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Erklräungsbedarf: Brandenbuergs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) und Polizeipräsident Hans-Jürgen Mörke (r.) bei der Pressekonferenz zur Kriminalstatistik. Die Zahl der Kriminalfälle ist in Brandenburg gesunken – doch es gibt noch viele Probleme.

© B. Settnik

Brandenburg: „Politik ist in der Lage“

Über Jahre war die Kriminalitätsbelastung in Brandenburg hoch, 2015 gab es einen historischen Tiefststand. Die Zahl der Straftaten ist deutlich gesunken. Doch ist das ein Hoffnungsschimmer? Es gibt Probleme bei der Aufklärung und Wohnungseinbrüchen

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Potsdam - Immerhin: Die polizeiliche Kriminalstatistik stimmt jetzt. Sagt Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD). Das hat er durchgesetzt, als er vor einem Jahr die Statistiktricks des früheren Polizeipräsidenten und später deshalb als Innenstaatssekretär gescheiterten Arne Feuring gestoppt hat. „Unsere Statistik wird nicht angreifbar sein“, sagt Schröter am Montagvormittag. Er könne eine ehrliche Kriminalitätsstatistik vorlegen, es sei nichts schöngerechnet worden.

Und die fällt besser aus, als selbst Schröter vermutet hat. Die Zahl der Straftaten hat in Brandenburg nämlich einen historischen Tiefststand erreicht. Im vergangenen Jahr wurden 188 264 Fälle registriert, im Jahr zuvor waren es noch 196 000 Fälle. Das entspricht einem Rückgang von rund vier Prozent. „Die gesunkene Zahl der Delikte darf nicht über die weiterhin angespannte Lage im Land hinwegtäuschen“, sagt Schröter. „Im Vergleich der Flächenländer ist die Kriminalitätsbelastung in Brandenburg immer noch zu hoch.“

Hinzu kommt, dass die Polizei trotz einer sinkenden Fallzahl nicht mehr Straftaten aufgeklärt hat, die Quote lag bei 52,5 Prozent. „ Ein Grund dafür könnte die hohe Belastung der Beamten infolge der Asylkrise sein“, räumt Schröter ein. Die Beamten müssten seit Sommer 2015 eine Vielzahl von Asylunterkünften und Demonstrationen absichern.“ Dennoch sagt Schröter auch: „Brandenburg ist 2015 ein Stückchen sicherer geworden.“

Zum Beispiel Gewaltdelikte: Mit 168 Fällen je 100 000 Einwohner – das ist die Häufigkeitszahl – habe Brandenburg einen der niedrigsten Werte bundesweit. Zum Vergleich: In den Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin liegt dieser Wert zwischen 503 und 481 Fällen. Insgesamt registrierte die Polizei in Brandenburg 4125 Gewaltdelikte wie Mord, Totschlag, Körperverletzung und Vergewaltigung. Das sind 53 weniger als 2014.

Doch hier zeigen sich die Tücken der Kriminalstatistik und die Grenzen ihrer Aussagekraft: Sie erfasst nur Fälle, in denen die Ermittlungen abgeschlossen und an die Staatsanwaltschaft abgegeben wurden. Die Zahl der abgeschlossenen Mordermittlungen stieg jedenfalls um 10 auf 27, wobei es tatsächlich 2015 nur 6 Morde und 7 Mordversuche gab. Die anderen Fälle stammen aus früheren Jahren, der älteste von 1987. Sie tauchen in der Statistik auf, weil sie 2015 von der Polizei aufgeklärt und an die Anklagebehörde abgegeben wurden. Bei Totschlag und Tötung auf Verlangen stieg die Zahl um 8 auf 40. Noch so ein Anstieg, der ungeklärt bleibt.

Ein wachsendes Problem in Brandenburg ist die Rauschgiftkriminalität: Hier stieg die Zahl der festgestellten Delikte um gut 14 Prozent auf rund 8200. Dies liege im Wesentlichen an verstärkten Kontrollen, sagt Polizeipräsident Hans-Jürgen Mörke. Schwerpunkt der Drogenkriminalität sei der Süden Brandenburgs. In der Polizeidirektion Süd machten Fälle mit der besonders gefährlichen Droge Crystal Meth 83 Prozent aller Drogendelikte aus. Mörke warnt vor einem zunehmenden Drogenmissbrauch vor allem bei Kindern und Jugendlichen. Bei den 11- bis 14-Jährigen sei ein alarmierender Anstieg von Besitz und Konsum von Drogen zu verzeichnen. Dies stelle die Eltern, Schulen, aber auch die Polizei vor neue Herausforderungen.

Immerhin bei der Gesamtzahl der Diebstähle kann Schröter noch einen Erfolg verkünden. Bei Auto- und Fahrrad- und anderen Diebstählen gab es ein Minus von 6,3 Prozent auf rund 79 300 Fälle. Ein Problem sind jedoch weiterhin die Wohnungseinbruchsdiebstähle: Ihre Zahl stieg – wie berichtet – um gut 11 Prozent auf 4436 Fälle. Die Aufklärungsquote sank hier von knapp 21 auf rund 17 Prozent.

Schröter spricht von einer „anhaltend ungünstigen Entwicklung“, gerade im Berliner Umland sei die Verunsicherung in der Bevölkerung groß. Das zeigen auch die Zahlen. In den Gemeinden des Speckgürtels rund um Berlin, wo auf 15 Prozent der Landesfläche 43,8 Prozent der Brandenburger leben, nahm die Zahl der Wohnungseinbrüche von 2306 um mehr als 14 Prozent auf 2639 Fälle zu. Die Steigerungsraten sind hier weitaus höher als im Landesdurchschnitt.

Polizeipräsident Hans-Jürgen Mörke sagt, im Umland seien teils teure, exklusive Immobilien zu finden, es gebe „gut verdienende Anwohner“, viele seien Pendler. Die Täter seien meist Banden aus Ost- und Südeuropa, 41,7 Prozent der Tatverdächtigen sind nicht deutscher Herkunft. Sie kundschaften die Gegend aus, schlagen zu und sind schnelll wieder fort. Dass der Speckgürtel von Wohnungseinbrüchen betroffen ist, sei nicht ungewöhnlich, sondern entspreche dem bundesweiten Trend, sagt Mörke. Zuwächse seien in allen Bundesländern zu verzeichnen. Allerdings ist die Aufklärungsquote bei Wohnungseinbrüchen im Speckgürtel sogar noch niedriger als im Landesdurchschnitt, um Berliner Umland sank sie um 3,1 auf 12,8 Prozent.

Hier macht sich die Dauerbelastung der Polizei bemerkbar – aber auch die dünne Personaldecke infolge der Polizeireform. Das bisherige Konzept, Einbrecherbanden durch mehr Polizeipräsenz abzuschrecken und zu verdrängen, greift immer weniger. Nach Festnahmen sei eine Weile Ruhe, dann sei schon die nächste Bande im Anmarsch, sagt Mörke.

Ein wenig liegt es laut Mörke auch an den Hausbesitzern und Wohnungsinhabern selbst: Die mangelnde Vorbeugung der Brandenburger mache ihm Sorgen. „Bundesweit brechen die Täter in vier von zehn Fällen einen Einbruchsversuch erfolglos ab, in Brandenburg liegt dieser Wert nur bei drei von zehn.“ Wenn die Eigentümer Fenster und Türen stärker sichern, gäbe es weniger Einbrüche. „Kriminelle suchen sich immer die Objekte, wo der Widerstand relativ gering ist“, sagt Mörke.

Schröter weiß genau, welche Folgen Wohnungseinbrüche für die Betroffenen haben. „Diese Delikte treffen die Bevölkerung außerordentlich hart und sorgen für eine große Verunsicherung“, sagt der Minister. Er berichtet von einem Brief eines Jungen aus dem Speckgürtel um Berlin. Darin schrieb der Junge, dass er sich nicht mehr traut, allein in seinem Zimmer zu schlafen – weil er Angst hat vor Einbrechern. Schröters Konsequenz: Die Bekämpfung der Wohnungseinbruchskriminalität müsse intensiviert werden. „Diese anhaltend ungünstige Entwicklung bereitet mir große Sorgen. Die Aufklärungsquote kann nicht zufriedenstellen.“

Doch nur wie will er gegensteuern? Polizeipräsident Mörke sagt, die Politik gebe die Personalstärke vor. „Mit dem, was wir leisten können, sind wir in der Lage, Sicherheit zu gewährleisten.“ Die Lage sei angespannt. Dass die Beamten jetzt aber mehr Asylunterkünfte und Demonstrationen absichern müssen, das binde zwar Ressourcen, die anderswo fehlen, aber ohne andere Bereiche zu vernachlässigen. Doch nein, sagt Mörke, „das heißt nicht, dass die Einbruchskriminalität steigt“.

Schröter spricht davon, dass man Prioritäten setzen müsse. Immerhin habe „die Politik“ auf die veränderte Lage reagiert. „Die Politik hat den Personalabbau gestoppt“, sagt Schröter. Er gehe davon aus, dass die künftige Personalstärke in diesem Jahr für die mittel- und langfristige Personalplanung nun verbindlich festgelegt werde.

Der Hintergrund ist klar: 2011 startete die Polizeireform. Statt einer Schrumpfkur auf 7000 Stellen hat sich Rot-Rot auf 8100 Stellen festgelegt. Die Evaluation der Reform ergab aber einen Bedarf von 8300 Stellen. Es knirscht daher an allen Ecken und Enden. Mit seiner Forderung dringt Schröter aber im Kabinett bislang nicht durch, die Staatskanzlei blockt ab. Schröter sagt an diesem Montag deshalb Sätze wie diesen: „Ich gehe davon aus, dass Politik erkannt hat, welchen Wert die Sicherheit in unserem Land darstellt und das es ein großes Sicherheitsbedürfnis gibt. Politik ist in der Lage, darauf zu reagieren.“ Und dann sagt er doch noch, was er eigentlich will: „Es wäre schön, wenn wir in der Summe mehr Polizei hätten. Dann könnten wir auch noch intensiver an den Stellen ermitteln oder präventiv tätig werden, wo wir neue Schwerpunkte erkennen.“

Die Kritiker sehen das ebenso: Die oppositionelle CDU betrachtet die Statistik als „traurigen Beleg jahrelang verfehlter Innenpolitik“ von Rot-Rot. „Mit weniger Polizeistreifen auf Brandenburger Straßen und weniger Kriminalbeamten in den Kriminalkommissariaten ist es unmöglich, Einbrecher abzuschrecken und deren Taten aufzuklären“, sagt CDU-Innenexperte Björn Lakenmacher. „Was hilft, ist Fahndungs- und Ermittlungsdruck“, erklärt der Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Riccardo Nemitz. „Die Strafverfolgung von Staatsanwaltschaften, Gerichten und Kriminalpolizei darf von der rot-roten Landesregierung nicht länger als ungeliebtes fünftes Rad am Wagen angesehen werden.“ Andreas Schuster, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), sonst nicht um deftige Kritik verlegen, macht es knapp: Für die GdP sei diese Kriminalstatistik „selbsterklärend: Die Polizei des Landes Brandenburg benötigt mehr Personal“.

nbsp;Alexander Fröhlich

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