitteln. In seiner Freizeit trainierte Frank S. die Jungen im Gewichtheben und verging sich an ihnen, der jüngste war beim ersten Mal gerade sieben Jahre alt. Sonst war der 47-Jährige Beamter, stand in Frankfurt (Oder) im Dienst der Bundespolizei – ausgerechnet. Sein Dienstherr aber erfuhr nichts von dem Verfahren, nichts von dem vor Jahren ergangenen Strafbefehl über eine Haftstrafe von elf Monaten auf Bewährung wegen der Kinderpornos. Und er konnte nicht einschreiten.
In diesem Fall ist vieles schiefgelaufen. Ob es ein Fehler im System war, die übliche Routine, Nachlässigkeit, begrenzte Ressourcen oder fehlende Sensibiliät – fest steht: Hätte der Verein alle Möglichkeiten und Schutzvorkehrungen getroffen, wäre die Justiz ihrer Pflicht nachgekommen, wären sechs Kinder von Frank S. nicht sexuell missbraucht worden.
Alles begann im Jahr 2007. Von den Ermittlungsbehörden in Baden-Württemberg erhielt die Staatsanwaltschaft Cottbus einen Hinweis auf Kinderpornos auf einem Computer, registriert auf die Frau des Beamten. Bei der Hausdurchsuchung gab er alle Daten freiwillig heraus, alles dauerte nur 15 Minuten. Er wollte sich später auch noch gegenüber den Ermittlern äußern. Dann aber schaltetet er einen Anwalt ein, der Akteneinsicht nahm, und schwieg fortan. Jegliche Aussage lehnte er ab, auch zu seinem Beruf machte er keine Angaben. „Weil er keine Einlassung abgab, wurde Strafbefehl beantragt, der dann rechtskräftig wurde“, sagt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Cottbus. Verbrechen aufgeklärt, Täter überführt, Aktendeckel zu.
Zum Strafbefehl gehörte auch das „Verbot der Beschäftigung, Beaufsichtigung, Anweisung und Ausbildung von Jugendlichen“. Doch es lief ins Leere. Denn vom Beruf des Bundespolizisten, dessen Trainerjob eine von der Bundespolizei genehmigte Nebentätigkeit war, erfuhr die Staatsanwaltschaft nichts – und damit auch nicht der Dienstherr von Frank S. Dabei wäre Frank S. in dem Kinderporno-Verfahren verpflichtet gewesen, derlei Daten zu nennen. Ihm sei offenbar klar gewesen, welche Konsequenzen folgen würde, wenn er seinen Beruf offenbart hätte, vermutet die Staatsanwaltschaft heute. Denn dann hätte die Behörde die Bundespolizei, so sieht es das Gesetz vor, informieren müssen, konkret in einer „Mitteilung über Strafsachen von Personen, die im Beamten- und Richterverhältnis stehen“.
Damals hätte die Staatsanwaltschaft gegen S. auch ein Ordnungswidrigkeitenverfahren einleiten können, weil er keine Angaben zu seiner Person machte. Doch die dabei drohende Strafe wäre eine Bagatellsumme gewesen angesichts des drohenden Strafbefehls, dachten sich die Ermittler. Sie hätte auch die Polizei beauftragen können, den Beruf von Frank S. zu ermittelt. Zumal die Staatsanwaltschaft per Gesetz dazu verpflichtet ist, Beruf und Ämter von Beschuldigten zu ermitteln.
Aber dazu gab es aus Sicht der Behörde keinen Anlass, schließlich war Frank S. ja überführt. Der Aufwand erschien der Staatsanwaltschaft zu hoch, die Rede ist von knappem Personal bei Polizei und Justiz. Von Verfahrensökonomie sprechen Fachleute.
Wozu das alles in diesem Fall führte, zeigte sich Jahre später. 2013 wurden gegen Frank S. Ermittlungen eingeleitet. Im Mai 2014 verurteilte ihn das Landgericht Frankfurt (Oder) wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 130 Fällen zu sieben Jahren Haft. Dem Richterspruch zufolge hat er über Jahre zehn Kinder und Jugendliche missbraucht – in seiner Wohnung, in seiner Dienstwohnung, in der Trainingshalle, im Trainingslager, im Jugendzentrum, selbst in den Wohnungen der Opfer. Allein sechs Kinder und Jugendliche aber wurden erst nach 2007, also nach dem Strafbefehl wegen Kinderpornos, Opfer des Mannes. Und genau diesen sechs Kindern und Jugendlichen hätte das alles erspart bleiben können.
Blieb es aber nicht. Eben weil die Staatsanwaltschaft sich zu schnell zufriedengab. Aber auch weil der Verein, der USC Viadrina, offenbar nicht alle seine Möglichkeiten nutzte. Wie das RBB-Magazin „Klartext“ berichtet, erfuhr auch der Verein 2007 nichts vom Strafbefehl; Frank S. konnte einfach seinen Trainerschein machen. Doch spätestens seit 2009 hätte es der Verein wissen können. Denn seither können Sportvereine und generell alle Träger in der Kinder- und Jugendarbeit dank einer Gesetzesänderung beim Bundeszentralregister ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis anfordern, in dem alle Vorstrafen aufgelistet sind. Der Landessportbund hatte damals alle Vereine aufgefordert, das erweiterte Führungszeugnis für Trainer obligatorisch anzufordern und „damit den Kinderschutz obligatorisch sicherzustellen“. Der Verein aber verteidigt sich „Klartext“ zufolge mit einer Formalie – dass nämlich das Anfordern des erweiterten Führungszeugnisses im Gesetz nur eine „Kann-Bestimmung“ ist. Womit der Verein indirekt sogar bestätigt, dass er die Misshandlung von sechs Kindern hätte verhindern können.
Dass es erneut zu solch einem Fall kommt, schließt die Staatsanwaltschaft inzwischen auf. Zu jener Zeit, als die Auskunftsrechte von Sportvereinen aus dem Zentralregister erweitert wurden, machte auch ein Gutachten zu Sexualstraftaten die Runde. Demnach besteht nach Angaben eines Sprechers der Cottbuser Behörde ein enger Zusammenhang zwischen dem Konsum von Kinderpornos und dem sexuellen Missbrauch. Soll heißen: Wer sich Kinderpornos anschaut, missbraucht mit einiger Wahrscheinlichkeit auch selbst einmal ein Kind. „Die Praxis wurde deshalb deutlich geändert, die Ermittlungsmaßnahmen erweitert“, sagt der Sprecher. Beruf, Ämtern und Nebentätigkeiten müssen die Ermittler bei Personen, gegen die wegen Kinderpornos ermittelt wird, nachgehen. Die bis dahin abgeschlossenen Fälle wurden aber nicht noch einmal aufgerollt und überprüft.
Als die Bundespolizei 2013 von den Ermittlungen gegen Frank S. erfuhr, schritt sie sofort ein. Im Zuge dessen stieß die Bundespolizei selbst auf den Kinderporno-Strafbefehl von 2007 – sechs Jahre später. Wie ein Sprecher des Bundespolizeipräsidiums in Potsdam sagt, wird in einem solchen Fall wie bei Frank S. ein Disziplinarverfahren eingeleitet, je nach Schwere der Vorwürfe erhalten Beamte dann Dienstverbot, selbst das Gehalt kann gekürzt werden. Und Frank S. wäre, hätte die Bundespolizei 2007 von den Kinderpornos erfahren, mit Sicherheit die Nebentätigkeit als Trainer untersagt worden.
Bundespolizeipräsident Dieter Romann hält den Fall, die Pannen und deren Folgen in dem gesamten Verfahren seit 2007 übrigens für so schwerwiegend, dass er sich direkt an die Generalstaatsanwaltschaft Brandenburgs und der anderen Bundesländer wandte. In seinem Schreiben appellierte Romann an die Staatsanwaltschaften, die gesetzlichen Vorschriften einzuhalten: nämlich den Beruf zu ermitteln. Alexander Fröhlich
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: