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Stasi-Debatte in Brandenburg: Platzeck warnt vor „billiger Abrechnung“
Die Enquete-Kommission des Brandenburger Landtags debattiert die Versäumnisse bei Stasi-Überprüfungen. Ein spricht von „Brandenburgischer Anarchie“
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Potsdam - Die Politik wehrt sich gegen eine neue Stasi-Überprüfung im öffentlichen Dienst in Brandenburg, nachdem ein Gutachten für die Enquete-Kommission des Landtages schwere Versäumnisse bei den Überprüfungen von Landtag und Regierung seit 1990 festgestellt hatte. Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) nannte eine neue Überprüfung am Freitagabend „unverhältnismäßig“. Er sagte auf dem traditionellen SPD-Sommerfest in Potsdam zur aktuellen Debatte, dass ein ehrlicher Umgang mit DDR-Geschichte nötig sei, aber nicht „in billige Abrechnung abgleiten darf“. Er erklärte, Brandenburg sei angemessen mit der Vergangenheit umgegangen, man habe versucht, Biografien differenziert zu bewerten. Der „Kurs der Versöhnung war und ist gut für Brandenburg. Es macht keinen Sinn alte ideologische Schlachten immer wieder neu zu schlagen“, sagte Linken- Chef Klaus Ernst. Für die Linke gelte der Grundsatz, dass jeder, bevor er für öffentliche Ämter kandidiert, seine Vergangenheit offen legen müsse.
Ein möglicher Generalverdacht müsse durch ein „neues flächendeckendes Verfahren“ ausgeräumt werden, hatte zuvor Gutachter Hanns-Christian Catenhusen vor der Enquete-Kommission gesagt. Bei Führungspositionen und bei den achthundert Richtern im Land sei dies möglich. Das Gutachten hatte schon im Vorfeld für heftigen Streit gesorgt. Danach ging Brandenburg lax vor. Hier wurden laut Gutachten bis 1997 in der Verwaltung 32 Prozent von 4 342 stasibelasteten Mitarbeitern entlassen, in Sachsen-Anhalt waren es 34 Prozent von 5 446, in Sachsen und Berlin mussten dagegen bei Stasi-Hinweisen jeder zweite gehen. Zugleich war die einstimmig beschlossene Selbstüberprüfung des 1990 gewählten ersten Landtages unzureichend, sagte Gutachterin Gisela Rüdiger.
Der Stasi-Experte und Wissenschaftler Helmut Müller-Enbergs sagte, der öffentliche Dienst in den ostdeutschen Bundesländern sei eine Heimstatt für ehemalige Stasi-Spitzel. Er kritisierte, vor allem bei der Polizei seien viele ehemalige Stasi-Leute gehalten worden. Lehrer hingegen hätten schlechte Karten gehabt, dies unterschiedliche Praxis sei „brandenburgische Anarchie“.
Alt–Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) verteidigte den Kurs, dass ein Check damals den Ministerien überlassen blieb. Die großzügigere Linie etwa bei der Polizei sei wegen der Sorge vor wachsender Kriminalität von West-Beratern empfohlen worden. „Richtig ist, ich war nicht auf Rache aus“. Kritik an der Forderung nach einer Regelüberprüfung kam auch von Brandenburgs Ex-Innenminister Jörg Schönbohm (CDU). Die rechtlichen Voraussetzungen dafür seien begrenzt; „außer ergebnislosem Aktionismus kommt dabei nichts heraus“. „Die jetzige Diskussion hilft Brandenburg überhaupt nicht weiter“, sagte Schönbohm, der als Innenminister auf eine Überprüfung der Polizisten verzichtet hatte, trotz Hinweisen des CDU-Abgeordneten Dierk Homeyer 1999 auf die massive Stasi-Belastung. Schönbohm sagte nun: „Es würde mehr dem inneren Frieden dienen, diese Debatte zu beenden – unter der Voraussetzung, dass die Täter Einsicht zeigen und mehr für die Opfer getan wird“. Schönbohm wehrte sich gegen den Vorwurf, er habe als Innenminister selbst zu wenig Nachdruck auf DDR-Aufarbeitung gelegt. Im Rahmen seiner Möglichkeiten habe er Stasi-belastete Mitarbeiter überprüfen und versetzen lassen; in vielen Fällen sei eine Entlassung am Beamtenrecht gescheitert. Auch die von Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) geführte rot-rote Landesregierung lehnt weitere Stasi-Überprüfungen bislang ab. mit gn/ce/dapd/epd
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