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Kritik an Parteispitze aus Berlin und Brandenburg: Prominente Linke drohen mit Parteiaustritt
Nach Mauerbau-Debatte und Castro-Brief sind Genossen in Berlin und Brandenburg alarmiert
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Potsdam/Berlin - Bei der Linke in Berlin und Brandenburg wächst die Sorge über den Zustand der Bundespartei, die derzeit wegen umstrittener Äußerungen von Spitzenpolitikern zum angeblichen alternativlosen Mauerbau und zum 85. Geburtstag von Kubas Revolutionsführer Fidel Castro vor einer Zerreißprobe steht und mit Austritt zu kämpfen hat. Die beiden Landesverbände, die wegen ihrer Regierungsbeteiligung und ihrem pragmatischen Kurs parteiintern ohnehin angefeindet werden, sind alarmiert – wegen der Abgeordnetehauswahl besonders die Berliner Genossen.
„Wir springen derzeit über jeden Stock und nutzen Nebenthemen, um uns so richtig zu zerfetzen, um uns wie die Kesselflicker zu streiten“, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Linken im Bundestag, die brandenburgische Abgeordnete Dagmar Enkelmann, am Montag in Potsdam. „Die Themen, die eigentlich wichtig sind, gehen dabei einfach nur den Bach herunter“ – die Finanzkrise und deren soziale Folgen. Linke-Landeschef Thomas Nord erklärte: „Wer bei dieser Partei mitmachen will, muss sich selber, soll sich selber als demokratischer Linker verstehen. Punkt.“
Die Berliner Linke, die sich in den Umfragen zu Abgeordnetenhauswahl in den vergangenen Wochen im Aufwärtstrend bewegte, fürchtet nun den Verlust von Wählerstimmen. Zwar wäre nach jüngsten Tagesspiegel-Umfrage von election.de sogar mit einer denkbar knappen Mehrheit von einer Stimme eine Fortsetzung von Rot-Rot möglich. Doch die Bundesspitze verhagelt den Berliner Genossen den Wahlkampf. Nach den undifferenzierten Geburtstagsgrüßen der Bundesvorsitzenden Gesine Lötzsch und Klaus Ernst an Fidel Castro bemühen sich die Berliner Genossen, Optimismus auszustrahlen. „Jetzt erst recht. Wir kämpfen um jede Stimme“, sagt Landeschef Klaus Lederer. Prominente Parteimitglieder aber drohen offen mit Austritt.
Der Jazzmusiker Andrej Hermlin, seit zwanzig Jahren Mitglied der Linken, sagte: „Es würde mir nicht leicht fallen, aus der Partei auszutreten, weil ich das als Kapitulation empfinden würde. Und Kapitulationen mag ich nicht. Wenn sich aber rückwärtsgewandte Tendenzen in der Partei verbreiten und den demokratischen Konsens ablösen würden, dann hätte meine Mitgliedschaft keinen Sinn mehr. Ich hoffe, dass sich die Vernünftigen durchsetzen.“ Der Sohn des DDR-Schriftstellers Stephan Hermlin stellt in der Linken eine „vergiftete Atmosphäre“ fest. „Die Parteispitze sollte daran arbeiten, diese Atmosphäre zu verbessern. Wir müssen wieder miteinander reden, nicht übereinander.“
Das forderte die Berliner Linke mit ihren 8500 Mitgliedern schon Anfang 2010 im Machtkampf um die künftige Parteiführung auf Bundesebene. Lederer mahnte, zu einer „politischen Kultur des Miteinander“ zurückzukehren. Die linken Spitzenpolitiker in Berlin haben in den zehn Jahren der rot-roten Koalition eine große Gelassenheit bei Anfeindungen aus anderen Landesverbänden entwickelt. Auch die geballte Kritik des damaligen Parteichefs Oskar Lafontaine an rot-roter Realpolitik ließen die Genossen an sich abprallen. Doch über die aktuelle Parteichefin Gesine Lötzsch, Kreischefin der Lichtenberger Linken, hört man scharfe Töne bei Berliner Funktionären. Lötzsch trete in ihrem 1500 Mitglieder starken Kreisverband auf wie „ein bayerischer Ministerpräsident als Schirmherr auf einer Tagung der Vertriebenen“, sagte ein Spitzenpolitiker, der seinen Namen nicht genannt haben will. Diese „bestimmte Form von Traditionalismus“ hochzuhalten sei nicht zeitgemäß.
Benjamin Hoff, Gesundheitsstaatssekretär und Bundessprecher des Forums Demokratischer Sozialismus, sagte: „Wie kann ich eine positive linke Politik vermitteln, wenn im Kern die Zukunft die Vergangenheit ist, die durch eine andere Tür wieder reinkommt. Ich habe die Schnauze voll, mich ständig rechtfertigen zu müssen. Wir haben in Berlin seit zwanzig Jahren einen antistalinistischen Grundkonsens.“ Er bezieht sich auf Äußerungen von Lötzsch, die den Mauerbau als Folge des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion und des Zweiten Weltkriegs dargestellt hatte. Spitzenkandidat Harald Wolf wollte sich nicht äußern.
Die brandenburgische Bundestagabgeordnete Enkelmann sagte, ihre Partei habe zum Mauerbau die ganz klare Position, dass er nicht zu rechtfertigen sei. Die aktuelle Diskussion in und um die Linke sei auch ein Problem von Führung. „Die Linke bricht jetzt nicht auseinander, aber die Linke muss sich im Klaren sein darüber, für welche Position sie steht.“ Brandenburgs Linkechef Nord sagte, der Ausgang der bevorstehenden Landtags- und Abgeordnetenhauswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin werde über den weiteren Weg der Linken mitbestimmen. In der Linken sei die Regierungsbeteiligung immer einer der umstrittensten Optionen.Sabine Beikler (mit dpa)
Sabine Beikler (mit dpa)
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