
© Kai-Uwe Heinrich
Brandenburg: Rechts ’n Baum, links ’n Baum
Brandenburgs Alleen droht der schleichende Tod. Immer mehr alte Bäume müssen fallen, mit Nachpflanzungen kommt man kaum nach
Stand:
Für Theodor Fontane waren sie „eine Wohltat“. Er geriet ins Schwärmen, wenn er „durch schattige Alleen wanderte, unter prächtigen alten Linden oder jungen Ebereschen in roter Pracht“. Heute, gut 140 Jahre später, lösen die meist schnurgeraden grünen Klassiker noch genauso viel Begeisterung aus. Vor allem in Brandenburg, dem alleenreichsten Bundesland. Doch die vielgelobte Pracht ist bedroht. Rund 70 Prozent der derzeitigen Alleebäume sind 80 Jahre alt. Sie müssen in den nächsten zwanzig Jahren gefällt werden, bevor sie absterben und umstürzen. Der Landtag hat 2007 eine „Konzeption zur Entwicklung der Alleen“ verabschiedet, um die „natur- und kulturhistorischen Schätze“ langfristig durch Neupflanzungen zu erhalten. Aber Kritiker meinen: Den großen Worten sind nur „halbherzige Taten“ gefolgt.
Ende März zog das zuständige Ministerium für Infrastruktur eine erste Bilanz. Zuvor waren die bisherigen Maßnahmen umfangreich evaluiert worden. Was dabei herauskam, liest sich aus Sicht der Grünen im Landtag wie „eine Kapitulationserklärung vor der Aufgabe, Brandenburgs Alleen zu retten“. Tatsächlich wurden die Ziele der Alleen-Konzeption verfehlt. Danach sollten jährlich rund 5000 Bäume gepflanzt und Alleen mit einer Gesamtlänge von 30 Kilometern neu angelegt werden. Von 2010 bis 2012 brachte man aber statt 15 000 nur 9765 junge Bäume in die Erde. Und durchschnittlich kamen pro Jahr nur 19 Kilometer neu geschaffene Alleen hinzu. Zugleich kreischten die Motorsägen mehr denn je, sodass die Verluste überwogen: 11 025 überalterte Bäume wurden im gleichen Zeitraum gefällt, meist die für Brandenburg typischen Ahorne, Linden oder Eichen.
Grüne und Naturschutzverbände fordern hingegen das 1:1-Prinzip. Jeder Baumsenior, der fällt, müsse zeitnah ersetzt werden. „Das ist gar nicht zu schaffen“, kontert der Sprecher des Infrastrukturministeriums, Jens-Uwe Schade. „Weder finanziell noch organisatorisch.“ Dass man die gesetzten Ziele „nicht ganz“ erreicht habe, sei zwar richtig. Das liege aber nicht an Desinteresse, sondern an wachsenden Schwierigkeiten bei den Neuanpflanzungen. Schade: „Wir stehen doch vor einer riesigen Aufgabe. Zu DDR-Zeiten wurden die Alleen ja buchstäblich nicht fortgepflanzt. Nun packen wir’s an, müssen aber ständig neue, unvorhergesehene Probleme lösen.“
Die höchste Hürde ist die Verkehrssicherheit. Alleen können bei aller Schönheit auch eine tödliche Gefahr sein. Von rund 170 Verkehrstoten, die im Durchschnitt jährlich auf Brandenburgs Straßen ums Leben kommen, stirbt laut Polizeistatistik nahezu jeder Zweite an Straßenbäumen. Meist wegen zu hohen Tempos.
Deshalb gelten bundesweit strenge gesetzliche Vorschriften für Baumpflanzungen am Straßenrand. Wird heute eine Allee gänzlich neu angelegt oder eine in die Jahre gekommene Baumreihe gefällt und ersetzt, so müssen die jungen Ahorne oder Linden mindestens 4,50 Meter vom Straßenrand entfernt sein. Derart enge Alleen und schattige grüne Tunnel, wie sie heute noch das Bild der Mark prägen, soll es in ferner Zukunft nicht mehr geben. Ausnahmen werden nur bei sogenannten Lückenbepflanzungen gemacht. „Wenn ein Baumveteran in einer alten Allee weg muss, die aber in Gänze noch erhaltenswert ist, dann wird sein junger Nachfolger in der gleichen Flucht gesetzt“, heißt es im Ministerium. Aber der schleichende Tod der Alleen greift in Brandenburg sichtbar um sich. Immer häufiger müssen ganze Baumreihen aus Sicherheitsgründen weichen. Pflanzt der zuständige Landesbetrieb für Straßenwesen nach, muss er die Abstandsregeln beachten und hat damit ein Problem. Die weiter entfernten Pflanzstreifen gehören meist Landwirten. Diese seien häufig verkaufsunwillig, heißt es in der Behörde. „Die Preisvorstellungen klaffen stark auseinander.“ Es muss langfristig verhandelt werden.
Rund 13 Millionen Euro zahlt Brandenburg durchschnittlich pro Jahr fürs Fällen und Pflanzen in seinen Alleen. Für dieses Geld gibt es im Landeshaushalt keinen Extraposten. Die Summe, die aus Sicht der Grünen viel zu gering ist, wird aus Straßenbaumitteln beglichen. Der grüne Landtagsabgeordneten Michael Jungclaus hält das für widersinnig. „Unsere Allen sind doch vielfältig wertvoll“, sagt er: als Biotop und für den Umweltschutz, als Markenzeichen des Tourismus und kulturhistorisches Denkmal. Das rechtfertige ein eigenes, großzügigeres Budget. Jungclaus: „Die umfangreichsten Fällaktionen kommen ja erst auf uns zu. Dafür müssen wir vorsorgen.“ Zu viel Pessimismus? Ministeriumssprecher Schade schaut gelassen in die grüne Zukunft. Die Landesregierung halte sich an die Strategie der Alleen-Konzeption. Diese nimmt hin, dass Brandenburgs Alleen in den kommenden zwanzig Jahren erst einmal sukzessive kürzer und lückenhafter werden. Denn die geplanten jährlichen Neuanpflanzungen von insgesamt 5000 jungen Bäumen können die rasch zunehmende Überalterung keinesfalls ausgleichen. Doch spätestens wenn die letzten Baumveteranen gefallen sind, soll es wieder aufwärts gehen. Der Wendepunkt ist auf einem Zeitstrahl in der Expertise schon genau markiert: im Jahr 2035.
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