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Politisch motivierte Gewalt in Brandenburg: Rechte Gewalt erreicht Rekordwert
Mehr politische Gewalt, mehr politische Straftaten: Brandenburgs Innenminister Schröter warnt vor der Radikalisierung an den politischen Rändern.
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Potsdam - Die politisch motivierte Gewalt hat 2016 in Brandenburg einen erschreckenden Rekord erreicht. Das geht aus der am Mittwoch von Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) in Potsdam vorgestellten Kriminalstatistik hervor. Die Polizei registrierte 260 politische Gewaltstraftaten, das ist die höchste Zahl seit Einführung des Erfassungssystems im Jahr 2001. Insgesamt stieg die Zahl politisch motivierter Straftaten um zehn Prozent auf 2163 Fälle. Knapp die Hälfte davon waren Propagandadelikte, 41 Prozent andere Delikte wie Beleidigung oder Sachbeschädigung.
Mit 260 Fällen registrierte die Polizei die höchste Zahl von politisch motivierten Gewaltstraftaten seit 2001. Das ist ein Anstieg um knapp 40 Prozent. Im Jahr 2011 lag die Zahl von politischen Gewalttaten auf einem Tiefstand von 61. Der Grund für den Anstieg: Fremdenfeindlichkeit und „Konfrontation mit dem politischen Gegner“. Schröter nannte die Entwicklung „ausgesprochen besorgniserregend“ und beklagte ein wachsendes Konfliktpotenzial und zunehmende Fliehkräfte in der Politik. Die Gesellschaft radikalisiere sich an den Rändern. Zudem wachse die Bereitschaft, politische Auseinandersetzungen gewaltsam auszutragen, sagte Schröter. Das zeigt sich auch an den 28 Attacken auf Parteibüros: 17 richteten sich gegen Büros der AfD, sechs gegen die Linke, drei gegen die SPD und zwei gegen die CDU. Einziger Lichtblick für Schröter: Mehr politische Straftaten wurden aufgeklärt. In mehr als 60 Prozent der Fälle wurden Tatverdächtige ermittelt, bei den Gewalttaten waren es mehr als 80 Prozent. Ein Überblick.
RECHTE STRAFTATEN
Der Schwerpunkt der politischen Kriminalität liegt laut Schröter „unverändert und mit Abstand im Bereich der politisch rechts motivierten Kriminalität“. Wobei der Anstieg rechter Gewalttaten um knapp 30 Prozent von 129 auf 167 dramatisch ist. Im Vergleich zum Jahr 2014, also vor Beginn der wachsenden Flüchtlingszahlen, hat sich damit die Zahl rechter, aber auch die Zahl aller politischen Gewalttaten mehr als verdoppelt.
Von den 167 rechten Attacken richteten sich 149 gegen Personen, 138 davon waren fremdenfeindlich motiviert. Von den 217 Opfern aus 31 Nationen waren die meisten Syrer, gefolgt von Deutschen, die für Ausländer gehalten wurden oder wegen ihrer politischen Einstellung angegriffen wurden. Die Zahl aller gegen Flüchtlinge gerichteten Taten stieg auf 264 Attacken, mehr als dreimal so viele wie im Jahr 2015, als 83 Fälle gezählt wurden. 98 Mal wurden Asylbewerber und Flüchtlinge gewaltsam angegriffen. Die Zahl der Gewalttaten gegen Asylunterkünfte ging von 15 auf zehn zurück. Insgesamt stieg aber die Zahl der gegen Flüchtlingsheime gerichteten Taten wie etwa Propagandadelikte von 67 auf 72.
Insgesamt registrierte die Polizei 1664 Fälle bei rechten Straftaten. Das ist ein Plus von fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr, im Vergleich zum Jahr 2014 ein Anstieg um 23 Prozent. Der größte Teil sind Propagandadelikte wie Hakenkreuz-Schmierereien oder Hitlergrüße.
Aufschlussreich ist auch die Täterstruktur bei rechter Gewalt: Nur ein Viertel war der Polizei zuvor durch rechte Delikte aufgefallen. Zwei Drittel waren bereits wegen sogenannter Allgemeinkriminalität registriert, ein Drittel aller Tatverdächtigen wurde erstmals von der Polizei erfasst. In den meisten Fällen waren es spontane Taten, die Täter zufällig ausgewählt, die wenigsten Attacken waren geplant.
LINKE STRAFTATEN
Auch von links hat die politische Kriminalität zugenommen – um knapp zehn Prozent von 223 auf 244 Fälle. Größtenteils handelte es sich um Sachbeschädigung, Beleidigung und Straftaten bei Aktionen gegen rechte oder „asylkritische“ Demonstrationen. Die Zahl der linksmotivierten Straftaten stieg um zehn Prozent von 48 auf 53. Die meisten davon wurden bei Demonstrationen begangen. Drei Viertel aller Taten wurden im ersten Halbjahr registriert – vor allem im Zusammenhang mit den Pogida-Aufmärschen in Potsdam und mit den Aktionen von Öko-Aktivisten gegen die Braunkohleverstromung am Pfingstwochenende in der Lausitz.
AUSLÄNDER UND ISLAMISMUS
Bei der politischen Ausländerkriminalität nahm die Zahl der Straftaten von 12 auf 38 zu. Davon waren sieben terroristische Straftaten und zwölf zumeist in den Asylheimen verübte Gewaltdelikte. Bei der anhaltend hohen Terrorgefahr stehen bei den Brandenburger Sicherheitsbehörden islamistische Tschetschenen im Fokus. Eine „niedrige zweistellige Personenzahl“ wird als islamistische Gefährder eingestuft, eine „hohe einstellige Personenzahl“ als „relevante Personen“. Die Tschetschenen gelten als religiös und ideologisch gefestigt. Zudem wird ihnen eine geringe Hemmschwelle attestiert, um schwere Gewalt selbst bei banalen Anlässen zu verüben.
Die Zahl der Terror-Verdachtsfälle stieg 2016 an. Der Grund: Bei der Erstaufnahme gaben Asylbewerber an, Kontakte zum IS oder Al-Qaida gehabt zu haben. Insgesamt habe es in Brandenburg im vergangenen Jahr 483 Verdachtsfälle in Bezug auf Terrorismus gegeben. In 319 Fällen hätten sich diese Hinweise nicht konkretisiert. In 50 Fällen seien Ermittlungsverfahren eingeleitet worden.
In einem Lagebild warnt das Innenministerium, bei dschihadistischen Gewalttaten müsse „mit Anwendung aller verfügbaren Instrumentarien gerechnet werden“, vom „konventionellen Terrorismus über Cyberterrorismus bis hin zu Angriffen mit nuklearen, biologischen oder radioaktiven Stoffen“. Der Schwerpunkt liege aber beim Einsatz von Schusswaffen oder anderen Waffen wie Messern. Gefahr gehe vor allem von Einzeltätern und von autonom agierenden Gruppen, aber auch von international agierenden dschihadistischen Organisationen aus. „Hierbei sind Einzelaktionen mit einfachsten Mitteln des alltäglichen Lebens bis hin zu komplexen Gewaltausbrüchen mit einem hohen Grad der Planung, Vorbereitung und Durchführung denkbar“, heißt es in dem Papier.
REAKTIONEN
Brandenburgs SPD-Generalsekretärin Klara Geywitz machte mit Blick auf die AfD Rechtspopulisten für die Zunahme der politischen Straftaten verantwortlich. „Wer fordert, auf Flüchtlinge an der Grenze zu schießen oder wer alle Muslime mit Terroristen gleichsetzt, der schmeißt Brandfackeln in die Mitte unserer Gesellschaft“, sagte sie. Der Bund der Deutschen Kriminalbeamten (BDK) und die CDU-Landtagsfraktion forderten trotz der verbesserten Aufklärungsquote eine weitere personelle Aufstockung beim Staatsschutz. Das Innenministerium hatte die Zahl der Staatsschützer 2016 um 40 Beamte auf 180 erhöht. Vor der Polizeireform im Jahr 2011 waren es allerdings noch 235 Beamte. Polizeipräsident Hans-Jürgen Mörke sagte nun, man werde beim Personal „an die Lage angepasst“ reagieren.
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