JUSTIZ: Schöneburgs reine Lehre
Brandenburgs Justizminister will den Strafvollzug radikal reformieren und verspricht sich davon mehr Sicherheit. Schon einmal löste seine Linie – die liberalste unter seinen Amtskollegen bundesweit – eine Welle der Empörung aus
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Potsdam - So weit wie Volkmar Schöneburg (Linke) geht keiner der Landesjustizminister in Deutschland vor. Er will den deutschlandweit liberalsten Strafvollzug schaffen und hat dazu jetzt regierungsintern einen Gesetzentwurf für eine radikale Reform des Strafvollzugs vorgelegt. Demnach will der Minnister, früher Strafverteidiger und Landesverfassungsrichter, die Gefängnisse konsequent auf Resozialisierung umstellen, Behandlung und Therapie zur Resozialisierung von Gefangenen stärken, ihnen aber zugleich auch längere Besuchszeiten, mehr Freigänge gewähren und den offenen Vollzugs erweitern. „Das ist kein einfacher Weg“, räumt Schöneburg in einem Exklusivbeitrag für die PNN ein.
Ein jetzt in die Ressortabstimmung gegebener Referentenentwurf aus Schöneburgs Ministerium für ein neues Justizvollzugsgesetz in Brandenburg sieht zahlreiche, an strenge Einzelfallprüfungen geknüpfte Lockerungen für Gefangene vor. Zugleich wird die Arbeitspflicht abgeschafft, stattdessen der Besuch „sinnvoller Angebote“ wie Schule, Berufsbildung und Arbeitstherapie sogar mit Geld belohnt. Die Gefangenen sollen künftig besser auf die Freiheit vorbereitet und nach der Entlassung stärker begleitet werden. Die bislang nur für Sexualstraftäter vorgesehene Sozialtherapie will Schöneburg auf Gewaltstraftäter ausweiten.
Erstmals ist auch der Opferschutz in dem Gesetz enthalten: Mit strenger Auflagen bei Ausgängen, sich nicht den Opfern nähern, und Zahlungen aus dem Knast heraus an die Opfer (siehe unten). Das ist das Ziel des Entwurfs: Die Rückfallquote senken – und Sicherungsverwahrung von besonders gefährlichen Straftätern durch bessere Betreuung vermeiden. „Resozialisierung und Sicherheit sind für mich kein Gegensatz", sagt Schöneburg. „Es geht darum, die Gefangenen auf ein Leben ohne Straftaten vorzubereiten. Das schaft mehr Sicherheit.“
Bei den Ministerialbeamten selbst heißt es, der Entwurf sei mutig, aber auch riskant. Schließlich geht es um ein Reizthema: um Strafgefangene, teils Gewalttäter, denen Schöneburg mehr Kontakt zur Außenwelt ermöglichen will, damit sie in den Gefängnissen nicht jedes Sozialverhalten im normalen Umgang verlernen. Allein auf weiter Flur ist Schöneburg, früher renommierte Strafverteidiger und Landesverfassungsrichter, mit seiner liberalen Linie unter den Justizministern nicht. Er verfolgt sie nur konsequenter, hält sich strenger „an die reine Lehre“, wie es aus seinem Umfeld heißt. Der Referentenentwurf basiert auf einer Vorlage, auf die sich Berlin, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, das Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen 2011 verständigt hatten. Denn die Zuständigkeit für die Regelung des Strafvollzugs ist im Zuge der Föderalismusreform vom Bund an die Länder übergegangen.
Im Frühjahr dann sorgte dieser Entwurf für reichlich Empörung. Dann darin enthalten war ein Passus, wonach Mörder und Gewalttäter bereits nach fünf Jahren statt laut dem alten Bundesgesetz nach zehn Jahren Hafturlaub beantragen können. Schöneburg vertrat die Thesen am vehementesten, seine Amtskollegen in anderen beteiligten Ländern gingen in Deckung. Denn der Entwurf löste deutschlandweit eine Welle der Empörung bei Polizeigewerkschaften und Opferverbänden aus. Die Schlagzeilen für Schöneburg waren verheerend: „Brandenburg hat ein Herz für Schwerkriminelle“. Und: „Hat dieser Minister nicht alle Tassen im Schrank?“
Jetzt will Schöneburg komplett auf die festgelegten Fristen verzichten und folgt damit dem Vorbild Hamburgs. Entscheidend sei ausschließlich der Einzelfall, der streng geprüft werde, sagt der Minister. Er will die Kritik aushalten und rechnet wieder mit allem. Die oppositionelle CDU-Fraktion im Landtag jedenfalls kündigte am Freitag „heftigen Widerstand" gegen das „täterfreundlichste Strafvollzugsgesetz in Deutschland“ an. Dieses sei ein Rückschritt für die Sicherheit der Bürger und für den Opferschutz, sagte CDU-Rechtsexperte Danny Eichelbaum. Schöneburg habe „seine Rolle als ehemaliger Strafverteidiger, der für die Rechte und Interessen der Täter einsteht, nicht abgelegt“.
Ob Schöneburg seinen Entwurf durchbringen kann, ist offen. Bei einer ersten Debatte darüber Ende April war die CDU mit ihren Attacken weitgehend isoliert, von Panikmache die Rede. FDP und Grüne signalisierten damals Zustimmung, wollten sich jetzt aber noch nicht festlegen. Die Linksfraktion steht hinter ihrem Minister, auch der Arbeitskreis der rot-roten Koalition. Die SPD-Fraktion hält sich noch bedeckt. Man werde kritisch prüfen, wie weit Vollzugslockerungen im Einzelfall gehen können. Klar sei, dass die Strafe auch der Buße und der Wahrung der Würde der Opfer diene. Resozialisierung und Opferschutz dürften aber nicht wie bei der CDU gegeneinander ausgespielt werden.
Schöneburg will das Gesetz bis Sommer 2013 durch den Landtag bringen, parallel auch die Reform der Sicherungsverwahrung besonders gefährlicher Straftäter, die nach Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts bis dahin erfolgen muss. Eine erste Hürde hat Schöneburg im Kabinett zu nehmen, etwa bei Innenminister Dietmar Woidke (SPD), aber auch Finanzminister Helmuth Markov (Linke). Denn die Reform kostet: Neue Sozialtherapiestationen für Sicherungsverwahrte und gefangene Gewalttäter müssen gebaut, Therapeuten und Sozialarbeiter engagiert werden.
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