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Schüsse im Dunkeln. Rocker André Sommer wollte Sonntag früh gerade mit seinem Motorrad wegfahren, als ein Mann auf ihn zutrat und laut einer Zeugin nach einem kurzen Wortwechsel abdrückte.

©  Steffen Tzscheuschner

Brandenburg: Sechs Schüsse am Germanenhof

Vor seiner Kneipe wurde der Rocker André Sommer um 3 Uhr Opfer eines Anschlags. Der Ex-Boss der Hells Angels liegt lebensgefährlich verletzt in einer Klinik. Vor zwei Wochen hatte er seinen Klub aufgelöst.

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Berlin - Unter Rockern kennt man bundesweit seinen Namen, und mindestens in Berlin wissen Nachtklubbetreiber, Türsteher und Hooligans, wer er ist. Nun liegt André Sommer mit lebensgefährlichen Verletzungen im Virchow-Klinikum in Berlin-Wedding im künstlichen Koma. Der 47-Jährige war bis vor zwei Wochen Präsident des Hells-Angels-Charters „Nomads“, das vor allem im Osten der Stadt aktiv ist. Die Gruppe hatte sich vor zwei Wochen aufgelöst und ist so einem Verbot durch Innensenator Frank Henkel (CDU) zuvorgekommen.

Sommer ist Vater eines erwachsenen Sohnes und betreibt in der Zingster Straße in Hohenschönhausen den „Germanenhof“. Als der Gastronom seine Kneipe am Sonntagmorgen gegen 3 Uhr verließ und offenbar sein Motorrad besteigen wollte, sei ein Mann auf ihn zugekommen, mit dem Sommer sich kurz gestritten haben soll. Dies hatte eine Anwohnerin gehört, hieß es von Polizisten. Kurz darauf fielen sechs Schüsse. Die 6. Mordkommission ermittelt, sie bittet Zeugen, sich bei der Polizei zu melden. Noch am Sonntag versammelten sich Hells Angels vor der Klinik und am Tatort.

Spekuliert wird nun unter Rockern wie auch in Berliner Justizkreisen, ob der Angriff von konkurrierenden Rockern ausging. Nicht ausgeschlossen sei auch, hieß es vereinzelt, dass der Täter ein enttäuschter Mann aus den eigenen Reihen ist – zumal sich die Hells Angels derzeit neu organisieren müssen. Die Nomads-Männer sollen im Berliner Umland neue Gruppen aufgebaut haben. Sommer gilt in der Szene als Stratege, regelmäßig hat er sich zu Gesprächen mit den konkurrierenden Bandidos getroffen, der international zweitmächtigsten Bruderschaft. Die Bandidos hatten seit 2010 schubweise Mitglieder an die Hells Angels verloren. Als Berlins Innensenator Henkel zeitgleich mit den Nomads eine Bandidos-Sektion aus Berlin-Weißensee verbieten lassen wollte, wechselte diese zu den Hells Angels nach Potsdam.

Im „Germanenhof“ verkehren neben Rockern auch Anhänger des Fußballvereins BFC Dynamo. Sommer, früher Hooligan, hatte sich einst selbst in dem Verein engagiert, was BFC-Funktionäre störte. Beim Berliner Landeskriminalamt füllt Sommer stapelweise Akten. Ermittler hörten sein Telefon ab.

Über Rocker wird an diesem Montag im Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses gesprochen. Es soll geklärt werden, woher Hells Angels und Bandidos vor zwei Wochen wussten, dass Vereinsverbote bevorstanden. Henkel und die amtierende Polizeipräsidentin Margarete Koppers sollen erklären, wie sie mit Informationslecks umgehen. Polizeintern wird wegen Geheimnisverrats ermittelt.

Die Tat vom Sonntag ist nicht der erste Anschlag auf Sommer. Im Juni 2009 wurden der Präsident und vier weitere Hells Angels in ihrem Auto nördlich von Berlin von einem anderen Wagen gerammt und mit Macheten attackiert. Sommer wurde in den Rücken gestochen. Der Rocker rief nicht die Polizei, sondern einen anderen Hells Angel an, der ihn in eine Klinik fuhr. Die Klinge des Messers steckte noch in Sommers Rücken. Die Angreifer waren wohl Bandidos, Sommer hat zu den Vorfällen geschwiegen, wie es unter Rockern üblich ist. Ein Jahr später gelang ihm in Absprache mit dem Chef des einflussreichsten deutschen Hells-Angel-Charters in Hannover, Frank Hanebuth, ein seltener Coup: Die Truppe um die Angreifer wechselte die Seiten und schloss sich den Hells Angels an. Auch deshalb platzte der Prozess gegen zwei Angreifer platzte: Alle Beteiligten hielten dicht.

Als die Forderungen nach einem Verbot der Rockerbruderschaften lauter wurden, war es Sommer, der eine Allianz aller Motorradklubs in Aussicht stellte, um innerhalb der Szene gemeinsam Repressionen abzuwehren. Unter seiner Ägide hatten die Hells Angels in der Region stetig an Einfluss gewonnen. In den vergangenen Jahren schlossen sich den Nomads zahlreiche Rocker konkurrierender Gruppen an, so vor allem die ebenfalls in Brandenburg und dem Berliner Osten aktiven Männer des Gremium MC. Die Hells Angels bauten in den vergangenen Monaten in der Region neue Charter auf, in Potsdam und zuletzt in Königs Wusterhausen gab es dabei Auseinandersetzungen mit Gremium-Mitgliedern. Durchsetzen konnten sich dabei die Hells Angels, neben der Potsdamer Dependance haben sie nun Sektionen in Oranienburg, im Dahmeland und in Frankfurt (Oder). In diesen Chartern, so wird gemunkelt, haben sich die Nomads nach dem Verbotserlass vorerst eingerichtet.

Da sich die Hells Angels jedoch nicht mit anderen Rockern angelegt haben dürften, muss es sich bei der Tat nicht zwangsläufig um eine Rockerfehde gehandelt haben. Ein Hells-Angels-Sprecher äußerte sich am Sonntag nicht zum möglichen Hintergrund der Tat.

Im Mai 2011 war der 51-jährige Holger B., ebenfalls einst Präsident der Nomads, auf seinem Grundstück bei Strausberg angegriffen worden. Unbekannte hatten mehrfach auf ihn eingestochen. Holger B. hatte die Nomads 2008 im Streit verlassen müssen, Sommer rückte zum Präsidenten auf. Ebenfalls in Hohenschönhausen war 2009 ein abtrünniger Hells Angel erschossen worden. Der 33-jährige Kampfsportler Michael B. hatte sich den Ermittlungen zufolge noch 200 Meter weit geschleppt, er starb wenig später im Krankenwagen. Der Schwergewichtler, hieß es, habe die Hells Angels verlassen wollen und sich mit den Bandidos getroffen. Die Tat ist nicht aufgeklärt.

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