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Brandenburg: Präventiv pullern gehen

Bei Demonstrationen sind Polizisten mit 22 Kilo Ausrüstung stundenlang im Einsatz. Eine große Belastung

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Berlin - Bloß nicht hinfallen. Das sieht nicht nur peinlich aus, sondern wäre auch bei einer Demonstration wie am 1. Mai ganz schön unpraktisch – denn mit 22 Kilo Ausrüstung plus Eigengewicht kommt man als Polizeibeamter schwer wieder hoch. Das zumindest weiß Polizeiobermeister und Gewerkschaftsmitglied Moritz Kraft zu berichten. Auch Treppensteigen sei in dieser Montur nicht gerade ein leichtes Vorhaben, sagt Kraft, der am 1. Mai im Dienst sein wird.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hatte vor den beiden kommenden Großkampftagen – Walpurgisnacht und 1. Mai – eingeladen, um den Einsatzanzug der Bereitschaftspolizei samt Körperschutzausstattung, kurz: KSA, einmal vorzuführen und damit deutlich zu machen, „welchen Belastungen die Polizisten ausgesetzt sind“. Die neue GdP-Chefin Kerstin Philipp feixte, die Ausrüstung sehe harmlos aus, „aber nicht, wenn sie 16 bis 20 Stunden getragen wird“. So, wie es am 1. Mai bei den Bereitschaftspolizisten Standard ist. Die 22 Kilo sind schnell beisammen: zum Einsatzanzug kommen noch Körperschutzausstattung, Waffe, Handschellen, Schlagstock, Funkgerät.

Doch trotz der flammenabweisenden Unterwäsche, den klobigen Sicherheitsschuhen, den Arm- und Beinprotektoren, dem Genitalschutz (Männer), der Schutzweste mit Metallplatten und den verstärkten Handschuhen sowie dem Helm gebe es „keine absolute Sicherheit“. Das zeigten die 17 verletzten Polizisten bei der NPD-Demonstration am Samstag. Und deshalb kritisiert die GdP auch den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, der sich nach der Demo hinstellte und sagte, alles sei friedlich verlaufen. Wowereit solle zur Kenntnis nehmen, dass die Polizei die Demokratie verteidige. „Wer die Polizei angreift, greift den Staat an“, sagte GdP-Vorstand Stephan Kelm. Dann kam die Nachricht am Montag, dass die NPD ihren Aufzug am 1. Mai abgesagt hat, recht (siehe Meldung links). Den Beamten bleibt so ein weiterer Großeinsatz vor der Kreuzberger Demo erspart.

Einsatzanzug hin oder her, die Forderung der GdP bleibt bestehen: Die Polizei brauche mehr Nachwuchs, damit die Arbeitsbelastung für den einzelnen Beamten sinke. Doch so lange die Einsätze so viele Stunden dauern, heißt es: trinken, trinken, trinken. Und zwar Wasser. Denn mit 22 Kilo Mehrgewicht kommt man schon nach fünf Minuten ohne große Anstrengung arg ins Schwitzen, wie die eingeladenen Journalisten am eigenen Leib nach der Anprobe erfahren durften. Drei bis vier Liter seien es mindestens, die jeder Beamte zu sich nehmen müsse, um nicht zu kollabieren. Das klingt nach vielen Toilettengängen. „Das schwitzt man alles aus. Und wenn, dann muss man präventiv pullern gehen“, schildert Kelm.

Der 48-Jährige spricht ebenfalls aus Erfahrung: Vor 20 Jahren war er Einsatzhundertschaftleiter und hat viele Demonstrationen in voller Montur begleitet. Doch leichter geworden sei die Ausstattung im Laufe der Jahre nicht, sondern „kompakter“. Die Frauen beschwerten sich, dass der Körperschutzanzug oben herum zu eng sei – ein Unisex-Modell eben.

Das Gewicht lasse sich nicht wesentlich verringern. Alles, was dran ist, werde auch gebraucht. Alle Bundesländer hätten in etwa den selben Standard.

Schön wäre es natürlich schon, wenn die Körperschutzanzüge aus „moderneren Stoffen“ gefertigt würden, sagt Kelm. Kevlar, beispielsweise, sei so ein hitzebeständiger Textilstoff, der leichter ist als der jetzige. „Das ist gerade nicht der letzte Stand der Technik“, sagt Kelm. Auch bei den klobigen Sicherheitsschuhen ließe sich noch einiges verbessern. Aber Berlin habe eben kein Geld, sagt Kelm. Derzeit koste ein kompletter Anzug 2000 Euro. Kelms größter Wunsch sei ohnehin, dass es irgendwann gar nicht mehr nötig sein müsse, dass die Beamten voll ausgerüstet losziehen. Das spart dann auch Geld.

Tanja Buntrock. Jörn Hasselmann

Tanja Buntrock. Jörn Hasselmann

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