zum Hauptinhalt

Von Alexander Fröhlich: Rudel statt Truppen

Von der zivilen Nutzung des Bombodroms profitieren auch die Tiere. Das zeigen Bilder des Landesumweltamtes. In Brandenburg leben inzwischen sieben Wölfe. Fast alle auf einstigen Übungsplätzen

Stand:

Potsdam - Neues aus der wilden märkischen Heide: Erstmals kann das Landesumweltamt (LUA) Brandenburg „halbwegs verlässliche Zahlen“ zu Wölfen vorlegen. „Sieben oder acht Tiere leben hier fest im Land“, sagte Behördenpräsident Matthias Freude am Freitag den PNN. Zugleich gab er den PNN die beeindruckenden Bilder frei, mit denen dieser Text illustriert ist. Sie stammen von einer Fotofalle in der Kyritz-Ruppiner Heide auf dem sogenannten Bombodrom.

Dabei versteht Freude die Aufregung um Isegrim gar nicht. „Der Wolf war in Brandenburg nie richtig weg. Man hat zwar im Jahr 1804 den letzten Wolf geschossen, aber er ist immer wieder da.“ Allein zu DDR-Zeiten sollen 50 Tieren geschossen worden sein, die meisten davon auf dem Gebiet des heutigen Landes Brandenburg.

Inzwischen hat das Tier von der Lausitz aus neuen Lebensraum im Norden des Landes gefunden. In der Zschornauer Heide (Spree-Neiße) lebt ein Wolfspaar, das im Gegensatz zu den drei Rudeln auf sächsischer Seite der Lausitz seit drei Jahren keinen Nachwuchs bekommt.

Auf dem früheren Truppenübungsplatz Jüterbog (Teltow-Fläming) hat eine Fotofalle ein weiteres Exemplar nachgewiesen. „Nach den Fährten zu urteilen sind es aber sicher zwei“, sagte Freude.

Eine weitere Fotofalle hat bereits mehrmals einen Wolf auf der Kyritz-Ruppiner Heide bei Wittstock abgelichtet. „Vor zwei Wochen hat ein Bundesförster das Tier aus 20 Metern Entfernung sogar beobachtet“, erzählt der Umweltamtschef. Bereits vor knapp einem Jahr war bekannt geworden, dass auf dem Bombodrom-Gelände ein Wolf seine Runden dreht. Unklar war, ob er nur auf Durchreise ist. Fest steht nun, dort hat sich ein Rüde dauerhaft niedergelassen. Alle drei bis fünf Wochen tappt er an einer Tränke in die Fotofalle. Wer weiß, vielleicht kommt bald ein Weibchen aus der Sachsen hinzu.

Freude schwärmte jedenfalls von „wunderbaren und ganz besonderen Aufnahmen“ und ärgert sich immer noch über den Wilderer, der, wie gestern berichtet, in der Vorwoche die Fotofalle gestohlen hat. Die Bilder zeigen, wie lebendig die Tierwelt auf dem Gelände ist, auf dem die Bundeswehr seit 1993 nicht üben durfte, bis sie vor zwei Wochen darauf ganz verzichtet hat.

Nebenan, auf dem früheren Truppenübungsplatz Jännersdorfer Heide zwischen Meyenburg (Prignitz) und Parchim (Mecklenburg) ist noch ein ganz besonders starker Rüde unterwegs – gewissermaßen der Problemwolf unter den märkischen Isegrims. Während seinem Nachbar aus der Gegend um Wittstock das reichhaltige Angebot an Wildtieren genügt, hat der Jännersdorfer bereits mehrfach Schafe gerissen. Und zwar kurz hinter der Landesgrenze in Mecklenburg-Vorpommern. Laut Freude ist es „der einzige Wolf in Brandenburg, der es bislang gewagt hat, Elektrozäune von 1,10 Metern Höhe zu überspringen.“ Völlig unüblich sei das. Aber dieser Wolf, der auf dem einst westlichsten Luft-Boden-Übungsplatz der Warschauer-Vertrags-Staaten lebt, ist ein ganz schlauer. „Er hat Maulwurfshügel als Sprungbrett benutzt.“ Das Landesumweltamt hat reagiert, nun ist der Elektrozaun 1,40 Meter hoch. Seither wurde kein Schaf mehr gerissen.

In diesem Jahr waren es insgesamt sieben gerissene Schafe, allesamt im Frühjahr. 1800 Euro gab es als Entschädigung dafür. „Wir zahlen etwas mehr als den Fleischpreis“, so Freude. Im Jahr 2007 zählte er nur vier gerissene Schafe, im vergangenen Jahr waren es 60 Schafe und zwei Ziegen. Die Kosten für das Land: rund 10 000 Euro. Aber nicht alles, wofür gezahlt wurde, war ein Wolfsopfer, so Freude: „In den meisten Fällen waren es verwilderte Hunde.“

Auch die Schäfer reagieren auf die wachsende Population. Rund ein Dutzend Herdenschutzhunde auf Italien haben sie sich über ein Förderprogramm beschafft. „Die sind richtig scharf, da kommt kein Wolf mehr hin“, sagt Freude.

Neuerdings entwickelt sich auch der Fläming zum „Wolfserwartungsland“, wie es Freude nennt. Dort vermuten die Forscher ein Wolfspaar mit Jungen, der tappsige Nachwuchs wurde auch schon in Sachsen-Anhalt abgelichtet. Erst kürzlich wurde auf märkischer Seite ein Damhirsch gerissen. Allerdings ist laut Freude im Juni am Nordrand des Fläming auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Altengrabow in Sachsen-Anhalt ein Wolf illegal geschossen worden. Ob es sich um den Rüden aus dem Fläming handelt, ist aber nicht bekannt.

Zunehmend werde die illegale Jagd zum Problem – der Wolf gilt einigen in Sachen Wildfleisch als Konkurrent. Nach der Wende sind 65 Tiere illegal geschossen und drei überfahren worden. „Die Dunkelziffer dürfte höher liegen“, erklärte Freude. Wie es aus Jägerkreisen hieß, gilt beim Wolf inzwischen das Motto „SSS“ – Schießen, Schaufeln, Schweigen.

Freude sagt dazu nur: „Der Wolf kommt immer wieder. Irgendwann sollte man ihn als Normalität anerkennen. Er gehört hier einfach dazu.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })