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Brandenburg: Qualmende Köpfe

Ein Prozess in Rathenow soll Streit unter Nachbarn klären, wo geraucht werden darf – auf dem Balkon?

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Rathenow - Raucher können sich nicht mehr sicher sein, nicht mal in der eigenen Wohnung. Erst die fristlose Kündigung des 75-Jährigen Mieters Friedhelm Adolfs aus Düsseldorf, vor einer Woche bestätigt durch ein Amtsgericht. Nun ein Prozess vor dem Amtsgericht im brandenburgischen Rathenow (Havelland), das am gestrigen Mittwoch die Klage eines Paares aus Premnitz gegen ein Nachbar-Pärchen in einem Vier-Familienhaus verhandelte. Die Kläger, das Rentner-Ehepaar Anton und Ursula Reinl, fühlen sich durch den Zigarettenqualm der auf dem Balkon unter ihnen rauchenden Nachbarn massiv belästigt. Sie fordern von Manfred und Ursula Stelb, dass diese nur noch zu bestimmten Zeiten eine Zigarette auf dem Balkon anzünden dürfen und regelmäßig den Aschenbecher leeren. Ein von Richter Peter Lanowski angeregte gütliche Einigung scheiterte aber.

Manfred und Ursula Stelb, die nicht in der Wohnung, sondern nur auf dem Balkon rauchen, haben nach eigener Aussage bereits versucht, ihren Obermietern entgegenzukommen. Im Sommer würden sie die Markise aufspannen, damit der Qualm nicht hochzieht. Gemeinsam würden sie pro Tag insgesamt nicht mehr als zwölf Zigaretten auf dem Balkon „durchziehen“ – und das auch noch abwechselnd, nur jeder allein, damit es nicht allzu sehr qualmt. Zu mehr Zugeständnissen sind sich nicht bereit, „weil sie sich ansonsten in ihrer normalen Lebensführung sehr eingeschränkt fühlen“, sagte eine Gerichtssprecherin. Zudem führen sie sich von ihren Nachbarn ständig überwacht, auch weil es bei jeder Zigarette von oben stets Kommentare hagelt. Tatsächlich hielt es auch Richter Peter Lanowski für bedenklich und einen Eingriff in die Privatsphäre, wenn die Kläger von oben den Balkon mit dem vollen Aschenbecher fotografieren.

Also doch alles nur ein Kleinkrieg unter Nachbarn? Anton und Ursula Reinl wenden ein, dass sie ihren Balkon wegen der Qualmerei ihrer Unternachbarn nur eingeschränkt nutzen könnten. Auch sei es nur bedingt möglich, die Wohnung zu lüften. Sobald Manfred und Ursula Stelb sich eine Zigarette anzünden, müssten sie eiligst die Fenster schließen.

Ein Urteil will Richter Lanowski am 6. September ab 11 Uhr verkünden. Am Mittwoch ließ er nicht durchblicken, in welche Richtung er tendiert. Lanowski deutete lediglich an, worauf es bei der Entscheidung ankommt. Das klagende Ehepaar habe ein Recht auf ungestörten Besitz ihres Wohnraums. Das sei unstreitig durch den Zigarettenrauch der Nachbarn beeinträchtigt. Andererseits sei das Rauchen allgemein gesellschaftliche akzeptiert und das beklagte Ehepaar in seinem Privatbereich grundgesetzlich geschützt, hier gelten das Persönlichkeitsrecht und die allgemeine Handlungsfreiheit.

Raucher gerieten in Deutschland in den vergangenen Jahren verstärkt in die Defensive. Wurde früher allerorten geraucht, ist die Qualmerei nun im öffentlichem Raum immer stärker eingeschränkt, in Kneipen, auf Bahnhöfen und in Gebäuben. Nun wird ihnen selbst das Rauchen in den eigenen vier Wänden streitig gemacht. Höchstrichterlich hatte der Bundesgerichtshof (BGH) 2006 entschieden, dass Rauchen in der Mietwohnung zum vertragsgemäßen Gebrauch gehört. 2008 schränkte der BGH dann ein, dass Mieter nicht exzessiv rauchen dürfen, wenn die dadurch verursachten Schäden in Wohnungen nicht mehr durch Schönheitsreparaturen beseitigt werden können. Die neuesten Auseinandersetzungen vor den Amtsgerichten in Rathenow und Düsseldorf könnten nun der Anfang einer neuen Prozesswelle sein. Friedhelm Adolfs jedenfalls geht gegen ein Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf vor, dass die fristlose Kündigung des 75-Jährigen durch die Vermieterin für rechtens erklärt hatte, weil sein Zigarettenqualm im Treppenhaus für eine „unzumutbare und gesundheitsgefährdende Geruchsbelästigung“ sorgte. Adolfs legte beim Landgericht Berufung ein.

Genau dieses Landgericht aber hatte sich bereits im Streit um Adolfs’ Prozesskostenhilfe relativ deutlich positioniert. Es verwies auf die BGH-Rechtssprechung, wonach Rauchen grundsätzlich in der Mietwohnung erlaubt sei. Und das Landgericht sah sogar Erfolgschancen für die Klage des Rauchers gegen den Mietkündigung. Es geht um Treu und Glauben, der Mann steckte sich seit 40 Jahren in der Wohnung eine nach der anderen Zigarette an. Alexander Fröhlich

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