
© Bernd Settnik / dpa
Brandenburg: Parlamentarische Haushaltswaren
Es geht um 22,8 Milliarden Euro: Der Landtag debattierte erstmals den Doppelhaushalt 2017/2018. Dabei ging es hoch her – und um Stehgeiger, selbst steuernde Autos, Funklöcher und Gesinnungsethik
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Potsdam - Ingo Senftleben hatte erkennbar Vergnügen an seinem Auftritt, obwohl seine Aufgabe eine undankbare war. Wo soll eine Opposition ansetzen, wenn die rot-rote Regierung so viel Geld ausgeben kann wie keine zuvor in Brandenburg seit 1990; wenn die Steuereinnahmen sprudeln? Wenn immer mehr Lehrer und Polizisten eingestellt werden können, das Wirtschaftswachstum in Brandenburg eines der stärksten in Deutschland ist? Doch der CDU-Oppositionsführer, der Chef der größten Oppositionsfraktion im Landtag, wo am Mittwoch erstmals der Entwurf des rot-roten Doppelhaushaltes für die Jahre 2017 und 2018 beraten wurde, fand seinen Dreh: Es sei ein Haushalt des Heute, nicht des Morgen, es fehle jeder Ansatz für das digitale Zeitalter, sagte Senftleben, und legte immer wieder nach. „Es wäre eine wunderbare Chance gewesen.“ Stattdessen werde kein Geld eingeplant, um „Smart Villages“ in Brandenburg anzupacken, das „autonome Fahren“ voranzutreiben, also die Entwicklung selbst steuernder Autos, die 13 Jahre alte Digitalkonzeption der Landesregierung zu erneuern. Der Breitbandausbau dümple dahin. Es werde versäumt dafür zu sorgen, dass es auf der A 113 nicht länger mehr Funklöcher als Abfahrten gibt oder der Prignitz-Express im schnellen Takt den Nordwesten des Landes mit Berlin verbindet. Und jedes Kinderzimmer sei technisch besser ausgestattet als ein Schulraum. „Warum soll nicht ab der 5. Klasse jedes Kind in der Schule mit einem Tablet lernen“, fragte Senftleben. „Wir brauchen endlich eine Strategie für die Digitalisierung in Brandenburg.“
Ja, Haushaltdebatten sind in Parlamenten immer politische Generaldebatten. Vorher hatte Finanzminister Christian Görke (Linke), der die Eröffnungsrede hielt, sich deshalb die CDU schon mal präventiv vorgeknöpft. „Wir haben keinen Cent neue Schulden gemacht, im Unterschied zu Ihnen!“, spielte er auf die SPD-CDU-Koalition von 1999 bis 2009 an, als Brandenburgs Schuldenberg um Milliarden gewachsen war. Der Union hielt er vor, allen alles zu versprechen, indem er den früheren Stuttgarter CDU-Oberbürgermeister Erwin Rommel zitierte: In der Politik gebe es jene, die einen Euro haben und zwei Euro ausgeben wollen, und die, die wissen, dass das nicht geht, so Görke. Kurzes Luftholen. „Brandenburgs CDU bestellt ein ganzes Sinfonieorchester, hat aber nicht mal das Trinkgeld für den Stehgeiger und wirft die Rechnung beim Nachbarn in den Briefkasten.“ Da kam Stimmung auf. Da war auch einer in seinem Element. Und Görke nahm sich gleich noch einen vor, selten für einen Linken, einen Gewerkschafter: Nämlich Günther Fuchs, den Landeschef der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW), der letzte Woche die rot-rote Regierung scharf attackiert hatte. Dass die GEW zusätzliche Lehrer fordere „und gleichzeitig ein lukratives Altersteilzeitprogramm für Lehrer, das allein jährlich 200 Millionen Euro kosten würde, passt einfach nicht zusammen“, konterte Görke. Im Doppelhaushalt, den er einbrachte, können 22,8 Milliarden Euro ausgegeben werden. Es sei ein ausgewogener Haushalt mit sozialem Augenmaß, sagte Görke. Und er betonte mehrfach, dass neue Lehrer eingestellt werden und so viele Polizeianwärter wie nie seit 1990. „Innere Sicherheit und soziale Sicherheit gehören zusammen“, sagte Görke. „Der Personalabbau bei der Polizei ist gestoppt.“ Das waren schon vorbeugende Sätze – für Alexander Gauland, den Rechtsaußen von der AfD.
Der nutzte für seine Rede vor allem den Auftritt von SPD-Fraktionschef Mike Bischoff, der etwas poetisch („Ich stelle mir ein Land vor ...“) ausfiel. „Ich habe selten eine Rede gehört, die so an der Wirklichkeit vorbeigeht“, so Gauland und zeichnete ein düsteres Bild. „In Brandenburg ist es Staatsräson geworden, ganze Landstriche aufzugeben.“ Die Regierung pumpe das Geld in ein paar Wachstumskerne und das Umland, habe nach der inneren Sicherheit die Dörfer abgeschrieben. Es sei bezeichnend, wenn es in der Uckermark 13 Prozent Schulabbrecher gebe: „Was diesen Menschen bleibt, ist Armut, Abstieg und Alkohol.“ Dafür gebe Brandenburg 700 Millionen Euro, so der obligatorische Gauland zur Flüchtlingspolitik diesmal, „für gesinnungsethischen deutschen Größenwahn aus“. Prompt lieferte sich Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) mit Gauland, als der das Rednerpult verließ, einen heftigen Disput. Und Grünen-Fraktionschef Axel Vogel widersprach in seiner Rede: „Ja, ich bekenne mich zur Gesinnungsethik, Herr Gauland!“. Statt renovierte Unterkünfte leer stehen zu lassen, sollte Brandenburgs Regierung versuchen, in Griechenland gestrandete Flüchtlinge herzuholen.
Seine Kritik am Haushaltsentwurf setzte Vogel so an: Der sei „ein Torso, ein Rumpfhaushalt“, weil entscheidende Ausgaben – wie das jüngst angekündigte Kita-Programm und die 50-Millionen-Abwasserhilfen – erst noch eingearbeitet werden müssten. Brandenburg gebe 2017 und 2018 jeweils 11,4 Milliarden Euro aus, 1,4 Milliarden Euro mehr als 2010. Dass das Land Rücklagen über eine Milliarde Euro gebildet habe, habe auch mit dem „Werteverzehr“ zu tun, also unterlassenen Investitionen, warnte Vogel. Er forderte eine Erfassung des Landesvermögens, also auch der Landesstraßen, der Deiche, nach Vorbild des schwarz-grün regierten Hessens oder des rot-grün regierten Bremens. Und Grünen-Fraktionschef Vogel mahnte ein Umsteuern in der Förderpolitik des Landes an. Wenn in Kleinmachnow fünf Prozent die AfD wählen, in Flämingdörfern teilweise 30 Prozent, „muss man fragen, ob die Regierung mit dem Stärken-stärken-Konzept die ländlichen Regionen vernachlässigt hat“. Peter Vida von den Freien Wählern bescheinigte der Regierung zwar „handwerkliche Pflichterfüllung“. Doch wenn in Zeiten von Niedrigzinsen weniger als in den Vorjahren investiert werde, sei das ein „Armutszeugnis“. Der Doppelhaushalt, der nun in den Ausschüssen beraten wird, soll im Dezember beschlossen werden.
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