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Schwerer Einsatz. Die Polizei geht gegen die Rockerszene vor.

© Kai-Uwe Heinrich

Brandenburg: Scheinfrieden bei Rockern

Berlins Polizei rechnet mit neuen Schießereien. Auf der Straße fallen derzeit nur junge Mitglieder auf. Aber was tun die Alten? Und was passiert in Brandenburg?

Stand:

Berlin/Potsdam - Es ist nicht lange her, da haben Rocker aufeinander geschossen. Da sperrte die Polizei ganze Straßen, wenn drei Mittvierziger in Lederkutten auf Motorrädern anrollten. Und als vor zwei Jahren ein abtrünniger Hells Angel in Berlin-Hohenschönhausen getötet wurde, sprachen viele von einem Krieg. Wenn heute von Rockern die Rede ist, dann von halben Kindern: So saß kürzlich ein 16-jähriger Bandido auf der Anklagebank, weil er bewaffnet durch das Gesundbrunnen-Center In Berlin-Wedding gelaufen sein soll, um die konkurrierenden Hells Angels einzuschüchtern. Und ein 21-jähriger Angel soll im Januar einen Juwelier überfallen haben. Unter Jungmachos gelten Rocker als cool. Doch wo sind die Altrocker geblieben?

In einer Kneipe im Berliner Norder, in der riesige Flachbildschirme hängen, sitzt ein Kenner der Szene. Kein Rocker, kein Polizist, ein Gastronom. „Am Freitag wird man die alten Bandidos zu sehen kriegen, die fahren in Kompaniestärke zum Jahrestreffen nach Zerbst“, sagt er. Dort in Anhalt werden am Wochenende bis zu 2000 Rocker aus ganz Europa erwartet. In Berlin hätten alteingesessene Hells Angels und Bandidos inzwischen Bordelle, Bars und Tätowierläden aufgeteilt. Polizisten sprechen auch von Schutzgeld, Drogen und Waffen. „Aber Rocker dominieren da nichts“, sagt der Gastronom. Die Chefs der einzelnen Chapter – lokale Rockergruppen – wollten gar nicht mehr, als ein paar Nischen besetzen. In der Stadt redeten „viel zu viel Leute“ mit, „eine Mafia“ kontrolliere weder die geschätzten 900 Bordelle Berlins, noch das kiloweise verkaufte Anabolika. „Rocker aber auch Araber sind da eher Handlanger“, sagt der Gastronom. Beide Gruppen werden zwar zunehmend beobachtet, bestätigt ein Sicherheitsmann, aber auch weil sie wegen riskanter Delikte wie Schlägereien eher ins Visier gerieten und für Zeugen leichter erkennbar seien.

Die Altrocker schätzen den militanten Mythus, „wollen aber dennoch lieber eine gut laufende Bar und sonst ihre Ruhe“, sagt der szenekundige Gastronom. Beim Bund Deutscher Kriminalbeamter meint man, dass der hohe Ermittlungsdruck dazu geführt habe, dass Rocker „die Füße still halten“ – ohne dass sie ungefährlicher geworden wären. Erst am vergangenen Freitag haben Ermittler des Landeskriminalamtes Brandenburg mithilfe des Spezialeinsatzkommandos zwei Wohnungen von Rockern in Eberswalde und Joachimsthal durchsucht. Die Razzia erfolgte wegen des Verdachts der räuberischen Erpressung und des Drogenhandels. Betroffen war der Ex-Chef des 2009 vom Brandenburgischen Innenministerium verbotenen Chicanos MC Barnim. Die Chicanos galten als besonders militante Unterstützer der Bandidos. Der 42-Jährige hatte sich in den vergangenen Monaten ausgerechnet den Hells Angels angeschlossen, er wird derzeit als Anwärter bei deren mehrheitlich türkischer Sektion in Berlin-Reinickendorf geführt. Vergangenes Jahr hatte eine Gruppe junger Bandidos europaweit Aufsehen erregt, als sie sich in einem konspirativ vorbereiten Coup den Hells Angels anschlossen. Sie bilden nun deren Sektion in Berlin-Reinickendorf. Im Zuge der Razzia wurde in Eberswalde ein Rockertreff durchsucht, in dem ein Unterstützerverein der Hells Angels residiert. Dort seien Drogen und Messer gefunden worden.

Anders als in Berlin gehen Kenner davon aus, dass in Brandenburg noch nicht alles aufgeteilt ist, was die großen Bruderschaften interessieren könnte. Das liegt nicht zuletzt daran, dass in der Mark der dritte unter den großen Klubs nach wie vor viele Anhänger hat: Immer wieder hatten Bandidos und Hells Angels versucht, der nahezu gleich starken Bruderschaft Gremium die eigenen Mitglieder abzuwerben und deren Revier streitig zu machen. Diesen März hatte es unter anderem gegen einen etablierten Gremium-Chef einen Großeinsatz von Polizei und Zoll gegeben. Der Mann soll an der polnischen Grenze halbseidenen Geschäften nachgegangen sein.

Untereinander gibt es derzeit aber vor allem dann Streit, wenn sich jemand in seiner Ehre gekränkt fühle. Wie im April, als in Tegel ein paar Bandidos auf Hells Angels treffen. Ein Wort gibt das andere, eine Schlägerei entsteht. Wenig später fahren elf Bandidos samt Beil im Konvoi nach Köpenick. Die Rocker wollen zur Kneipe eines hochrangigen Hells Angel, werden aber von Beamten gestoppt. Die Polizei ist alarmiert: In einer Dienst-E-Mail an Einsatzkräfte soll darauf hingewiesen worden sein, dass bei Rockern „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ wieder mit Waffeneinsatz zu rechnen sei – auch mit dem von Schusswaffen. Das Friedensabkommen von 2010 gilt den Behörden sowieso als hinfällig. Damals hatten bundesweit geachtete Rockerfürsten versprochen, sich in Ruhe zu lassen.

Einer, der einst zu den einflussreichsten Rockern Berlins zählte, ist übrigens unfreiwillig wieder aufgetaucht. Der 50-jährige Holger B. hatte sich vor Jahren auf ein Grundstück bei Strausberg zurückgezogen, nachdem er bei den Hells Angels nach einem Streit rausgeflogen sein soll. Vor wenigen Wochen wurde er durch Messerstiche verletzt auf seinem Gehöft gefunden. Die Ermittler wollen wissen, was vorgefallen ist. Wie alle Altrocker hat B. diesbezüglich nur eines getan: geschwiegen.

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