Brandenburg: Philosophie der Aufklärung
Humanistischer Verband wird heute 100 Jahre alt
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Humanistischer Verband wird heute 100 Jahre alt Berlin - Am Anfang stand die Feuerbestattung. 1905 gründeten zwölf Sozialdemokraten in Berlin den Verein der Freidenker für Feuerbestattung. Sie wollten, dass die Berliner bis zu ihrem Ende selbstbestimmt leben können, außerdem konnten sich viele Arbeiterfamilien die Erdbestattung einfach nicht leisten. Etwas anderes aber war in Preußen 1905 nicht erlaubt. Auf diese Zusammenhänge beruft sich der Humanistische Verband (HVD), wenn er heute mit einem Festakt im Willy-Brandt-Haus seine 100-jährige Tradition feiert. Seit seiner Neugründung vor zwölf Jahren hat der Verband stetig Mitglieder gewonnen. Viele sind es aber immer noch nicht: 3000 – so viel wie eine mittelgroße Kirchengemeinde. Der Einfluss ist aber viel größer, sagt der Verband. 130 000 Menschen erreiche man, darunter sind die 37 000 Kinder, die an 350 Schulen freiwillig Lebenskundeunterricht besuchen. Dass die wenigen Mitglieder so eine Wirkung entfalten können, hat auch mit den prominenten sozialdemokratischen Fürsprechern zu tun. Bei den Festveranstaltungen zum Jubiläum spricht der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Vom Kultursenator erhält der Verband zur Zeit 580 000 Euro institutionelle Förderung. Das macht 194 Euro pro Mitglied. Die Kirchen kommen auf 10 Euro. Die CDU nennt das eine „eklatante Ungleichbehandlung.“ Hinzu kommt, dass die Mehrheit der konfessionellen Religionskundelehrer Angestellte der Kirchen sind, aber nur ein Drittel der Lebenskundelehrer beim Humanistischen Verband. Die meisten sind Sozialkundelehrer, die Lebenskunde nebenbei unterrichten. Das enge Verhältnis zur SPD rührt aus der Verbindung vieler Freidenkerverbände in den 20er Jahren mit der Arbeiterbewegung. Aus dem Verein für Feuerbestattung entstand der Deutsche Freidenker-Verband, der 1930 6000 Mitglieder hatte. Sie organisierten für die Arbeiter Ausflüge, Vorträge und allerlei Kulturveranstaltungen. Als Mitte der 20er Jahre die ersten weltlichen Schulen öffneten, waren die Freidenker mit ihrem Lebenskundeunterricht dabei. 1933 wurden sie von den Nazis verboten. 1993 kam es zum Zusammenschluss mehrerer atheistischer Gruppierungen und Freidenker-Verbände zum Humanistischen Verband. Heute bieten die Humanisten angefangen von den zwölf Kitas über den Lebenskundeunterricht, Jugendfeiern und Gesundheitsberatung bis hin zu weltlichen Hochzeits- und Trauerfeiern, Seniorenbetreuung, Quartiersmanagement und Hospizdiensten alles, was für ein Leben von der Wiege bis zur Bahre nötig ist. Ziel der Anstrengungen ist die „Überwindung der Dominanz der christlichen Kirchen“. Die Angst, die Kirchen könnten ihren Religionsunterricht in einem Wahlpflichtfach an den Schulen verankern, lässt die Humanisten in der aktuellen Debatte um den Werteunterricht sogar für ein Modell plädieren, das sie selbst überflüssig machen könnte. Sie argumentieren für ein Pflichtfach Ethik, das auch in weiten Teilen der SPD favorisiert wird. Dass es unter den Berlinern noch viele potenzielle HVD-Mitglieder gibt, hat pünktlich zum Jubiläum eine Allensbach-Studie herausgefunden. 13 Prozent der Berliner gaben an, „voll und ganz“ hinter der Weltanschauung der Humanisten zu stehen. Sie wurden gefragt, ob sie zustimmen, dass man ethische Verantwortung für die Gesellschaft ohne Rückgriff auf religiöse Positionen begründen sollte. Die nicht-religiöse Begründung der Humanisten, die sich auf die Philosophie der Aufklärung beruft, bringt Werner Schultz auf den Nenner: Jeder möge nach seiner Fasson glücklich werden – und Verantwortung für sein Tun übernehmen. Claudia Keller
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