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Gemeinden mit hohem Gewerbesteueraufkommen sollen mehr zahlen - doch besoders betuchte Brandenburger Gemeinden hatten dagegen geklagt.

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Streit um kommunalen Soli-Beitrag: Reiche Gemeinden fürchten Armut

Brandenburgs Landesverfassungsgericht verhandelte das Finanzausgleichsgesetz. Kommunen mit hohen Gewerbesteuereinnahmen wehren sich gegen die Reichensteuer.

Stand:

Potsdam - Knapp 59 Millionen Euro will das Land Brandenburg für 2011 und 2012 von Gemeinden mit hohen Gewerbesteueraufkommen einnehmen, um sie auf Landkreise und ärmere Kommunen umzuverteilen. Über den entsprechenden Paragraphen des Finanzausgleichsgesetzes, der im Dezember 2010 unter der rot-roten Landesregierung verabschiedet worden war, wurde am Freitag sechs Stunden vor dem Verfassungsgericht verhandelt. Geklagt hatten Liebenwalde (Oberhavel), Breydin (Barnim) und Schenkenberg (Uckermark), weil sie einen Eingriff in die Finanzhoheit als Ausdruck der kommunalen Selbstverwaltung sehen. Insgesamt verteilt das Land 1,8 Milliarden Euro an Bundes- und Landesgeldern an die Kommunen.

Welche Regelung wird angegriffen?

Kommunen, die an Steuern über 115 Prozent dessen einnehmen, was sie rechnerisch benötigen, müssen seit 2011 ganze 25 Prozent des Überschusses abführen. Dabei geht man bei Grund- und Gewerbesteuern nicht von den tatsächlichen Einnahmen aus, sondern von sogenannten gewogenen Durchschnittshebesätzen. Das wirkt sich besonders aus bei Kommunen, die für sich niedrigere Gewerbesteuerhebesätze beschließen als der Landesdurchschnitt. Sie werden zum Teil reicher gerechnet, als sie nach ihren Einnahmen sind – und müssen bezahlen, obwohl sie das Geld nicht eingenommen haben.

Wen betrifft es?

2011 sollen acht, 2012 elf Kommunen zahlen, darunter Linthe (Potsdam-Mittelmark). Krösus ist derzeit Liebenwalde, das für 2013 etwa 17 Millionen Euro Gewerbesteuereinnahmen erwartet – bei etwa 4 300 Einwohnern. Die Stadt soll 8,9 Millionen Euro für das Jahr 2011 und 7,2 Millionen Euro für 2012 überweisen. Treffen kann es jede Kommune, die plötzlich hohe Gewerbesteuereinnahmen hat. Breydin ist 2012 nicht mehr betroffen – ein Windradproduzent zahlt nicht mehr so viel, weil die Vorauszahlung durch das Finanzamt gesenkt wurde.

Darf die Umlage sich an einer Vorauszahlung der Unternehmen orientieren?

Auch dies wurde diskutiert, die Kläger kritisieren dies als unkalkulierbar. Denn: Bis zur endgültigen Festsetzung der Gewerbesteuer vergehen mitunter fünf Jahre oder mehr. Dann müssen die Kommunen möglicherweise an die Unternehmen Geld zurückzahlen, für das sie bereits eine Umlage an das Land gezahlt haben – und kommen wegen der verordneten Solidarität selbst in finanzielle Schwierigkeiten.

Gibt es im Gesetz eine Härtefallklausel?

Auch darüber wurde gestritten. Eine solche Klausel, von Verfassungsgerichten in anderen Ländern als notwendig erachtet, steht im Abschnitt über den Ausgleichsfonds – also über jenen Fonds, aus dem nahezu zahlungsunfähige Kommunen Geld bekommen. Ob das reicht, ist unklar.

Werden die reichen zu armen Kommunen?

Ginge es so weiter, sagte Liebenwaldes Kämmerin Martina Schnur, bräuchte die Stadt in vier Jahren Schlüsselzuweisungen und würde damit stärker am Tropf des Landes hängen.

War die Gesetzgebung rechtens?

Die Bürgermeister Liebenwaldes und Schönefelds fuhren auf eigene Faust zur entscheidenden Finanzausschuss-Sitzung. Eine formelle Anhörung gab es nicht. Der Städte- und Gemeindetag gab eine positives Stellungnahme ab – gegen das Votum Oberhavels, aber im Interesse der meisten der 420 Brandenburger Gemeinden, die profitieren.

Gibt es weitere Rechtsstreits?

Vor den Verwaltungsgerichten wehren sich Liebenwalde und Schenkenberg dagegen, das Geld sofort überweisen zu müssen. Diese sofortige Vollziehung ist ebenfalls im Gesetz angeordnet.ihö

Ingmar Höfgen

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