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POSITION: Platzecks „zweite Chance!“

Ex-Stasi-Leute diktieren dem Ministerpräsidenten in die Feder Von Saskia Ludwig

Stand:

Moderator Dirk Platt zählt sie in seiner Anmoderation von „Brandenburg Aktuell“ alle auf: „Kerstin Kaiser, Hans-Jürgen Scharfenberg, Gerlinde Stobrawa, Axel Henschke, Gerd Rüdiger Hoffmann und Michael Luthard. Das sind Namen, um die es im Bericht der Kommission zur Stasi-Überprüfung von Landtagsabgeordneten geht.“ Im eigentlichen Beitrag der Sendung wird aber auch Matthias Platzeck zu Wort kommen, denn schließlich geht es um sein Lebenswerk, die letzte linke Landesregierung in Deutschland. Eine Szenerie, wie sie Vaclav Havel, der unter anderem als Regimekritiker während der Herrschaft der kommunistischen Partei in der Tschechoslowakei in die Geschichtsbücher eingegangen ist,als „verdorbenes sittliches Klima“ beschrieben hätte.

Diese RBB-Sendung vom 17. Januar 2012 würde sich aber auch hervorragend als Lehrfilm für die Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung unter der Leitung von Dr. Martina Weyrauch eignen. Denn auch im Jahre 2012, mehr als 20 Jahre nach der Wende, wird von Rot-Rot in Brandenburg weiter geleugnet, denunziert und relativiert. Da tritt etwa eine Kerstin Kaiser (IM „Katrin“), heutige Fraktionschefin der SED-Nachfolgepartei, als sozialistische Chefanklägerin auf, um den unabhängigen Kommissionsbericht und die Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur, Ulrike Poppe, persönlich anzugreifen. Wer nun naheliegender Weise darauf gewartet hat, das der ehemals Bürgerbewegte Matthias Platzeck sich schützend vor die Stasi-Beauftragte stellt, sah sich wieder einmal bitter enttäuscht. Stattdessen teilte der Ministerpräsident den Fernsehzuschauern in freundlich unverbindlicher Weise mit: „Es geht hier um Abgeordnete des Landtages und nicht um Fragen, die die Regierung zu beantworten hat und deshalb sollten wir die Abgeordneten das auch besprechen lassen.“ Ein Satz, der einen sprachlos werden lässt.

Hätte es nicht das, über die Grenzen Brandenburgs hinaus bekannte Bild der Deutschen Presse Agentur aus dem Jahr 2009 gegeben, auf dem Matthias Platzeck die „Stasi-Kaiserin“, wie es einige Medienvertreter damals formulierten, im Karnickel-Griff packte, man wäre fast geneigt gewesen, die aktuelle Aussage des roten Regierungschefs im RBB unkommentiert stehenzulassen. Aber nicht nur die im Bild festgehaltene Machtdemonstration eines Mannes war es die für Aufsehen sorgte, sondern vielmehr die offenbar vorhandene und öffentlich zur Schau getragene Vertrautheit zwischen SED-Überzeugungstäterin und dem ehemals Bürgerbewegten. Mit dem Taktieren um den Verbleib von IM „Marisa“ (Gerlinde Stobrawa) im Brandenburger Landtag rundet sich dieses Bild ab.

Ein Mann, der sich von einer Stasi-Fraktion zum Ministerpräsidenten hat wählen lassen, spricht sich nun für die strikte Trennung der Darstellung von Abgeordneten des Landtages und der Regierung aus, so als hätte er nichts zu tun mit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages mit den Stasi-Spitzeln. Hätte sich die Basis der Sozialdemokraten damals nicht massiv für den Verzicht von Stasi-Leuten auf ein Regierungsamt ausgesprochen, säße die ehemalige Spitzenkandidatin der SED-Nachfolger, heute als Vizeministerpräsidentin am Kabinettstisch von Platzeck. Die unerträgliche Vorstellung, dass ehemalige Stasi-Leute dem Ministerpräsidenten in die Feder diktieren, hat sich aber letztendlich trotz aller Proteste bewahrheitet. Im mächtigen Koalitionsausschuss sitzt auch im Jahr 2012 jene IM „Katrin“ (Kerstin Kaiser) und bestimmt über die Zukunft von Brandenburg. So verweigert Platzeck eine Überprüfung aller Richter, Staatsanwälte und weiterer Beamter auf eine Stasi-Tätigkeit, wie es Innenminister Woidke bereits vor längerer Zeit bei der Polizei umgesetzt hat.

Das Wort Schuld im Zusammenhang mit Tätern, wie IM „Marisa“, IM „Katrin“ und all den anderen Denunzianten, geschweige eine Bitte um Verzeihung im Namen der Landesregierung für das menschenverachtende Agieren der linken Kollegen ist dem Ministerpräsidenten bis heute nicht über die Lippen gekommen. Kein Wort zu den Brandenburgern, die noch immer für eine strafrechtliche und berufliche Rehabilitierung ihrer politischen Verfolgung kämpfen müssen.Kein Wort zu den Gräueltaten des SED-Regimes und ihren Auswirkungen, die betroffene Bürger bis heute quälen. Vaclav Havel hätte hier wohl von einer „Umverteilung von Werten“ gesprochen, die ihren Ursprung in dem langwierigen Wirken des kommunistischen Regimes finden. Allein von den rund 300 000 aus politischen Gründen inhaftierten Gefangenen der SED-Diktatur haben circa ein Drittel zum Teil schwere Gesundheitsschäden erlitten, ohne bis heute – über 20 Jahre nach der Wende – von der Platzeck-Regierung moralisch entschädigt zu werden. Stattdessen macht sich die letzte linke Landesregierung in Deutschland lieber über ausreichende Pensionsansprüche von Stasi-Mitarbeitern und üppige Sonderzulagen der ehemaligen Vize-Landtagspräsidentin IM „Marisa“ Gedanken!

Was ist mit den Brandenburgern, die nie eine berufliche Qualifikation erwerben konnten, die ihnen ein Rest an selbstbestimmtem Leben in der Diktatur ermöglicht hätte, weil sie als Kinder von den Stasi-Kadern in Heime gesteckt wurden? Was ist mit Jugendlichen, die von Mitschülern und Lehrern denunziert wurden und ihren eingeschlagen schulischen Werdegang zum Beispiel mit dem Ziel des Erwerbs des Abiturs daraufhin begraben konnten und somit nie eine wirkliche Chance hatten? Was ist mit den Familien, die durch Stasi-Mitarbeiter zerstört wurden? Familien, in denen Kinder von ihren Eltern getrennt aufwachsen mussten, Vater und Mutter finanziell ruiniert wurden und die bis heute aufgrund der Traumatisierung noch keinen Fuß auf den Boden gesetzt haben. Bei den Krankheitsbildern dieser von der Landesregierung „vergessenen Brandenburgern“ handelt es sich nicht nur um posttraumatische Belastungsstörungen, wie man sie von Soldaten nach der Rückkehr aus Kriegsgebieten kennt. Es geht um chronifizierte psychische Erkrankungen, die sich in Angststörungen und Depressionen manifestiert haben, unter denen bis heute zigtausende Brandenburger leiden müssen! Die Diktaturbeauftragte Ulrike Poppe kann darüber hinaus auch von vielen Brandenburgern mit gesundheitlichen Haftfolgeschäden erzählen, die bis heute aus unterschiedlichsten Gründen noch nicht mal einen Antrag auf Entschädigung gestellt haben. Dafür zeichnet aber nicht nur ein für immer gebrochenes Selbstvertrauen der Geschädigten verantwortlich. Die „bürokratischen Hürden“ in Brandenburg hemmen eine Wiedergutmachung zusätzlich und lassen Platzecks Haltung erahnen, dass die Betroffenen aus Sicht der Landesregierung nur als lästige Bittsteller erscheinen.

Spätestens im März 2012 werden Matthias Platzeck und seine linke Landesregierung detaillierte Antworten geben müssen, wenn die Große Anfrage 16 „Umgehende Verbesserung der Bedingungen für SED-Opfer in Brandenburg und eine nachhaltige Vermittlung der DDR-Geschichte“ auf der Tagesordnung im Parlament steht. Die Forderungen der SED-Opfer nach einer zweiten Chance in Brandenburg werden immer lauter und sind selbst hinter dem hohen Zaun der Staatskanzlei nicht mehr zu überhören. Trotz aller finanziellen und materiellen Entschädigung wird den Opfern der SED-Diktatur bis heute von der Platzeck-Regierung genau diese zweite Chance verwehrt. Den Respekt, den der Sozialdemokrat vor den angeblichen Leistungen einer IM „Katrin“ und IM „Marisa“ nach der Wende einfordert, ist er den Zehntausenden Brandenburgern bis heute schuldig geblieben, die noch immer unter den Folgen der Unterdrückung und dem Wirken der SED-Diktatur leiden. Ihr Schicksal hat noch keinen angemessenen gesellschaftlichen Stellenwert in Brandenburg bekommen. Diese Männer und Frauen sind es, die im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte stehen müssen und nicht die Täter des MfS! Es ist nicht nur für die Geschädigten unerträglich, das die Bonzen von damals, dank Platzecks machtpolitischer Entscheidung, auch heute an den Fleischtöpfen sitzen. Im genauen Gegensatz dazu stehen die Opfer, die wenn überhaupt eine minimale Abfindung bekommen haben und aufgrund ihrer gesundheitlichen Schädigungen durch die SED-Diktatur, teilweise auf Hartz-4 angewiesen sind.

Platzecks Philosophieren über eine „zweite Chance“ für die Täter war schon 2009 ein, für einen Ministerpräsidenten unwürdiges Schauspiel. Wenn es aber dennoch eines Beleges bedurft hätte, dass die SED-Nachfolgepartei diese zweite Chance nicht genutzt hat, dann haben die Brandenburger im heutigen Umgang der Linken mit dem unabhängigen wissenschaftlichen Gutachten zur Überprüfung der Abgeordneten im Landtag den letzten Beweis bekommen. „Das Böse kann nicht beschwichtigt werden, da es in der Natur des Bösen liegt, jede Beschwichtigung für die eigenen Zwecke auszunutzen“, sagte Havel, der während seiner langjährigen Gefängnisstrafen erkrankte, die er aufgrund seines öffentlichen Protestes gegen das kommunistische Regime verbüßen musste. Im Dezember 2011 verstarb der Dissident und erste frei gewählte Präsident der Tschechoslowakei viel zu früh in seiner Heimat.

Dr. Saskia Ludwig ist Vorsitzende der brandenburgischen CDU und der Fraktion ihrer Partei im Landtag.

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