Von Matthias Matern: Pflege: Verdi rügt Schummelei beim Mindestlohn Arbeitgeber rechnen angeblich Überstunden, Weihnachts- und Urlaubsgelder auf Stundenlohn an
Berlin/Potsdam - Lange haben Gewerkschaft, Wohlfahrtsverbände und Arbeitnehmer für den Mindestlohn gekämpft. Nun ist er da, seit 1.
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Berlin/Potsdam - Lange haben Gewerkschaft, Wohlfahrtsverbände und Arbeitnehmer für den Mindestlohn gekämpft. Nun ist er da, seit 1. August erhalten Pflegehilfskräfte in Berlin und den alten Bundesländern mindestens 8,50 Euro pro Stunde, in den neuen Bundesländern wie Brandenburg wenigstens 7,50 Euro. Angemessen sei die Bezahlung noch immer nicht, meinen Experten, es sei lediglich ein erster Schritt, um die Attraktivität des Berufs zu verbessern und somit dem enormen Fachkräftemangel zu begegnen. Recherchen der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi zufolge aber entpuppt sich bei vielen freien Trägern selbst dieser bescheidene Etappensieg als Luftnummer.
Viele Arbeitgeber würden derzeit versuchen, den Mindestlohn zu umgehen, indem etwa Urlaubs- und Weihnachtsgelder, Schichtzulagen und Überstunden auf den Stundenlohn umgelegt würden, kritisiert die Gewerkschaft. Für Betroffene hat Verdi eine Hotline eingerichtet, die vom 7. September bis 7. Oktober geschaltet ist. „Das ist der Zeitraum, in dem die ersten Gehaltsabrechnungen nach dem neuen Mindestlohn eintreffen werden“, erläutert Michael Musall, beim Verdi-Landesbezirk Berlin-Brandenburg zuständig für Pflegeeinrichtungen.
Die Begründungen, mit denen manche private Arbeitgeber ihren Pflegekräften den Mindestlohn verwehren, nennt Musall „krude“. „Der eine etwa versucht seinen Mitarbeitern einzureden, der Mindestlohn gelte nur für den öffentlichen Dienst. Andere wiederum behaupten, sie würden gar keine Pflegedienste, sondern nur Krankenpflege anbieten. Die fällt nämlich nicht unter den Mindestlohn“, berichtet der Gewerkschafter. Einen Gefallen aber tun sich die Arbeitgeber nicht, glaubt der Gewerkschafter. Schließlich sei der Bedarf an guten Pflegekräften in Deutschland „enorm“. Der Arbeitgeberverband Pflege, dem derzeit 19 überwiegend große private Anbieter angehören, schätzt den Bedarf bundesweit auf derzeit rund 50 000 Mitarbeiter. Zumindest für die eigenen Mitglieder schließt Sprecher Steffen Ritter Schummeleien beim Mindestlohn aus.
Aktuelle Bedarfszahlen für das Land Brandenburg liegen nicht vor, werden aber derzeit von der Liga der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege Brandenburg ermittelt. Der Liga gehören unter anderem die Arbeiterwohlfahrt, das Deutsche Rote Kreuz und die Caritas an. Der Trend, der sich aus den ersten Ergebnissen ablesen lasse, sei jedoch eindeutig, meint Manfred Thuns von der Caritas und Vorsitzender der Liga. „Die Lage hat sich gegenüber 2009 nochmals verschärft.“
Die Frage des Pflegekräftemangels beschäftigt am heutigen Mittwoch auch die Mitglieder des Sozialausschusses im brandenburgischen Landtag. Wie dramatisch die Lage ist, zeigt eine Prognose des brandenburgischen Sozialministeriums. Demnach steigt die Zahl der Pflegebedürftigen im Land bis 2030 von derzeit etwa 91 000 Personen auf rund 130 000. Dem Fachkräftemangel entgegenwirken aber lasse sich nur, und da sind sich die Experten einig, indem der Beruf attraktiver wird. Doch außer dem Mindestlohn habe sich an den Rahmenbedingungen nichts verändert, meint Manfred Thuns. Nach wie vor sei die psychische und physische Belastung der Pfleger groß. Rund 16 Pflegepatienten pro Tag seien etwa in der ambulanten Pflege keine Ausnahme. Durch die häufig langen An- und Abfahrtswege bleibe zudem für die eigentliche Betreuung kaum noch Zeit, beschreibt Thuns von der Liga der Spitzenverbände.
Mit einem Zehn-Punkte-Programm will der Arbeitgeberverband Pflege demnächst Vorschläge einreichen, wie das Image des Pflegeberufs trotz chronisch überlasteter Krankenkassen an Attraktivität gewinnen soll. Doch allein mit heimischen Kräften lasse sich der Bedarf trotzdem nicht abdecken, meint Steffen Ritter.
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