Brandenburg: Potsdam auf dem Weg zur Spitze
Die Landeshauptstadt gehört zu Deutschlands Boomregionen, zeigt eine aktuelle Studie. Ein Stadtspaziergang
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In der Helene-Lange-Straße surren schwarze Limousinen über das anthrazitgraue Pflaster. Sie biegen in die Auffahrt zur „Klinik Sanssouci“ ein, eine der ersten Adressen für Schönheitschirurgie in der Gegend. Die Häuser wurden schon behandelt, leuchten nach erfolgreicher OP in Gelb und Ocker. Ihre Fassaden brüsten sich mit üppigem Stuck und Säulenloggien. Davor stöckeln mobil telefonierende Frauen in kurzen Röcken über den Gehweg. In der Bildmitte stehen Männer in schwarzen Anzügen auf einem Balkon. Die illustre Komposition hält nur für einen Moment, aber sie entsteht immer wieder neu in dieser Stadt.
Potsdam ist ein Kunstwerk, verwöhnt von seinen reichen Bürgern, die gelockt wurden vom Mythos des preußischen Arkadiens. Potsdam ist schöner als Berlin, sauberer, weniger aggressiv und weniger anonym. Seit Jahren gibt es hier die geringste Arbeitslosigkeit in Brandenburg, um die zehn Prozent. Potsdam wächst, wirtschaftlich und demografisch. Wissenschaftler fühlen sich in der weiträumigen Kulturlandschaft wohl. 14 Prozent der Potsdamer sind Studenten. 30 Prozent der Potsdamer haben einen Hochschulabschluss. Softwaremogul Hasso Plattner hat sein privates Uni-Institut in Potsdam angesiedelt, nicht in Berlin. Ohne Scheu verwendet er Begriffe wie „Elite“ in der Präsentation seiner Bildungsstätte. Die Vorbilder sind Unis der Weltspitze wie Oxford oder Stanford. Und solche Ansiedlungen sind es unter anderem, die Potsdam im Prognos-Ranking aller 439 deutschen Kreise und Städte vom Platz 148 im Jahr 2004 auf nunmehr Platz 15 haben klettern lassen.
Im letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts war davon noch nicht viel zu spüren. Den Besucher befiel ein Unbehagen, ein Frösteln, wenn er mit der alten Tatra-Straßenbahn durch die erstarrte Kulisse des preußisch-sozialistischen Erbes polterte, in den breiten Schlund der Friedrich-Ebert-Straße eintauchte, um schließlich zu Fuß durch das bröckelnde Jammertal der Brandenburger Straße zu marschieren.
Irgendwann innerhalb der letzten zehn Jahre muss dann die Wende zum Besseren gekommen sein. Die Brandenburger Straße ist wieder die zentrale Achse, um die sich alles dreht, durchströmt von Menschen, flankiert von Läden, dem Brandenburger Tor im Westen und der Peter-und-Paul-Kirche im Osten. Längst versickert ist die Flut von Klagen über den Bau der Bahnhofspassagen, die den darbenden Innenstadt-Händlern den Todesstoß versetzen würden. Verflogen das jahrelange Lamento über die Bauruine des alten Kaufhauses. Karstadt ist eingezogen und floriert, wie alles zu blühen scheint, was seine Fenster und Türen zur Straße öffnet. Nur ein paar Meter entfernt schieben sich an schönen Tagen Touristenscharen durchs Holländische Viertel. Das neue Hans Otto Theater mit dem auffälligen roten Dach dürfte in keinem ihrer Stadtführer fehlen.
Auf dem Luisenplatz vor dem Brandenburger Tor hängt an einem Baugerüst eine Nashornskulptur, beschwert mit Bahnschwellen aus Beton. Es gibt keinen Hinweis auf die Deutung dieses Objekts. Die künstlerische Verfremdung der barocken Räume, das würde man sich noch häufiger wünschen. Wenn der Flaneur vor dem Nauener Tor steht, mit seinen glotzäugigen Löwenmedaillons, den Zinnentürmchen, und die Tram gleitet hindurch, ist die Grenze zum Disney-Kitsch klar überschritten. Auch hier könnte eine zeitgenössische Rauminstallation die nötige Distanz schaffen, um der Stadt das Schicksal von Rothenburg ob der Tauber und Neuschwanstein zu ersparen.
Das Glück Potsdams sind seine großzügigen Mäzene. Der Moderator Jauch, der Versandhauskönig Otto, der Designer Joop. An jedem prominenteren Fleck der Stadt ist ein Förderverein aktiv. Jede privat restaurierte Villa lässt einen weiteren Mosaikstein im Potsdam-Kunstwerk glänzen. Dass diese Entwicklung hin zu einer Stadt der Gebildeten und Gutsituierten, die ihren persönlichen Erfolg mit der Veredelung der Stadtkulisse verbinden, einigen weniger Erfolgreichen übel aufstößt, beweisen die jüngsten Disharmonien um den Wiederaufbau des Stadtschlosses, den Uferweg am Griebnitzsee und die Schelte Jauchs an der Baubürokratie.
Potsdam wird zwiegespalten bleiben, zwischen schnöden Wohnsilos aus DDR-Tagen und Villengrundstücken mit Wasserblick. Und sie bauen auch wieder eine Mauer in Potsdam. Nicht dort, wo sie stand, an den Verkehrsadern nach Berlin, sondern zwischen den Sandbergen der Schlossbaustelle und dem einsamen Hochhausriegel des Hotel Mercure. Die Mauer soll das Hotel von der neu entstehenden Potsdamer Schlossmitte optisch abgrenzen. Die ungleichen Nachbarn werden sich nämlich architektonisch nicht vertragen. Früher hätte man solch ein missliebiges Baurelikt einfach abgerissen – aber diese Zeiten dürften vorbei sein.
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