zum Hauptinhalt

Brandenburg: „Scham- und Schuldgefühle“

Andrea Hardeling von der Landesstelle für Suchtfragen über den Teufelskreis aus Gewinnen und Verlieren

Stand:

Frau Hardeling, heute ist der bundesweite Aktionstag gegen Glücksspielsucht. Wie viele Betroffene gibt es in Brandenburg?

In Brandenburg gelten etwa 10 000 Menschen als spielsüchtig, 9000 spielen nach unserer Schätzung problematisch. Zur Entwicklung der Zahlen gibt es keine aktuellen Erhebungen, angesichts der zunehmenden Glücksspielangebote ist jedoch von einer Steigerung auszugehen.

Gibt es Unterschiede beim Geschlecht, dem Alter oder der Herkunft?

Ja. Nach einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung finden sich unter Glücksspielern mit niedrigem Bildungsabschluss, mit einem Migrationshintergrund und unter arbeitslosen Glücksspielern deutlich erhöhte Problemspieleranteile. Die Auswertung der Klientenzahlen in Brandenburg aus dem vergangenen Jahr ergab, dass der größte Anteil der Glücksspieler in den Beratungsstellen mit 61,1 Prozent zwischen 20 und 39 Jahren alt war, der Anteil der unter 19-Jährigen lag immerhin bei 10,4 Prozent. 87,4 Prozent der Beratung Suchenden waren Männer und 12,6 Prozent Frauen.

Worin besteht die Gefahr?

Glücksspiele werden in der Öffentlichkeit oft verharmlost und als Freizeitvergnügen abgetan. Ihr Suchtpotenzial und die Tatsache, dass Glücksspiele nicht durch eigene Fähigkeiten beeinflusst werden können, wird jedoch ausgeblendet. Die Gefahr besteht auch in der leichten Verfügbarkeit. Zunehmend gibt es auch im Internet Spiele, die auf den ersten Blick nicht als Glücksspiele zu erkennen sind, die jedoch Glücksspielcharakter haben und bei denen Geld eingesetzt und gewonnen werden kann.

Wie verläuft eine Glücksspielerkarriere klassischerweise?

Sie beginnt meistens mit einem Geldgewinn und nimmt einen schleichenden Verlauf. Die Betroffenen können ihr exzessives Glücksspielverhalten über einen sehr langen Zeitraum vor anderen geheim halten. Dies führt dazu, dass sie sich, wenn überhaupt, zu einem sehr späten Zeitpunkt des Krankheitsverlaufs, wenn Haus und Hof verspielt sind, offenbaren und bereit sind, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Eine Glücksspielsucht ist eine schwerwiegende psychische Erkrankung, von der Angehörige meist im selben oder noch höherem Maße betroffen sind als die Betroffenen selbst. Die finanzielle und psychische Belastung ist für alle Beteiligten sehr hoch.

Es werden hohe Schulden gemacht

Ja, sie ist viel höher als bei vielen anderen Süchten. Außerdem ist von einer erhöhten Selbstmordrate auszugehen, weil die schwerwiegenden finanziellen und psychischen Folgen durch die Betroffenen oft als ausweglos bewertet werden. Scham- und Schuldgefühle machen es darüber hinaus schwer, professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen.

Wie hoch ist die Gefahr, dass Glücksspieler in die Kriminalität abrutschen?

Süchtige Glücksspieler tun sehr viel, um an Geld zu kommen, um ihr Spielen fortsetzen zu können, oder auch um einer zunehmenden Verschuldung entgegenzuwirken. Die Gefahr, dass sie zu diesem Zweck Straftaten begehen, ist mit fortschreitendem Krankheitsverlauf sehr hoch. Auch sind sie anfällig für dubiose Geldgeschäfte. Viele Betroffene sind der Überzeugung, mit dem nächsten großen Gewinn ihre Schulden auf einen Schlag zurückzahlen zu können. Dies ist jedoch ein Irrtum; und so geraten Glücksspieler oft in einen Teufelskreis von Verschuldung und Kriminalität. Nach einer Schätzung der Universität Hohenheim entstehen jährlich Kosten in Höhe von 30 Millionen Euro durch die Beschaffungskriminalität von Glücksspielern.

In Neuruppin diskutieren Sie das Thema heute mit Oberstufenschülern. Sind Jugendliche stärker gefährdet als vor 20 Jahren?

Auf jeden Fall. Der Glücksspielmarkt ist in den letzten 20 Jahren explodiert, es gibt immer mehr Glücksspielvarianten, auch und vor allem im Internet, die auf Jugendliche eine hohe Anziehungskraft ausüben. Außerdem sind Glücksspielangebote, wie zum Beispiel Geldspielautomaten, leicht verfügbar: In vielen Gaststätten hängen Geldspielgeräte, außerdem wird der Zutritt von Minderjährigen in Spielhallen oftmals gar nicht kontrolliert. Die Aussicht, auf einfache Art und Weise viel Geld zu verdienen, ist vor allem für junge Menschen verlockend, zumal sie noch eher als Erwachsene glauben, Glücksspiele beeinflussen zu können. Und vor allem in kleineren Orten Brandenburgs wird beobachtet, dass Spielhallen, aber auch Gaststätten oder Imbissbuden, in denen Geldspielgeräte vorhanden sind, ein beliebter Treffpunkt für junge Menschen sind.

Brandenburg hat im April ein deutlich restriktiveres Spielhallengesetz verabschiedet. Halten Sie das Gesetz für geeignet, um die Gefahr der Spielsucht zu vermindern?

Wir begrüßen das Spielhallengesetz als wichtigen Baustein der Prävention. Zum einen regelt es die Abstände zwischen Spielhallen, einheitliche Sperrzeiten, ein Werbeverbot sowie das Zutrittsverbot für Minderjährige, zum anderen sieht es vor, dass Spielhallenbetreiber ihre Mitarbeitenden einmal jährlich in der Früherkennung problematischen und pathologischen Glücksspielverhaltens schulen lassen müssen. Natürlich steht und fällt die Umsetzung des Spielhallengesetzes mit einer regelmäßigen Kontrolle durch die Ordnungsbehörden. Problematisch ist auch, dass es bisher kein einheitliches, verbindliches Sperrsystem gibt, sodass Glücksspieler, die sich selbst in einer Spielhalle sperren lassen haben, oft ohne Weiteres Zutritt in andere Spielhallen haben.

Die Fragen stellte Matthias Matern

Andrea Hardeling (42) ist seit 2010

Geschäftsführerin der Brandenburgischen Landesstelle für

Suchtfragen.

Informationen unter: www.blsev.de oder 0331 - 5813800

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })