zum Hauptinhalt
Immer im Einsatz. Die zunehmende Zahl von rechtsextremen Angriffen – wie hier in Nauen auf eine Asylunterkunft – aber auch Proteste, Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen und die Registrierung machen der Polizei zu schaffen.

© dpa

Brandenburg: Polizei lahmgelegt

Die Flüchtlingskrise bringt die Polizei an die Belastungsgrenze und befeuert die Personaldebatte

Stand:

Potsdam - Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hat angesichts der Flüchtlingskrise angekündigt, auch die Personalsituation bei der Polizei zu prüfen. Das sei Teil der laufenden Debatte, sagte er am Dienstag nach einem Treffen der Regierung mit Spitzenvertretern der Kommunen. Finanzminister Christian Görke (Linke) bestätigte auf Nachfrage, im Zuge des fälligen Nachtragshaushalts werde auch bei der Polizei nachgesteuert. Woidke sagte, genaue Zahlen und Details stünden noch nicht fest.

Tatsächlich steigt der Druck auf die Landesregierung, angesichts der aktuellen Entwicklungen bei der Polizei weiter nachzubessern. Wie berichtet, verhandeln Staatskanzlei und Innenministerium über die künftige Personalstärke und suchen eine gesichtswahrende Formel für Ministerpräsident Dietmar Woidke und seinen Staatskanzleichef Rudolf Zeeb einerseits und für Innenminister Karl-Heinz Schröter (alle SPD) andererseits. Dabei läuft es nach dem bisherigen Stand auf die Formulierung „mehr als 8000 Beamte“ hinaus. Wie berichtet, hatte Schröter im Juli nach der Evaluation der Polizeireform künftig 8200 Stellen gefordert. Die Staatskanzlei hat aber gebremst. Nach dem rot-roten Koalitionsvertrag sollen es mindestens 7855 sein. Nach offiziellen Angaben sind es aktuell 8050 Beamte. Der Innenexperte der CDU-Landtagsfraktion vermutet, dass die Zahl inzwischen unter die Marke von 8000 Beamten gerutscht sein könnte.

Nun fordern auch die Gewerkschaften mit Nachdruck, dass die Landesregierung das Personal schnell, aber auch deutlich mehr aufstocken muss, als bislang geplant. Denn die Belastung der Beamten hat angesichts stark steigender Flüchtlingszahlen spürbar zugenommen.

Immer mehr Polizei-Streifen bewachten geplante oder schon bewohnte Flüchtlingsunterkünfte und seien bei Veranstaltungen oder Demonstrationen vor solchen Gebäuden dabei, sagte der Gewerkschaftssekretär der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Brandenburg, Michael Peckmann, der Deutschen Presse-Agentur. Auch müsse die Polizei häufiger bei Auseinandersetzungen zwischen Bewohnern der Asylunterkünfte eingreifen. „Es können so andere Aufgaben nicht mehr erfüllt werden – zum Beispiel das Aufklären und Bearbeiten von Wohnungseinbrüchen“, sagte Peckmann. „Und die Zeiten, bis die Polizei bei anderen Fällen eintrifft, etwa bei Unfällen, werden länger“, sagte der Gewerkschafter. Dienstfrei sei die Ausnahme für Brandenburgs Beamte. Die angehäuften Überstunden seien stark gestiegen. Eine genaue Zahl gibt es nach seinen Angaben bisher nicht. Die Belastung sei enorm, sagte Peckmann.

GdP-Landeschef Andreas Schuster hält wegen neuen Aufgaben im Zusammenhang mit der steigenden Zahl von Flüchtlingen Schröters Forderung nach 8200 Stellen inzwischen für überholt. Die Polizei werde vom Flüchtlingsproblem überrollt“, sagte er. Um mit Streifenwagen die 90 Gemeinschaftsunterkünfte für Flüchtlinge im Land zusätzlich zu den laufenden Aufgaben zu bewachen, seien 300 weitere Beamte nötig, sagte Schuster.

Auch der Landeschef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Riccardo Nemitz, fordert deutlich mehr Personal. Die nach dem Evaluationsbericht zu Polizeireform von Schröter geforderten 8200 Stellen seien ein „Kompromiss an der Unterkante, der heute überholt ist“. Die Zahl müsse deutlich nach oben korrigiert werden. Die Kriminalpolizei sei völlig überlastet. Bei besonderen Lagen, wie der Entführung des Jungen Elias in Potsdam oder bei dem Brandanschlag auf eine geplante Asylunterkunft in Nauen (Havelland) im August werde die Kriminalpolizei „nahezu lahm gelegt – zu Lasten anderer Ermittlungen“, sagte Nemitz. „Die Akten stapeln sich dann bis unter die Decke.“ Darunter leide die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, Wirtschaftskriminalität, Korruption, Wohnungseinbrüchen und Grenzkriminalität. Sie seien kaum mehr möglich. Der angesichts zunehmender Fälle rechtsextremer Gewalt besonders gefragte Staatsschutz sein chronisch unterbesetzt. Zudem werde die Kriminalpolizei zunehmend auch für die Registrierung von Flüchtlingen herangezogen und bei der Ermittlungen zu illegalem Aufenthalt. Auch bei der Kriminaltechnik sei die Untersuchungszeit unverändert lang. „Die Kriminalitätsbekämpfung in Brandenburg ist ein Trauerspiel“, so Nemitz.

Der Sprecher des Innenministeriums, Ingo Decker, räumte ein, zunehmend seien unvorhersehbare Aufgaben zu bewältigen, etwa weil zahlreiche Flüchtlinge auf eigene Faust in Deutschland unterwegs sind, an Bahnhöfen oder Taxiständen aufgegriffen werden oder sich selbst bei einer Polizeidienststelle melden. Mit dem Flüchtlingszustrom habe auch die Anzahl rechtsextremistischer Versammlungen zugenommen, die polizeilich begleitet werden müssten, sagte Decker. Auch die Zahl ausländerfeindlicher Straftaten steige. „Eine aus unterschiedlichen Gründen spürbar steigende Belastung der Polizei infolge der aktuellen Flüchtlingsproblematik lässt sich daher nicht in Abrede stellen.“

Spürbare Konsequenzen aus der Lage gezogen wurden bisher nicht. CDU-Innenexperte Lakenmacher sagte, Regierungschef Woidke müsse in dieser Frage jetzt Führung in der Staatskanzlei übernehmen, die Lage sei ernst. GdP-Mann Peckmann forderte: „Der Personalabbau bei der Polizei muss gestoppt werden. Das ist erkannt: Aber wir brauchen jetzt ein klares politisches Signal.“ (mit dpa)

nbsp;Alexander Fröhlich

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })