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Brandenburg: Razzia im Kinderheim
Nach Missbrauchsvorwürfen in geschlossener Unterbringung beschlagnahmen 50 Fahnder sensible Akten
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Potsdam – Nach den Misshandlungsvorwürfen gegen drei Kinder- und Jugendheime in der Haasenburg GmbH schreitet jetzt die Justiz ein. Um 9.55 Uhr rückten mehr als 50 Ermittler der Staatsanwaltschaft Cottbus und der Polizei in den drei Heimen in Jessern, Neuendorf (Dahme- Spreewald) und in Müncheberg (Märkisch-Oderland) sowie in einem Büro in Lübben an. Bei der Durchsuchung der Objekte stellten die Beamten zahlreiche Unterlagen sicher. Ermittelt werde gegen noch nicht näher identifizierte Mitarbeiter der Haasenburg, die Razzia bedeute nicht, dass die Haasenburg GmbH selbst verdächtigt werde, teilte die Staatsanwaltschaft mit.
Mitte Juni waren schwere Vorwürfe von früheren Insassen und Mitarbeitern gegen die Haasenburg bekannt geworden. In den Heimen sollen Jugendliche in geschlossener Unterbringung bei Anti-Aggressionsmaßnahmen über Tage auf Fixierliegen festgebunden, isoliert und mit fast militärischem Drill drangsaliert worden sein. Der Betreiber wies die Vorwürfe mehrfach zurück.
Inzwischen laufen mehrere Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft Cottbus wegen des Verdachts auf Körperverletzung, Misshandlung Schutzbefohlener, Nötigung. Hintergrund der Durchsuchungen sind die Strafanzeigen zweier früherer, heute 19 Jahre alter Insassen der Heime gegen Haasenburg-Mitarbeiter. In den Vernehmungen berichteten sie von teils tagelangen Fixierungen, Körperverletzungen, Beleidigungen und Nötigungen. Aufgrund der Aussagen über den Umgang mit einem anderen Mädchen leitet die Behörde zudem von Amts wegen ein weiteres Verfahren wegen des Verdachts der Misshandlung von Schutzbefohlenen ein. Die Staatsanwaltschaft prüft weitere Anzeigen, in denen die Geschäftsführung der Haasenburg der Beihilfe zum Mord und Folter beschuldigt werde. Im Müncheberger Heim nahm ein Polizeibeamter während der Durchsuchung die Anzeige eines Jungen vor Ort auf.
Mit den Vorwürfen befasste sich am Donnerstag auch der Bildungsausschuss des Landtages in einer Sondersitzung. Abgeordnete aller Fraktionen übten harsche Kritik an dem Landesjugendamt und dem Bildungsministerium, aber auch am Betreiber. Für brandenburgweit 400 Jugendhilfeeinrichtungen seien drei Kontrolleure im Landesjugendamt zu wenig. FDP-Fraktionschef Andreas Büttner forderte, die Haasenburg-Heime bis zu Klärung der Vorwürfe zu schließen. Linke- Bildungsexpertin Gerrit Große sagte, die Berichte über Vorfälle in der Haasenburg seien Anlass genug, um gegen die Heime vorzugehen, die Betriebserlaubnis zu prüfen, aufzuheben oder einen Belegungsstopp zu verhängen. Zudem bestehe der Verdacht, dass die Behördenaufsicht nicht scharf genug ist, sagte Große. Wenn der Staat sich für Zwangsmaßnahmen gegen Jugendliche in Obhut privater Träger entscheidet, dann müsse der Staat stärker kontrollieren und klare Regeln schaffen, sagte Thomas Günther (SPD).
Zweifel an der Haasenburg seien seit Jahren bekannt, sagte Slyvia Müller (SPD). Bei den Behörden im Landkreis Dahme-Spreewald, wo sich zwei Haasenburg-Heime befinden, habe zur Jahrtausendwende bei Erteilung der Betriebserlaubnis durch das Land Unbehagen geherrscht. Lehmann war damals als Dezernentin für das Jugendamt zuständig. Dieses habe wegen fehlender Tranzsparenz entschieden, keine Jugendlichen in der Haasenburg unterzubringen. „Ich finde es für uns alle beschämend, dass wir erst heute hier sitzen“, sagte die die Grünen-Abgeordnete Marie Luise von Halem deshalb.
„Wir sollten prüfen, ob solche Heime im äußersten Fall notwendig sind“, sagte Bildungsministerin Martina Münch (SPD). Sie warnte aber vor Schnellschüssen „aus emotionaler Betroffenheit“. Mehrfach hatten die Behörden nach Vorfällen Auflagen erteilt und 2010 Fixierliegen und Einheitskleidung verboten. Aktuell gebe es keine Anhaltspunkte für Verstöße, sagte Münch. Bereits in der vergangenen Woche hatte sie eine unabhängige Expertenkommission berufen, die die Vorgänge in den Heimen untersuchen und mögliche Mängel bei den Kontrollen durch die Behörden prüfen soll.
Die Haasenburg-Heime haben 114 Betreungsplätze, davon 56 für die – auf Gerichtsbeschluss bei Fremd- und Selbstgefährdung auf Antrag von Familien angeordnete – geschlossene Unterbringung von besonders schwierigen Jugendlichen. Derzeit sind 75 Plätze belegt. In den wenigsten Bundesländern gibt es derartige Heime noch. 14 Bundesländer, auch Berlin, schicken ihre Problemfälle in die unter Experten umstrittene geschlossene Unterbringung der Haasenburg, sie gilt als letzte Station vor Jugendarrest und Psychiatrie. Hamburg hatte seine geschlossene Unterbringung nach Protesten vor Jahren geschlossen, die Kinder sind jetzt in Brandenburg untergebracht.
Linke-Bildungsexpertin Große forderte, Brandenburg dürfe die geschlossene Unterbringung nicht mehr zulassen. „Warum halten wir daran fest, während die anderen Bundesländer ihre Kinder nach Brandenburg schicken?“, fragte Große. „Wir müssen überlegen, das vom Netz zu nehmen.“ Allerdings haben die Bundesländer bei privaten Betreibern wegen der Vorgabe durch Bundesgesetzes darauf kaum Einfluss. Die Behörden könnten nur prüfen, ob die Vorschriften eingehalten werden, sagte ein Ministeriumssprecher.
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