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Born in the GDR. Szene aus dem Dokumentarfilm „ostPunk! too much future“.

© dpa

Brandenburg: Rolling Stasi

Auf dem Bürgertag anlässlich des Sturms auf die Zentrale in Berlin-Lichtenberg wird auch die ostdeutsche Musikszene beleuchtet

Berlin - Die Punkszene im Osten bewies in den 1980er-Jahren durchaus Kreativität. Aus dem in den englischen Arbeitervierteln geborenen Spruch „No future“ machte sie in Ostberlin, Leipzig, Dresden und anderswo den Slogan „Too much future“ – ein Film mit genau diesem Titel kam 2007 in die Kinos.

Die jugendlichen Anhänger lehnten sich damals mit zerrissenen Hosen und Jacketts, bunten Haaren, ersten großen Tattoos und vor allem einer eigenständigen Musik gegen ein in allen Details geplantes Leben mit Schule, Beruf, Freizeit, Arbeitsplatz, Armee, Familie und vielen Zwängen. „Sie stellten die Staatsmacht damit vor schier unlösbare Probleme“, sagt Bernd Florath von der Stasi-Unterlagenbehörde in Berlin. „Die Partei- und Staatsführung wusste einfach nicht, wie sie mit dieser wachsenden Gruppe umgehen sollte.“ Einzelne Verhaftungen wegen „asozialen Verhaltens“ oder „Beleidigung der Staatsmacht“ für den Ruf „Bullenschweine“ seien nur Ausdruck einer großen Unsicherheit gewesen.

Der Wissenschaftler Bernd Florath sitzt als Kenner der Szene am 17. Januar ab 17.30 Uhr in der früheren Stasi-Zentrale in der Ruschestraße in Lichtenberg mit auf dem Podium einer Diskussion unter dem Titel „Rock und Revolution. Jugend, Musik und Staatsmacht im Widerspruch“. Es dürfte dabei durchaus spannend zugehen, erwartet Florath. Das ältere Publikum dürfte sich bestimmt an viele prägende Rock- und Punkereignisse erinnern wollen, während jüngere Generationen oft kopfschüttelnd auf die einst populäre Musik in Ost und West und die Reaktionen der Partei-, Jugend- und Staatsorgane reagieren. Deren Neugierde könne bestimmt gestillt werden.

Das garantieren nicht zuletzt auch die anderen Gäste auf dem Podium. Kai-Uwe Kohlschmidt erzählt von Auftritten und anderen Erlebnissen seiner Cottbusser Punkband Sandow, während Klaus Meine von den Scorpions über ganz andere Eindrücke aus der damaligen Zeit berichten kann. Der Welthit „Wind of change“, als Hymne der Wendezeit unvergessen, entstand ja unter dem Eindruck von Glasnost und Perestroika in der Sowjetunion. Ein Auftritt in der DDR kam damals nicht infrage, hatte die Ostberliner Staatsführung 1987 doch Auftritte von westdeutschen Musikern stark beschnitten. Dafür kam Bruce Springsteen 1988 auf die Radrennbahn in Weißensee. Unvergessen blieben die Konzerte in Ostberlin von James Brown, Joe Cocker oder Bob Dylan. „Es war der Versuch der Parteiideologen, den Tiger selbst zu reiten“, sagt Bernd Florath zur damaligen Situation. „Statt die Musik etwa zu verbieten, wollte man die Gruppen für sich vereinnahmen“. Das Konzert von Bruce Springsteen vor über 160 000 Menschen 1988 in Weißensee hatte die FDJ beispielsweise als Solidaritätsakt für Nikaragua propagiert und als Protagonistin ausgerechnet die Eiskunstläuferin Katharina Witt engagiert. Doch weder der „Boss“ noch das Publikum ließen sich darauf ein.

Für die damaligen Konzertgäste war das Ereignis ebenso unvergessen wie etwa die Geschichte um ein angebliches Konzert der Rolling Stones auf dem Springerhochhaus 1969 direkt an der damals noch unbebauten Leipziger Straße. Die Stasi ging damals brutal gegen die nach einem Rias-Bericht in Massen an die Mauer strömenden Ostberliner vor. Obwohl sich die Geschichte vom Konzert schon damals schnell als völlig wild erfunden herausstellte, behaupten nicht wenige Ostberliner bis heute genau das Gegenteil. Sie lassen keinen Zweifel an ihrer Behauptung zu, dass das Stones-Konzert tatsächlich stattgefunden habe.

Die Parteistrategen aber erkannten die große Sogwirkung der Rockmusik und antworteten so: „Einerseits wurden Rockgruppen gefördert und andere wie die von Klaus Renft verboten“, erklärt Bernd Florath. „Andererseits mussten in den Konzerten stets 60 Prozent Ost- und 40 Prozent Westmusik gespielt werden.“ Das habe bei den Ostbands eine große schöpferische Energie freigelegt, denn sie hätten natürlich im „Ost-Anteil“ vor allem eigene Titel spielen wollen. Die Puhdys, Karat, Silly, City, Feeling B (später Rammstein) oder Keimzeit und die späteren Punkgruppen wären wohl niemals so kreativ und populär geworden.

Dennoch haben Rocker und Punker auch ihren Anteil am Sturz des Regimes 1989 geleistet. „Es waren eben viele Bausteine, die die zum Ende führten“, schätzt der Experte von der Stasi-Unterlagenbehörde ein. Claus-Dieter Steyer

Am heutigen Sonnabend findet von 11 bis 19 Uhr anlässlich der Besetzung der Stasi-Zentrale in der Ruschestraße 3 in Lichtenberg ein Bürgertag mit zahlreichen Diskussionen, Foren und Führungen statt. Die Podiumsdiskussion zu Rock und Pop beginnt um 17.30 Uhr. Alle Informationen zur Veranstaltung unter der Internetadresse: www.bstu.bund.de

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