
© Bernd Settnik/dpa
Brandenburg: Schneiders Nazi-Trupp auf Demo-Tour
Die Angeklagten im Nauen-Prozess stellen sich als lose Truppe dar. Dabei hatten sie viel gemeinsam
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Potsdam - Waren sie alle nur unbedarfte Mitläufer, die dem NPD-Politiker helfen wollen und Freundschaftsdienste erwiesen, wenn sie an rechten Aufmärschen teilnahmen? Eine Chaostruppe, deren Mitglieder Probleme mit Geld, Alkohol und Drogen hatten? Dieses Bild jedenfalls versuchten die Angeklagten im Nauen- Prozess um den Brandanschlag auf eine als Asylunterkunft vorgesehene Sporthalle im August 2015 zu zeichnen. Demnach war Schneider ein Menschenfänger, einer, der andere für sich einspannen kann.
Im Zuge des Verfahrens vor der Staatsschutzkammer des Landgerichts Potsdam ist sogar der Anklagevorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung fallen gelassen worden – aus prozessökonomischen Gründen und weil für den Nachweis zu viel Aufwand vor Gericht betrieben werden müsse, wie die Staatsanwaltschaft begründet.
Aus juristischer Sicht ist dieses Vorgehen zumindest nachvollziehbar, wenn die jeweiligen Tatbeiträge der Angeklagten nachgewiesen werden können. Die kriminelle Vereinigung gilt vor allem als rechtliches Werkzeug, um eine vor Gericht schweigende Bande, deren Mitglieder sich gegenseitig schützen, überführen zu können. Zudem fällt die Bildung einer kriminellen Vereinigung beim Strafmaß bei der Verurteilung wegen schwerer Brandstiftung nicht mehr ins Gewicht. Daneben müsste das Gericht den gemeinsamen Gruppenwillen, ausländerfeindliche Straftaten zu begehen, nachweisen.
Im Nauen-Prozess aber haben die Angeklagten Aussagen gemacht und Geständnisse abgelegt. Demnach war es Zufall, irgendwie spontan, nur von Schneider geplant. Dennoch bleibt die Frage: Waren Schneiders Mitläufer tatsächlich so unpolitisch, wie sie das Gericht glauben machen wollen? Und wird den politischen Motiven überhaupt genug Gewicht beigemessen?
Tatsächlich hat die Rücknahme des Anklagevorwurfs „kriminelle Vereinigung“ bei der Polizei Irritationen ausgelöst. Die Polizei stufte die braune Truppe aus Nauen sogar als terroristische Vereinigung ein. Doch der Generalbundesanwalt lehnte ab, weil kein Menschenleben durch die Taten gefährdet gewesen sei, weil die Taten den Staat „nicht erheblich“ schädigen würden. Polizei und Justiz wollten dennoch Härte zeigen und klagten die Bildung einer kriminellen Vereinigung an. Wer sich dieser Tage in Sicherheitskreisen umhört, vernimmt nun immer wieder: Im Nauen-Prozess hat die Staatsanwaltschaft die von Brandenburgs Generalstaatsanwaltschaft Erardo C. Rautenberg begründete Linie beim Vorgehen gegen Neonazis verlassen – nämlich alles auszuschöpfen, was geht.
Es geht neben dem Brandanschlag auf die Turnhalle und um einen auf das Auto eines Polen auch um Attacken auf das Linke-Parteibüro. Bei der Störung einer Stadtverordnetenversammlung, bei der es um eine neue Asylunterkunft ging und die wegen eines von Schneider angeführten Mobs vorzeitig beendet werden musste, wurde die Anklage ebenfalls auf Nötigung herabgestuft. Und wo es keine kriminelle Vereinigung mehr gibt, die gegründet wurde, um ausländerfeindliche Straftaten zu begehen, da gibt es auch keinen Rädelsführer mehr.
Im Prozess um das „Freicorps Havelland“ vor mehr als zehn Jahren zeigte die Staatsanwaltschaft noch ein ganz anderes Vorgehen. Die Truppe hatte mehrere Anschläge auf Asia- und Döner-Imbiss-Läden im Havelland verübt. Das erste Mal überhaupt erhob mit Rautenberg ein Generalstaatsanwalt eines Bundeslandes Anklage wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung. Verurteilt worden war damals auch Thomas Frank E. zu einer Jugendstrafe von mehr als einem Jahr auf Bewährung. 2014 war er sogar bei einem internationalen Neonazi-Treffen in der ungarischen Hauptstadt Budapest. Heute sitzt er vor dem Landgericht Potsdam wieder auf der Anklagebank – diesmal im Nauen-Prozess. Er soll bei dem Brandanschlag auf die Turnhalle Schmiere gestanden haben, was er aber bestreitet.
PNN-Recherchen belegen nun, dass Schneiders Truppe – entgegen der eigenen Darstellung – eben nicht nur ab und an bei rechten Aufmärschen und Demonstrationen dabei war. Bei der Durchsicht der Fotos von diversen Kundgebungen zeigte sich vielmehr: Spätestens seitdem die von Schneider angestachelte Menge die Stadtverordnetenversammlung im Februar 2015 gestört hatte, waren neben Schneider zwei Angeklagte – Dennis W. und Christopher L. – regelmäßig mit dem NPD-Politiker bei rechten Demonstrationen unterwegs.
Insgesamt gab es mit der gesprengten Stadtratssitzung mindestens 25 rechte Demonstrationen – und immer nahm einer der Neonazis daran teil, meistens mehrere. Jedenfalls verbrachten die Angeklagten viel Freizeit bei den rechten Aufmärschen. Schneider war 20-mal dabei, vor allem in Nauen, aber auch in anderen Orten im Havelland, in Zossen, Bad Belzig, Beeskow, Berlin und Anfang 2016 bei Pogida in Potsdam. Dennis W. war 15-mal dabei, Christopher nahm an 17 der 25 rechten Kundgebungen teil. Alle drei waren seit Februar 2015 insgesamt zwölfmal gemeinsam bei Demos unterwegs.
Christian B. machte achtmal mit, Thomas Frank sechsmal. Bei drei rechten Demonstrationen in Nauen im Mai, Juni und Juli, also in den Monaten vor dem Anschlag auf die Turnhalle, waren die fünf Angeklagten gemeinsam bei Aufmärschen gegen Flüchtlinge und Asylunterkünfte gleichzeitig dabei. Zudem war Schneider bei der von ihm angemeldeten Demonstrationen in Jüterbog, in deren Anschluss im November 2015 ein Brandanschlag auf eine kirchliche Begegnungsstätte für Flüchtlinge verübt worden war. Wer von den anderen Neonazis aus Nauen dabei war, lässt sich nicht nachweisen.
Immerhin: Wie eine lose Gruppe, die sich ab und an aus reiner Freundschaft zu Schneider bei rechten Demonstrationen trifft, wirkt das nicht. Eher wie feste Gruppe, die da in Nauen aktiv war. Eine Gruppe mit klaren politischen Zielen, die regelmäßig zu rechten Kundgebungen gegen Asyl und Flüchtlinge ging, sogar mehrfach im Monat vor und nach dem Anschlag auf die Turnhalle im August 2015. Die Frage nach gemeinsamen politischen Zielen und Motiven der Truppe dürfte damit klar sein.
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