Auf der Spur des Täters: Polizei vermutet Entführer in der Nähe
Das Verbrechen ist am Mittwoch Thema bei „Aktenzeichen XY – ungelöst“. Der spektakuläre Entführungsfall aus Storkow beschäftigte die Polizei auch am Dienstag. Die Ermittler verfolgen mehrere Spuren. Doch der entscheidende Hinweis fehlt.
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Storkow - Das Entführungsdrama um den 51-jährigen Berliner Geschäftsmann wird zum Fall für „Aktenzeichen XY...ungelöst“. In der ZDF-Sendung am heutigen Mittwochabend um 20.15 Uhr soll über das Verbrechen berichtet werden. Denn bislang fehlt nach Angaben der Polizei die entscheidende Spur, obwohl rund um Storkow im brandenburgischen Landkreis Oder-Spree ein Großaufgebot von 200 Beamten auf der Suche war, darunter Taucher und ein Spezialeinsatzkommando (SEK). Aus der Bevölkerung gingen im Laufe des Tages fast 30 Hinweise ein.
Wie berichtet war der Täter am Freitagabend in das Haus des Investmentunternehmers im Storkower Ortsteil Hubertushöhe eingedrungen, hatte einen Schuss zur Einschüchterung abgefeuert und die Ehefrau gezwungen, ihren Mann zu knebeln. Der Entführer verschleppte den 51-Jährigen auf eine Schilfinsel nahe dem Ort Wendisch Rietz, wo er ihn komplett in Folie und Klebeband einwickelte und nur eine kleine Öffnung für Mund und Nase ließ. Mehrere Briefe an seine Frau musste der Mann schreiben, der Kidnapper wollte ein Lösegeld in Millionenhöhe erpressen und hatte dazu eine regelrechte Schnitzeljagd geplant. Schließlich gelang dem Opfer aber am Sonntagmorgen die Flucht. Zu diesem Zeitpunkt wusste die Polizei schon, dass der Entführer im zehn Kilometer entfernten Bad Saarow auch die Anschläge auf die Berliner Millionärsfamilie P. verübt hatte. Die Projektile stammen in beiden Fällen aus derselben Pistole, eine „Ceska“ Modell 75 oder 85, vielleicht auch ein chinesischer Nachbau. In der Region Oder-Spree und Frankfurt (Oder) sind 150 solcher Pistolen von Sportschützen, Jägern oder gefährdeten Personen wie Politikern registriert.
Am Dienstag durchkämmten SEK-Beamte beide Uferstreifen des Kanals zwischen dem großen Storkower See und dem Scharmützelsee, wo der Täter sein Opfer zwei Tage lang festgehalten hatte. Auch sogenannte Mantrailer-Hunde, die selbst kleinste Spuren über weite Strecken verfolgen können, kamen zum Einsatz. Den Uferbereich am Grundstück des Entführungsopfers suchte die Polizei allerdings mit Tauchern ab. „Wir prüfen, ob wir noch weitere Spuren sichern können. Schließlich muss der Täter die Insel ja verlassen haben“, sagte ein Polizeisprecher.
An der Schleuse in Wendisch Rietz, rund vier Kilometer vom Wohnhaus des Entführungsopfers entfernt, überprüfte die Polizei alle Wasserfahrzeuge. „Wir kontrollieren jedes Boot, sowohl in Richtung Berlin als auch nach Bad Saarow“, sagte ein Polizist. Für den Notfall lag ein Polizeiboot abfahrtbereit hinter der Schleusenkammer. Entsprechend groß war das Interesse von Anwohnern. „Vielleicht ist der Täter wirklich mit einem Hausboot unterwegs gewesen“, sagte der Rentner Alfred Gendrich. „Das muss doch gar kein Mann aus der Gegend sein. Auch vom Boot aus kann ich mir einen guten Überblick verschaffen.“
Von Hubertushöhe braucht ein Hausboot bis nach Königs Wusterhausen am südöstlichen Berliner Stadtrand nur zwischen zwei und drei Stunden. Die Polizei wollte auf Nachfrage solche Überlegungen nicht bestätigen. Aber auch das Grundstück der Unternehmensfamilie Pepper, auf dem vor einem Jahr derselbe Täter einen Wachmann durch einen Schuss lebensgefährlich verletzt hatte, ist in Bad Saarow vom Wasser aus erreichbar.
Im Sommer 2011 hatte der mutmaßlich selbe Täter die 58-jährige Frau von Christian P., mit 300 Millionen Euro laut Managermagazin auf Platz 344 der Liste der reichsten Deutschen, eingeprügelt. Am 2. Oktober schoss ein mit Kampfanzug und Sturmmaske bekleideter Mann viermal auf die 23 Jahre alte Tochter von P., ein Wachmann warf sich dazwischen. Ermittler gehen davon aus, dass damals offenbar eine Entführung geplant, aber schiefgelaufen war.
Das Gebiet, das die Polizei jetzt absucht, ist recht groß, das Versteck auf einer kleinen Insel im Schilf des Kanals ist zwei bis drei Kilometer entfernt. In diesem Bereich befinden sich einzelne Bungalows sowie Reste von Kinderferienlagern und betrieblichen Urlaubsheimen aus DDR-Zeiten sowie ein Campingplatz. Da sich der Mann, den die Polizei als hochgefährlich einschätzt, noch irgendwo aufhalten könnte, ging das Spezialeinsatzkommando mit größter Vorsicht an die Durchsuchung der Gebäude. Eine Hundertschaft durchkämmte den nahen Truppenübungsplatz der Kurmark-Kaserne am Storkower Ortsrand, wo es unzählige Versteckmöglichkeiten gibt. Auch deshalb kreisten den ganzen Tag über Hubschrauber über dem Gebiet.
Parallel prüfen Spezialisten gefundene Spuren, auch DNA-Material. Beamte befragen Anwohner, ob ihnen seit dem Frühjahr und besonders am Wochenende an Land und auf dem Wasser etwas aufgefallen ist. Denn der Entführer hatte seinem Opfer erzählt, dass er das Wohnhaus und die Gegend genau ausgekundschaftet hatte. „Wir wissen, dass der Täter einen langen Planungszeitraum hatte“, sagte ein Polizeisprecher. Beim örtlichen Fischer prüfen die Ermittler, wer sich dort einen Angelschein besorgt hat. Auch beim Wassersportverein werden Hinweise gesucht.
Inzwischen hat die Polizei die Täterbeschreibung präzisiert: Demnach sei er ein muskulöser, breitschultriger Mann mit kompakter Statur, 1,70 bis 1,75 Meter groß sowie zwischen 25 und 50 Jahre alt. Er soll ohne auffälligen Dialekt Deutsch sprechen und die Region Oder-Spree und die Gewässer detailliert kennen. Ermittlern zufolge muss der Täter äußerst fit gewesen sein und kein Raucher. Ohne Mühe hatte er eine Luftmatratze aufgeblasen. Laut Polizei wechselte der Täter während der Entführung seine Kleidung, zunächst war es eine Art Anglerhose, zuletzt trug er eine schwarze Synthetik-Sporthose und eine hellolivgrüne Softshell-Jacke mit weißen Streifen auf beiden Ärmeln. Sein Gesicht verdeckte der Mann mit einem schwarzen, grobmaschigen Netz. An den Händen trug er hellgraue Lederhandschuhe mit auffälligen Nähten.
Der Polizeieinsatz war Tagesthema bei vielen Urlaubern in der Gegend: „Schon am Morgen ist die Polizei in unserer Ferienhaussiedlung mit Hunden unterwegs gewesen“, sagte eine Frau aus Köln. „Das macht ja jedem Tatort Konkurrenz.“ Von der Vermutung, der Entführer könnte ein alter Kämpfer aus Spezialeinheiten der NVA oder Stasi sei, halten Passanten nicht viel. „Der müsste dann ja schon ziemlich alt sein“, sagte Gerda Buchner. Bei den Ermittlern, die auch Profiler einsetzen, hieß es, man ermittle in alle Richtungen.
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