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So macht das Rockerleben keinen Spaß  wegen des Szene-Kriegs immer im Visier der Polizei, so wie bei der Stadtfahrt der Berliner Hells Angels 2008.

© Kai-Uwe Heinrich

Von Alexander Fröhlich: Rocker wollen Kriegsbeil begraben

Angeblich Friedensgespräche zwischen den verfeindeten Motorradclubs „Bandidos“ und „Hells Angels“

Stand:

Neuruppin/Berlin – Der in der Hauptstadtregion tobende Rockerkrieg soll bald ein Ende haben. Es gebe „ernsthafte Bestrebungen“ der verfeindeten Motorradclubs (MC) „Hells Angels“ und „Bandidos“, nicht mehr mit Gewalttaten gegeneinander vorzugehen, erklärte gestern der Berliner Rechtsanwalt Herbert Hedrich am Rande eines Prozesses vor dem Landgericht Neuruppin, bei dem eine Schießerei zwischen Rockern verhandelt wird. „Ich habe die Hoffnung, dass 2009 derartige Auseinandersetzungen nicht mehr vorkommen“, sagte der Anwalt, der bei Strafprozessen häufig Beschuldigte aus dem Rockermilieu vertritt. Die Verhandlungen zwischen den rivalisierenden Banden und MCs, die sich in der Vergangenheit teils blutige Auseinandersetzungen um Einflussgebiete unter anderem für den Drogenhandel lieferten, seien sehr weit gediehen, so Hedrich.

Aus Ermittlerkreisen in Brandenburg wurde dies zumindest zum Teil bestätigt. Es habe Friedensgespräche gegeben, über deren Fortschritt wurden allerdings keine Angaben gemacht. Auch der Berliner Polizei sind die Verhandlungen nach Angaben eines Ermittlers bekannt. „Vorschnell“ bewerten wollte dieser den Vorgang jedoch nicht, die für Bandenkriminalität zuständige Abteilung beim Landeskriminalamt (LKA) ziehe es vor, die Ergebnisse abzuwarten. Bekannt ist aber, dass die Rockerbanden derzeit zur besseren Kontrolle des Drogenhandels mit eigenen Wachschutzfirmen in die Türsteherszene drängen. Auch Waffenhandel und das Rotlichtmilieu zählen zu den Einnahmequellen. Offen blieb daher zunächst, ob es sich bei den „Friedens-Verhandlungen“ zwischen den Rockergruppen um Marktabsprachen und die Aufteilung der Pfründe handelt.

Vor dem Landgericht Neuruppin müssen sich derzeit zwei Männer wegen eines Schusses auf einen Berliner Polizeibeamten – der in zivil als Beifahrer neben einem Rocker im Pkw saß – im Sommer 2008 in Hennigsdorf (Oberhavel) verantworten. Der Vorwurf lautet auf versuchten Totschlag. Beide sind Mitglieder der „Red Devils“, die den „Hells Angels“ nahe stehen und wie diese mit den „Bandidos“ verfeindet sind. Der Hauptbeschuldigte Bernd K. aus Berlin-Renickendorf hat eingeräumt auf offener Strafe geschossen zu haben – allerdings aus Notwehr, weil er selbst mehrfach von „Bandidos“-Mitgliedern mit Pistolen, Macheten und Messern angegriffen worden sei.

Nach bisherigem Stand waren die beiden Angeklagten aus dem Wagen eines früheren „Bandidos“-Mitglieds, der auf dem Beifahrersitz saß, mit Pfefferspray angegriffen worden, als sie mit ihrem Auto an einer Ampel neben dem Wagen hielten. K. als Beifahrer hat wegen akuter

Angstzustände aber befürchtet, „dass auf ihn geschossen wird“ und in Panik instinktiv zur Waffe gegriffen und auf den „Gegenstand“ gezielt. Der von ihm getroffene Fahrer, ein Berliner Polizeibeamter, war an der Schulter verletzt worden. Anfang August 2008 war dieser zu einer Geldstrafe verurteilt worden, nachdem er Dienstgeheimnisse an einen befreundeten Bandidos-Chef aus Brandenburg verraten hat. Gegen ihn läuft ein Suspendierungsverfahren.

Ob die Strafkammer die Notwehr anerkennt ist fraglich. Verteidiger Hedrich sprach von einem so genannten Notwehr- exzess aufgrund des irrtümlich angenommen Angriffs mit einer Pistole. Staatsanwaltschaft und Gericht äußerten Zweifel daran, denn K. sei lediglich mit Pfefferspray attackiert worden.

Anwalt Hedrich forderte gestern für seinen Mandanten vorsorglich schon mal einen Freispruch vom Vorwurf des versuchten Totschlags und der gefährlichen Körperverletzung. Lediglich für den unerlaubten Besitz und Gebrauch eines Revolvers erkannte er eine Schuld an. Das Gericht will auf Antrags Hedrichs nun von einem Gutachter den Angeklagten Bernd K. psychiatrisch utersuchen lassen – ob dieser wegen anhaltender Angriffe in einer akuten Belastungssituation war und im Affekt gehandelt habe.

Wegen Notwehr war bereits ein „Bandidos“-Mitglied im November vom Landgericht Cottbus vom Vorwurf des versuchten Totschlags freigesprochen worden. Der Richter sprach damals von einer Entscheidung „auf Messers Schneide“ und einem umstritten Tatbestand der Notwehr. Der Rocker hatte ziellos auf eine Gruppe der „Hells Angels“ geschossen, weil er und seine Familie massiv bedroht worden waren. Allerdings erging ein Hafturteil wegen gefährlicher Körperverletzung und Drogenhandels.

In Neuruippin lehnte das Gericht gestern den Antrag von Verteidiger Hedrich auf Haftverschonung für den Hauptbeschuldigten K. ab. „Ich an ihrer Stelle wäre nicht so scharf darauf, aus der Untersuchungshaft zu kommen“, sagte der Vorsitzende Richter der Schwurgerichtskammer, Gerd Wegner, an den angeklagten gerichtet. Der Vorfall habe Bernd K. „zur Zielscheibe seiner Gegner gemacht“. Außerdem würde der Angeklagte – wie bereits in der Vergangenheit geschehen – seine Familie damit in Gefahr bringen.

Für den mitbeschuldigten Fahrer des Wagens zeichnet sich ein Freispruch ab. Mit einem Urteil rechnet das Gericht Mitte Februar.

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